Ein Buchtipp der anderen Art: „Von Berlin nach Jerusalem – Ohne Moos los“

reise-nach-jerusalemHeute im Spiegel Online gefunden hat dieser Artikel mein Bücherwurm-Herz auf’s Heftigste rasen lassen – deswegen komme ich um diesen Tipp auch nicht rum. Zugegebenermassen nichts mit Kreta zu tun habend (wenn m.E. allerdings durchaus übertragbar….), vollkommen konfessionslos und ethnisch komplett neutral mag ich Euch diesen Artikel vorstellen, der Eure Neugier evtl. genauso weckt, wie die (omnipräsente) Meinige….

Hier also der komplette Artikel, der einfach nur Fernweh und Neugier weckt:

„5000 Kilometer von Deutschland in den Orient – ohne einen Cent in der Tasche: Josef Girshovich hat sich als Anhalter durchgeschlagen, seine Mahlzeiten bezahlte er mit Geschichten. Nun hat er ein Buch geschrieben über Schnorren und Gastfreundschaft in Europa und im Nahost.

Reisegepäck ist verräterisch. Auch bei Josef Girshovich: Im Frühjahr 2009 schichtete er in seinen Rucksack zu seinen Klamotten auch Homers „Odyssee“ und die Bibel. Dazu Taschenlampe, Trillerpfeife und jede Menge Teebeutel, denn: „Keine Reise kann gut werden ohne guten Tee“, findet er. Obenauf ein Notizbuch samt Füller und Tintenfass.

Ins Geheimfach steckte er noch 100 Dollar, verborgen in einem versiegelten Umschlag und mit dem festen Vorsatz, das Geld unterwegs nicht auszugeben. Homer, Füller, Banknoten für den Notfall; all das charakterisierte seinen Trip schon, bevor er überhaupt aufgebrochen war.
Denn Girshovich, damals Ende 20, überließ den Zufall nicht dem Zufall, er baute ihn vielmehr generalstabsmäßig in seine Reise ein. Der Plan: von Deutschland nach Israel, von einer Hauptstadt in die andere – und zwar ohne einen Cent. Per Anhalter wollte er reisen, sich von einem gutwilligen Menschen zum nächsten, von einer Stadt zur nächsten hangeln.

„Wenn ich morgens aufstand, wusste ich nicht, wo ich abends landen würde“, sagt er. Und so kam er, nach 17 Tagen, die ihn unter anderem über Nürnberg, Zagreb, Belgrad, Thessaloniki, Istanbul und Aleppo führten, tatsächlich ans Ziel. Mit Sätzen wie „Bende para yok“ – ich habe kein Geld. Und mit Geschichten. „Erzählen ist die Währung des Reisenden“, sagt Girshovich. „Ich komme und erzähle aus der Fremde.“

Das macht er nun erneut. Denn was ihm von seiner Reise blieb, ist sein Notizbuch. Es füllte sich mit seinen Abenteuern und den teils ungelenk hineingekritzelten Namen seiner Helfer unterwegs, tintenverschmierte Fingerabdrücke inklusive. Daraus wurde jetzt ein Buch mit dem Titel „Reise nach Jerusalem“.

Männer, die durch die Lande ziehen und dann darüber ein Buch schreiben, haben in den vergangenen Jahren ein eigenes Genre etabliert. Allen voran Hape Kerkeling mit seinem Jakobswegbestseller „Ich bin dann mal weg“, auch Wolfgang Büscher, der zu Fuß die Republik durchquerte, sowie Axel Hackes „Deutschlandalbum“ und Geert Maks historisch aufgezogenes „In Europa“ gehören zweifellos dazu – lauter Roadtrips von Männern, unterwegs zu sich selbst.
Girshovichs Werk erzählt immerhin noch die Geschichte der unorthodoxen Reisestrategie, die Lust macht, ein solches Abenteuer nachzuahmen.

Natürlich hat das Projekt einen Hauch Geschmacklosigkeit: wenn einer, der sich ohne Not einen Mietwagen, ein Hotelzimmer, ein Abendessen leisten könnte, sich in weit ärmeren Ländern aushalten lässt. Doch die selbstkritische, mitunter demütige Haltung, mit der er reist und von seiner Reise erzählt, gleicht das wieder aus.

Es sollte keine politische Reise werden, betont der Berliner Politikjournalist. Es wurde stattdessen eine Pilgerfahrt durch die Gastfreundschaftskultur Europas und des Nahen Ostens. Das Schnorren war nicht sein Motto, er suchte vielmehr den unmittelbaren Kontakt: „Ich lerne Menschen direkter, ungeschminkt kennen, wenn ich von ihrer Gastfreundschaft abhängig bin. „Helfend Fremden die Hand zu reichen, gehöre nun einmal „zu den Instinkten menschlicher Kultur“. Das sei stärker als Geld, meint Girshovich.

Um Mitfahrgelegenheit, Bett und Brot zu bitten kostete ihn Überwindung, jeden Tag aufs Neue: „Ich kam mir vor wie 15, als wäre ich auf einer Party und wollte ein Mädchen ansprechen.“ Er war ein Getriebener, er musste ja vorankommen. Und zwar total analog, also mit der Faltkarte auf den Knien, als Gegenentwurf zu „unserer komplett vergoogelten Welt“. Warten wurde anstrengend: „Ich an der Autobahnausfahrt. Niemand hält. Ich esse einen Apfel. Schnitt.“

Doch ein Glück, „der Rucksack brachte Vorteile. Dem Reisenden ließ sich die Abhängigkeit ansehen, kein Heim, kein Bett, kein Brot“, schreibt er. Ein paar nahmen ihn dann doch mit. Sogar zu einer kleinen Typologie der Fahrer reichte es. Die meisten, die anhielten und einwilligten, ihn mitzunehmen, waren männlich, Mitte 30, einsam. Beiläufig erfuhr er so von den Schicksalen serbischer Männer, die sich eine Aufenthaltserlaubnis in Italien besorgen, unter falschem Namen. Oder von einem schwulen Pärchen in Mazedonien, das seine Liebe unter keinen Umständen offen ausleben kann.

Er lernte, dass Belgrad nach einer längst untergegangen geglaubten Welt riecht, einer Welt, in der Autos noch katalysatorfrei herumfahren. Der Kreis schloss sich, als ihm dort eine Kerze in die Hand gedrückt wurde, die einst von einer Pilgerreise nach Jerusalem mitgebracht worden war: Er solle sie nach Israel zurückbringen und dort anzünden.

Girshovichs Reise zeigte ihm, dass sich nicht nur die Gastfreundschaft von Land zu Land wandelt. Da ist die totale Verlässlichkeit in Deutschland, so denn mal Hilfe angeboten wird; über die „falsch verstandene“ Gastfreundschaft in der Türkei, wo man ihm gar ein Hotel zahlte, als man herausfand, dass er Jude ist – den wollte man sich nicht ins Haus holen; bis hin zum ausschweifend gedankenlosen Einladen in der arabischen Welt, wo klar ist: Erst die dritte Einladung ist ernst gemeint.

Nein, auch Girshovich als Reisender verändert sich stärker, als er zuvor vermutet hätte: Immer wieder wurde er auf seine eigenen Vorurteile zurückgeworfen. Etwa als er auf Ronny und Jacqueline trifft: Sie kommen aus „Fantasy Island“, an ihren Händen „strassbesetzte Fingernägel“ – Girshovich hat sich seine Meinung schon gebildet. Doch dann: „Beim nächsten Halt bestellte Ronny zwei Cheeseburger für mich mit“.

Dass Girshovich sich schämt, ist offensichtlich: „Es gibt Ignoranten, die meinen, Güte, Mitmenschlichkeit seien eine Frage von Bildung. Ich war anmaßend. „Diese Art der Reise mache demütig, sagt er. Allein deshalb empfehle er eine solche Tour jedem Misanthropen wärmstens. Der sei danach garantiert geheilt.

Was in seiner Phantasie begann – als Kindheitstraum von Kreuzzügen, Rittern, einem diffusen „Orient“ und dem „Sehnsuchtsort“ Jerusalem – manövrierte ihn regelmäßig in ein moralisches Dilemma. Etwa, wenn er als Mann aus dem reichen Deutschland auf buchstäblich bettelarme Menschen traf. „Ich wollte die Gastfreundschaft nicht überstrapazieren, die Last, die ein zusätzlicher Mensch darstellt, so gering wie möglich halten“, sagt Girshovich. „Ich war für alles dankbar, egal ob Kekse oder Weißbrot.“

Besonders krass prallten diese Welten aufeinander, als er an der jordanisch-syrischen Grenze stand und Geld für ein Ausreisevisum zusammenkratzen musste. Es war ihm unangenehm, aber er musste da durch, wollte er seinen Plan durchziehen. Von jedem der Wartenden bekam er am Ende einen Dinar, es reichte. „Wenn jeder nur einen halben Dinar, einen Groschen, gegeben hätte, hätte es eben etwas länger gedauert“, sagt Girshovich, ganz pragmatisch.

Odysseus wollte damals schlappe 700 Kilometer von Troja zurück auf seine Heimatinsel Ithaka, Josef Girshovich von Berlin nach Jerusalem, über 5000 Kilometer Weg.
Odysseus war zehn Jahre unterwegs. Girshovich gerade einmal zweieinhalb Wochen. Und doch schleppte er Homers Reise-Epos als Lektüre in seinem Rucksack mit. Er wollte auch einer werden, der „vieler Menschen Städte gesehen und Sitte gelernt hat“. Auch ohne Sirenen, ohne Gefangennahme, ohne Schiffbruch.
Alles verlief glimpflich, dennoch ist der Berliner überzeugt: Würde er heute noch mal losziehen, hätte er wohl nicht mehr dermaßen viel Glück.
In der Tat, anders als Odysseus erlebte Girshovich schiere Wonne auf seiner verhältnismäßig sanften Irrfahrt. So saß er am Ende in Troja, in der heutigen Türkei, und las mitten in der Ausgrabungsstätte die Odyssee. Dort, wo für den griechischen Helden alles begann.

Geradezu „erhebend“ sei das gewesen, findet Girshovich. „Es gibt wenig Schöneres auf der Welt.“

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