Autoproduktion im Pleiteland Griechenland

Eine endlose Geschichte darüber, wie sich ein Staat ins Knie schießt

Fast vergessen ist, dass Griechenland im vergangenen Jahrhundert eine durchaus funktionierende Autoindustrie vorweisen konnte. Eine Wochenschau von 1963 zeigt einen der größten damaligen Erfolge, die Fabrik der Brüder Kondogouris exportierte leichte Nutzfahrzeuge ins einstige Herz der Autoindustrie, nach Detroit. Vollkommen vergessen ist, dass die Griechen einst sogar, wenn auch in Lizenz, Flugzeuge bauten.

Gibt es Autos made in Greece?

Das Kapitel Automobilbau in Griechenland klingt mittlerweile so exotisch, dass der deutsche Botschafter in Athen Wolfgang Dold Anfang Mai im Interview davon sprach, dass Griechenland zu den Staaten gehören würde, die keine Autos produzieren könnten. Auch Task-Force-Chef Horst Reichenbach erfuhr seinerzeit erst beim Interview, dass es in Griechenland noch eine wenn auch mittlerweile verkümmerte Autoindustrie gibt.

Tatsächlich jedoch, weiß der griechische Staat bislang trotz sämtlicher internationaler Experten im Land wirksam und nachhaltig jeden Versuch der Produktion von einheimischen Waren Steine in den Weg zu legen. PKWs und Nutzfahrzeuge sind nur ein Beispiel dafür. Immer noch beschränken sich die Vertreter der Kreditgeber darauf, nach Konstruktionsfehlern im Sparprogramm zu suchen.

Sämtliche Sparmaßnahmen Griechenlands beruhten bislang auf Steuererhöhungen, Lohnkürzungen und Entlassungen und Umschuldungen bei gleichzeitiger Kapitalisierung der Zinsen. Zugleich weist das Land mit knapp 310 Milliarden Euro Auslandsschulden nun bei massiv gesunkenem BIP exakt den gleichen Schuldenstand wie zu Beginn der IWF Programme im Mai 2010 auf. Der x-te Versuch der Menschheit, eine Art Perpetuum mobile des Geldflusses zu konstruieren, ist gescheitert.

Die Zahl der Arbeitslosen hat sich derweil verdreifacht. 26,8 Prozent Arbeitslosigkeit erklären durchaus, wieso bei der „werberelevanten Zielgruppe“ der 18- bis 44-jährigen Griechen die nationalsozialistsche Chryssi Avgi mit 15 bzw. 17 Prozent gegenüber 20 für SYRIZA diezweitstärkste politische Partei. Ein halbes Jahrhundert nach dem Exporterfolg versuchten die Griechen nun unter internationaler Anleitung eine Entschuldung durch ständige Umschuldung zu realisieren.

Selbst wenn die von der Regierung propagierten, utopischen Tourismuszahlen von 17 Millionen Urlaubern in der laufenden Saison erreicht werden könnten, würde es den Griechen nicht helfen. Denn jedem Touristeneuro stehen fast gleich hohe Ausgaben gegenüber. Alles, von der Marmelade und der Butter bis hin zum Hotelshampoo und Toilettenpapier, wird importiert. Die Flugreisekosten fließen samt der Flughafengebühren ins Ausland. Die Reiseveranstalter versteuern ihre Gewinne ebenfalls fern vom griechischen Fiskus. Das war nicht immer so.

Amerikaner kaufen griechische Produkte

Das Fahrmobil als preiswertes, praktisches Nutzfahrzeug faszinierte die Amerikaner seinerzeit so sehr, dass Chrysler gleich das komplette Werk aufkaufte. Immer noch gibt es für diese exotisch spartanischen Wagen eine lebendige Fangemeinde. Die Kondogouris-Brüder hatten schlicht die Nutzungsrechte für ein deutsch-schweizerisches Patent erworben und sich bei BMW die passenden Motoren besorgt. Auf Basis zugekaufter Patente entwickelten sie ihre eigenen technischen Anpassungen.

Sie holten Chrysler ins Boot, als sie entdecken mussten, dass der simple Exportschlager im Herstellungsland selbst nicht an die erforderliche Typzulassung kam. So seltsam es klingt, es fehlte an den erforderlichen „Schmiermitteln“. Selbst Chrysler verzweifelte daran und verlegte seine Produktion rasch in die benachbarte Türkei. Aus ähnlichen Gründen verabschiedeten sich zahlreiche weitere griechische Kraftfahrzeughersteller von der Produktion. Technische Massenprodukte made in Greece finden sich heute leider meist nur noch in historischen Büchern.

Peter Kondogouris. Bild: W. Aswestopoulos

Eine autoverrückte Familie

Die Kondogouris-Familie gab dennoch nicht auf und startete in den Siebzigern des vergangenen Jahrhunderts einen weiteren Versuch. Mit dem Pony, einem auf 2 CV-Basis entwickelten leichten Jeep-ähnlichen Fahrzeug landete sie einen lokalen Verkaufserfolg. Der Pony war ebenso wie zahlreiche weitere Automodelle ein Design des griechischen Karosserieplaners Alec Issigonis.Issigonis, der Sohn einer deutschen Mutter, und Peter Kondogouris, der Wahlbayer hatten durchaus Gemeinsamkeiten.

Sie scheiterten schließlich an einem von einem lokalen Politiker initiierten Streik und am Kuriosum, als einheimischer Hersteller einer höheren Besteuerung als die Importeure zu unterliegen. Immerhin wollten die von der Politik angestachelten Angestellten damals nicht weniger als fünfunddreißig Prozent Lohnerhöhung. Um knapp die gleiche Größenordnung stieg die Steuerbelastung.

Kontogouris machte trotzdem weiter und erhielt sein Unternehmen als Entwicklungsfirma und für die Wiederherstellung alter Pony-Modelle am Leben. Zu Beginn der Krise, 2010, überraschte er die Politik mit einem Vorstoß. Absatzverträge in Afrika sollten eine Wiederaufnahme der Massenproduktion in Nordgriechenland garantieren. Drei Jahre später stand er Telepolis Rede und Antwort.

Ein Autobauer auf Reisen

Herr Kondogouris, was machen Sie jetzt?

Peter Kondogouris: Ich bin aus Mozambique zurück und kann den Abschluss eines 50-Millionen-Dollar-Deals melden. Die Afrikaner haben unser Angebot angenommen und wir konnten dabei Konkurrenten aus China und Indien ausstechen.

Heißt das, dass in Thessaloniki bald wieder Autos in Massenproduktion gebaut werden?

Peter Kondogouris: Das heißt, dass ich in den nächsten Tagen nach Ägypten reisen werde, um dort die Produktionsfabrik für eine Kapazität von 126.000 Autos pro Jahr aufzubauen. Ich bin begeistert von den handwerklichen Fähigkeiten der Ägypter. Wir betreiben dort tatsächlich einen Technologietransfer von Nord nach Süd.

Warum nicht hier? Gibt es zu viele Skandale im Land?

Peter Kondogouris: Ich bin es wirklich leid, immer wieder Zielscheibe zu sein. Nein, hier gibt es keine Skandale – wir sind als Menschen doch alle selbst ein Skandal. Spaß beiseite. Es rechnet sich nicht. Die politischen Rahmenbedingungen ändern sich ebenso oft wie Steuergesetze. Es gibt eine ausufernde Bürokratie und zu viele künstliche Hindernisse.

Was zum Beispiel?

Peter Kondogouris: Das fängt mit der leidigen Typzulassung an. Früher hatte man in Griechenland endlich mit dem TÜV einen Weg gefunden, eigene Produktionen abzunehmen. Die TÜV Prüfer kamen dabei zu uns in Werk, schauten sich alles an, führten Crashtests durch und zeigten uns sofort etwaige Fehler auf, die wiederum sofort behoben werden konnten.

Keine Beruehrungsaengste – Kondogouris mit einem Strassenmusikanten. Bild: W. Astwestopoulos

Und nun?

Peter Kondogouris: Nun hatte die Regierung eine glorreiche Idee. Statt eine eigene Abteilung aufzubauen, schrieb sie international einen Wettbewerb zur Vergabe des Typprüfungsrechts auf. Diesen gewann DEKRA Italia. Das hieße für uns, dass wir den Italienern sämtliche Konstruktionszeichnungen zusenden müssten und ohne einen Besuch von ihnen im Werk, wie man uns bedeutete, etwa zwei Jahre auf eine Genehmigung hätten warten müssen. Das ist zu viel.

Fürchteten Sie Industriespionage?

Peter Kondogouris: Immerhin sind wir mit der indischen Tata immer noch im Rechtsstreit über die von dort schlicht kopierten Patente von Namco. Unsere fernöstliche Konkurrenz bekommt Hilfe vom Staat und wir haben den Staat gegen uns.

Sie haben den Indern Aufbauhilfe geleistet?

Peter Kondogouris: Ja. So seltsam das für Sie klingen mag. Allerdings sind wir über die Pony-Modelle auch in Vietnam bekannt. Sollte es Sie einmal dorthin verschlagen, da werden die Ponys Dalat genannt.

Wir schmeißen so viel Elektronik wie möglich aus unseren Konstruktionen raus

Stichwort Tata. Die preiswerten indischen PKWs kamen mir nicht sonderlich unfallsicher vor. Sind Ihre spartanischen Konstruktionen überhaupt crashfest?

Peter Kondogouris: Unsere heutige Modellpalette beruht auf einer modularen Bauweise. Eine aus A, B und C Komponenten bestehende Plattform erlaubt uns bei Variation der A-Module unterschiedliche Motorisierungen und insgesamt 17 verschiedene Modellversionen für jeden Zweck. Ob als Kleinlaster, Müllfahrzeug oder …

Sind die Karossen selbst tragend?

Peter Kondogouris: Nein. Wir bevorzugen weiterhin das Grundprinzip des 2 CV. Ich bleibe fanatischer Anhänger dieser Bauart. Für uns sind Nischenmärkte interessant. Dafür muss ein Auto flexibel und simpel sein. Wie der 2 CV. Allerdings mussten wir wegen der Spritkosten und dem Gewicht zahlreiche Modifikationen einführen. Unsere Module sind leichter und somit sparsamer. Sie sind so konstruiert, dass z.B. beim Frontalcrash das A-Modul unter die Fahrgastzelle, das B-Modul rutscht, und somit die Aufprallenergie abfängt. Bei einer starren Konstruktion hätten die Fahrgäste keinerlei Überlebenschance. Bei unserer Bauweise ergibt sich jedoch als weiterer Vorteil die relativ kostengünstige und einfache Reparatur selbst strapazierter Wagen. In Thessaloniki bauen wir all die Jahre die alten Ponys unserer Kunden wieder auf. Auch das griechische Militär hat Tausende davon im Einsatz.

Immerhin ist diese Konstruktionsmethode doch sehr betagt. Wieso begeistern sich die Afrikaner dafür?

Peter Kondogouris: Ganz einfach. Wir liefern praktische, einfache Autos und Ersatzteile. Ein europäischer Gebauchter kostet dort zehn oder fünfzehntausend Dollar – unser Neuwagen knapp 4500. Wir haben Ersatzteile, die europäischen Altautos nicht. Sophistification by simplification heißt unser Motto. Das ist in der Form nichts für den europäischen Massenmarkt, klar. Um für den deutschen Markt ein Auto zu bauen, bräuchten wir eine erheblich höhere Kapitaldecke, eine Verfeinerung der Entwicklung.

Ich habe im Internet trotzdem deutsche Einträge über ihre Autos gelesen.

Peter Kondogouris: Ja. Ich nenne diese Menschen Blue-Jeans-Fraktion. Das sind die Leute, die sich ein simples Auto holen, um sich damit von den mit Elektronik überfrachteten Fahrzeugen abzuheben. Diese Menschen definieren sich nicht über das Auto, sie benutzen es. Wir schmeißen so viel Elektronik wie möglich aus unseren Konstruktionen raus. Das macht die Fahrzeuge preiswerter, aber auch weniger störanfällig und für die Einsatzgebiete vielseitiger. Allein die für Wüstengegenden notwendige stärkere Modernisierung wird durch einen schlichten Austausch des A-Moduls bewerkstelligt.

Was für Motoren verwenden Sie? Sie konstruieren die nicht selbst, oder?

Peter Kondogouris: Aktuell habe ich mich auch an Opel gewandt. Wenn die möchten, können sie in Deutschland Arbeitsplätze erhalten und uns Motoren und Getriebe zuliefern. Namco ist keine Konkurrenz für VW, Opel oder BMW. Wir sind Ergänzungspartner für Nischenmärkte. Allerdings sind wir daher auch flexibel genug, um unsere Wagen mit Elektromotoren zu bestücken. Außer dem neuen Pony-Modell haben wir nun auch ein Stadtauto mit Elektromotor als Typenstudie gebaut. Für Afrika ideal stelle ich mir Biodieselantriebe vor. Damit könnte die hochgiftige Jatropha Pflanze, die ein fantastisches Ölprofil hat, endlich flächendeckend genutzt werden.

 

pony-undj
Keine Autoproduktion in Griechenland? Da kann man sich doch nur an den Kopf fassen.

Gedanken über den Sinn des Lebens

Vergessen Sie bei so viel Entwicklereifer Ihr Alter? Mit knapp 80 in tropischen Gefilden herumzureisen stelle ich mir mühsam vor.

Peter Kondogouris: Handeln ist für mich das Gegenmittel zum Tod. Wenn ich, wie wir alle, einmal im Sarg liege, bin ich starr. Bis dahin möchte ich handeln, statt auf dem Kanapee in Pantoffeln vor mich hin zu vegetieren. Schauen Sie, wenn wir 200 und mehr Jahre leben könnten, dann würde unsere heutige Gesellschaft Sinn machen. Aber so? Ich gebe immer gern den Tipp, einmal im Monat eine Krebsstation und einen Friedhof zu besuchen. Wer das macht, spürt die Vergänglichkeit und weiß den Wert des Lebens besser zu schätzen. Das Leben ist vorbei, bevor wir begreifen, was für ein Geschenk es ist.

Und die Afrikaner können das?

Peter Kondogouris: Ja. Wir nennen diese Gebiete Entwicklungsländer, dabei können wir viel dort lernen. Wenn in einer Familie eine Person arbeitet, dann ernährt sie wie selbstverständlich zwanzig weitere. Das ist trotz Elend und in der Armut gelebte Solidarität. Was machen wir? Sehen sie die aktuelle Krise. Alle reden, keiner hört zu. Es gibt keine Kommunikation, das ist schon fast tierisch und unhumanistisch.

Was würden Sie in Griechenland ändern, wenn man ihnen zuhören würde?

Peter Kondogouris: Zunächst einmal glaube ich, dass es uns an Demokratie fehlt. In der Schweiz gibt es Bürgerentscheide über Straßenbahnhaltestellen und wir haben den Euro, den sich die Politik ohne Bürgerbefragung erschlichen hat. Die Politik sollte dazu dienen, die Menschen, wir sind doch knapp sieben Milliarden vollkommen individuelle Wesen auf dieser Erde, auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Ich denke nicht an das, was heute als Globalisierung bekannt ist. Dabei wird alles nivelliert. Die Gemeinsamkeiten müssten wir suchen und nicht die Unterschiede betonen, aber wir sollten sie beachten und achten.

Speziell für Griechenland ist es doch auffällig, dass wir aktuell teuer ausgebildete Ärzte für lau nach Deutschland exportieren aber keine eigenen Facharbeiter zur Produktion von Waren ausbilden. Zudem reagiert die griechische Gesellschaft momentan wie ein Zahn nach einer Wurzelbehandlung – leblos, reaktionslos, gefühllos, schlicht apathisch.

Was stört Sie speziell an der griechischen Politik

Peter Kondogouris: Ich habe das Gefühl, dass diese Menschen nicht einmal Musik hören. Sie agieren wir gefühllose Roboter und frönen einzig dem Mammon. Es mag wie ein Scherz klingen, aber vielleicht könnte man sie mal ein paar Stunden mit Beethoven beschallen. Das müsste zumindest bei einigen zu humanerem Handeln führen.

Wassilis Aswestopoulos: Herr Kondogouris. Vielen Dank für das Gespräch.

Quelle: Heise.de und Danke an Wassilis.

 

Ein Kommentar

  1. Ich mag diesen Typen! Und so offen, wie der mit und über seine Landsleuten redet, haben ganz sicher einige ein Problem mit ihm… 🙂

Kommentare sind geschlossen.