Nikos erzählt…. Anna 2. Akt: Ein Interview.

Nikos stellt vor…. Anna Agathonos, 2. Akt

Wir hatten ein Date!

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Anna Agathonos. Foto: Jessica Bochinski.

Ok, nichts Neues, wird der Eine oder Andere sagen. Aber wir, meine Frau und ich, hatten gleichzeitig ein Date mit Amneris, der Tochter des ägyptischen Königs, der Zigeunerin Carmen, dem Prinzen Orlofsky und Maddalena aus Rigoletto und alle waren es eine Person: Anna Agathonos.

Wir trafen uns beim Griechen und später bei uns zum Kaffee und Anna berichtete, erzählte, argumentierte und sie öffnete ihre Seele:

  • Du bist in Athen geboren. Erzähl uns über Deine Kindheit und wann es Dich/Euch nach Deutschland verschlagen hat.

Meine Eltern haben während ihres Studiums in Deutschland die deutschsprachige Kultur kennen- und lieben gelernt und so sind auch mein Bruder und ich mit dieser Kultur aufgewachsen. Wir haben Advent und Weihnachten wie es in Deutschland üblich ist gefeiert, waren im Skiurlaub in deutschsprachigen Ländern und haben beide sehr früh Deutsch gelernt. Angeblich waren meine ersten Worte sogar auf bayrisch, weil wir ein bayrisches Au-Pair-Mädchen hatten, als ich ganz klein war. Und meine Satzbildung war, als Veronika nicht mehr bei uns war, halb halb … halb deutsch, halb griechisch. Mit sechs Jahren habe ich dann mit dem Deutschunterricht begonnen.

  • Wie alt warst Du, als Du nach Deutschland gekommen bist?

Deutschland kam später, zuerst kam ich nach Österreich. Ich war damals 15 und wollte unbedingt zu einem Musikgymnasium nach Wien. Meine Mutter unterstützte mich sehr bei diesem Wunsch und es gab wohl da einige heiße Diskussionen zwischen meinen Eltern, ob es richtig sei, „das Kind“ so früh ins Ausland ziehen zu lassen. (lacht) Mein Bruder, der etwas älter als ich ist, hat damals bereits in Wien studiert und so durfte ich zu ihm. Nach der Matura besuchte ich die Universität für Musik und schloss sie erfolgreich ab. Dann ging ich zwei Jahre ans Opernstudio von Marseille. Dort wurde meine Liebe zu Frankreich geweckt und dort fand ich auch zurück zu meinen mediterranen Wurzeln.

2001 führte mich mein erstes Festengagement nach Gelsenkirchen. Ursprünglich war es für ein Jahr vorgesehen, schließlich wurden neun Jahre daraus. Realisiert werden konnte dies durch eine sogenannte Sänger-Patenschaft, der Verein der Freunde des Musiktheaters im Revier Gelsenkirchen hatte einen Teil meines Gehaltes übernommen. Meine Eltern hatten damals ein etwas veraltetes Bild vom Ruhrgebiet und fragten, leicht besorgt, wie lange ich denn in Gelsenkirchen bleiben wolle. Aber schon bald haben sie die hochqualitative Arbeit am dortigen Musiktheater und die netten Leute in meinem Umfeld überzeugt und sie kamen mich in den Jahren meiner Tätigkeit dort oft und gerne besuchen.

  • Anna, ich weiß jetzt, nicht ob Dich Deine Hexen-Rolle in Rusalka dazu gebracht hat, zwei weitere Fragen von mir zu beantworten, ohne dass ich sie vorher geäußert habe. Ich werde jetzt einfach meinen Spickzettel weglegen.

Ja, da siehst Du mal was man für Fähigkeiten entwickelt als Hexe! (lacht)

  • Carmen / Die Amneris in Aida / Rosenkavalier sind typische Mezzosopran-Partien. Aber Du singst auch noch Bach, Wagner, und und und…. Mach mich hierzu etwas schlauer.
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Anna Agathonos. „Samson et Dalia“ am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen. Foto: Pedro Malinowski.

Wir studieren ja in erster Linie Musik und nicht nur Gesang. Außerdem bin ich als Mensch neugierig und als Musiker gerne vielseitig. In der Kulturstadt Wien habe ich alles mitgenommen, was man mitnehmen konnte und mir tausende Sachen angehört.. Als Musikstudent hat man dort ganz tolle Möglichkeiten.

Es gibt „schwerere“ Musik, Musik die komplizierter zu erlernen oder zu memorieren ist und es gibt vor allem Stücke, die stimmlich zu einem passen, nicht jeder Sänger kann alles singen. So wie es körperlich verschiedene Typen gibt, gibt es auch verschiedene Stimm-Fächer. Und auch innerhalb des gleichen Stimmfachs gibt es Unterschiede. Früher habe ich viel Mozart und Rossini gesungen, das ist was für den lyrischen Mezzosopran, da ist die Stimme etwas leichter, beweglicher, etwas näher am Sopran. Mit der Zeit ist die Stimme gewachsen, sie ist reifer, schwerer geworden und ermöglicht mir Partien wie die Amneris in Aida oder eben die Jezibaba, die ich gerade singe.

Gut ist, was einen anspricht. Das habe ich bei einem Liederabend in Athen gemerkt, als ich das Programm leicht veränderte und inhaltlich vereinfachte, weil ich meinte, dass die westliche klassische Musik nicht unbedingt was für griechische Ohren ist. Aber nach dem Abend kam ein junger Mann auf mich zu und sagte mir, dass ihm gerade die Schubert- Lieder besonders gefallen hätten. Es war deutsch, es gab keine Übersetzung, aber es waren Schuberts Lieder, die ihn besonders angesprochen hatten.

  • Welches ist Deine Lieblingsrolle?

Meistens ist es gerade die, die ich gerade singe oder die, die ich mir wünsche. Amneris finde ich ganz toll. Carmen war auch ein absoluter Höhepunkt. Früher war Cenerentola von Rossini, die nach dem Märchen Aschenputtel kommt, meine absolute Leibrolle und das nicht nur, weil der Mezzo in dieser Oper, im Gegensatz zu den meisten Stücken, am Schluss den Tenor bekommt. (lacht)

  • Welche Rolle möchtest Du noch singen?

Sehr gerne würde ich die Eboli in Don Carlos singen und vielleicht eines Tages mehr Partien von Wagner. Die Ortrud in Wagners Lohengrin steht ja demnächst am Theater Pforzheim an (Premiere: 6. Juni).

  • Wieviel Stunden übst Du?

Pauschal ist es schwer zu sagen. Als Sänger kann man nicht so lange üben wie ein Pianist. Zum Einsingen brauche ich zwischen zehn und dreißig Minuten. Das Erlernen der Partien ist intensiver und stückabhängig. Singen ist etwas, was man schwer an der Uhr abmessen kann. Mezzosopran ist für mich als Laie die Stimme zwischen Sopran und Alt und unterscheidet sich durch die Klangfarbe.

  • Wie würdest Du Deine Stimme beschreiben?

Ich würde sagen, ich habe eine runde, warme Stimme, gerade in der Mittellage, und eine gute Tiefe.

  • Wie bereitest Du Dich auf eine Rolle vor?

Die Noten und den Text einstudieren, historische Hintergründe dazu lesen, mir Gedanken über meinen Bühnencharakter machen und natürlich auch das Ganze auswendig lernen. Ich höre mir viele Aufnahmen an, nicht um einen Sänger zu kopieren, sondern damit ich eine Ahnung davon bekomme, was im Orchester passiert, schon bevor die Proben mit Orchester losgehen.

  • Hast Du eine Lieblingsstadt?

Ist sicherlich klischeehaft. Als junges Mädchen wollte ich unbedingt in Rom leben. Später lernte ich Paris kennen und war überrascht von den Dimensionen. Die meisten Freunde sagten: Spinnst du, Paris ist viel zu laut, viel zu teuer. Aber wenn ich tatsächlich eine Stadt nennen müsste, würde ich Paris sagen. Wer in Athen groß geworden ist, braucht sich vor Paris nicht zu fürchten.

  • Was liebst Du an Deinem Beruf und was magst Du weniger?
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Anna Agathonos. „Amneris in Aida“ am Musiktheater im Revier Gelsenkirchen. Foto: Pedro Malinowski.

Ich liebe den kreativen Prozess und das Sich-immer-wieder-in-verschiedene-Charaktere-hineinversetzen, das hält jung! Ich finde es toll, dass man Leute erreicht, glücklich macht oder berührt und außerdem ist es eine sehr kommunikative Sache, weil man auf der Bühne mit vielen anderen Menschen zu tun hat. Selbst bei einem Liederabend ist noch ein Pianist oder ein anderer Musiker dabei. Allein singt man in der Regel nicht.

Als unangenehm empfinde ich, dass die Vermarktung immer wichtiger wird und dass man das Produkt, also sich selbst, an den Mann bringen muss; dieses sich selbst Anpreisen finde ich lästig. Außerdem ist es manchmal schwer, mit Kritik an der eigenen Person umzugehen, man ist doch ziemlich leicht angreifbar.

  • Du hast die Thematik Kritik angesprochen, wie gehst Du damit um?

Mich trifft negative Kritik (noch) immer. Es gibt viele Kollegen die sagen, ich lese keine Kritiken, bin mir jedoch ziemlich sicher, dass das nicht ernst gemeint ist. Oft google ich meinen Namen, natürlich in der Hoffnung, dass ich was Gutes finde. (lacht) Kritik finde ich gut, wenn sie konstruktiv ist, wenn ich das Gefühl habe, der Mensch kennt sich mit der Materie aus und unterstreicht, dass es seine ganz persönliche Meinung ist, die er kundtut. Die Wortwahl ist natürlich wichtig und sollte niemanden zu nahe treten und verletzen.

  • Träumst Du griechisch oder deutsch?

Jetzt kommst Du auch noch mit einer Standardfrage, die ich nicht wirklich beantworten kann, weil ich denke, dass ich nicht in Sprachen träume. Ich spreche fünf Sprachen, aber in meinen Träumen viel, viel mehr. (lacht) Spanisch kann ich nicht, aber ich habe einmal geträumt, dass ich an einer Bushaltestelle in Wien mit José Carreras, den ich sehr mag, Spanisch gesprochen hätte.

Ich würde mich als mindestens bilingual bezeichnen. Der Rest hängt davon ab, wo ich mich gerade für längere Zeit aufhalte. Wenn ich längere Zeit nicht in Griechenland war, kann’s passieren, dass ich auf Deutsch denke und ins Griechische übersetze. Das gibt sich aber mit der Zeit. In meinem Fachbereich, also Musik, fällt es mir einfacher, mich auf Deutsch auszudrücken. Was ich hingegen absolut auf Griechisch mache, ist das Zählen.

  • Du hast von Carreras gesprochen, denkst Du, dass er zusammen mit Pavarotti und Domingo die Wiedergeburt der Oper herbeigeführt hat?
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Anna Agathonos. „Carmen“ am Stadttheater Pforzheim. Foto: Sabine Haymann.

Nein, das würde ich so nicht sagen, die Oper war ja nie tot und ist eigentlich nicht totzukriegen! Ich habe viele Jahre in Wien gelebt und dort zum Beispiel ist die Oper allgegenwärtig, weil sie zur Stadt und ihrem reichen Kulturleben einfach dazugehört. Die Vermarktung, die mit den drei Tenören angefangen hat, ist ein Zeichen der heutigen Zeit.

  • Verfolgst Du die griechische Musikszene?

In meinem Elternhaus hört man kaum griechische Musik, ich bin also nicht damit aufgewachsen. Trotzdem habe ich als Musikerin und neugieriger Mensch auch ein Interesse an der Musik meiner Heimat. So integriere ich in meinen Liederabenden gerne auch griechische Musik, aber eher aus dem klassischen Bereich oder dem sogenannten „éntehno elliniko tragoudi“, also dem folkloristischen Kunstlied (u.a. Hadjidakis, Theodorakis, Xarchakos).

In letzter Zeit habe ich mich auch mit der Musik der Zwischenkriegszeit, wie z.B. Attic und Sogioul, beschäftigt. Diese Lieder wurden tatsächlich von meinen Großeltern, aber auch noch meinen Eltern, sehr gerne gesungen. Ich denke nicht, dass ich die Strömungen heutzutage mitbekomme. Ich habe es allgemein nicht so mit Strömungen. (lacht)

  • Was hörst Du im Autoradio?

Da ich in letzter Zeit viel zwischen Gelsenkirchen und Pforzheim pendle, höre ich oft die Opern, die ich gerade einstudiere, einfach, um die Zeit sinnvoll zu nutzen und die Partien zu memorieren. Zum entspannen höre ich gerne lateinamerikanische Musik, da ich sehr gerne dazu tanze, klar, nicht beim Fahren. (lacht) Auch Jazz mag ich sehr gerne. Bei griechischer Musik muss ich in der richtigen Stimmung dafür sein, weil sie mich manchmal etwas zu melancholisch stimmt.

  • Fällt Dir eine Frage ein, die Du gestellt bekommen hast und dachtest: Mein Gott ist das eine saublöde Frage?
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Anna Agathonos. „Jezibaba in Rusalka“ am Stadttheater Pforzheim. Foto: Sabine Haymann.

Doch, es gibt eine saublöde Frage, die lautet: Wann ist es denn so weit? (ich bin kinderlos). Und noch ein Tüpfelchen drauf war es, als man mich erst kürzlich fragte, ob ich die werdende Großmutter von einer Kollegin sei, die gerade ein Kind erwartete (Anmerkung von Niko: Die temperamentvolle Anna macht alles andere als den Eindruck einer Großmutter).

Genauso unangenehm ist es, wenn man als Griechin gefragt wird, was die Lösung der griechischen Probleme ist. Wenn ich eine Lösung hätte, würde ich diese sicherlich publizieren, aber ich denke, dass die wenigsten von uns die komplizierte und vertrackte wirtschaftliche Thematik abseits aller Klischees verstehen.

Ich denke jedoch, dass vieles einfacher wäre, wenn wir nicht ständig das Wort Rentabilität in den Mund nähmen und auch, wenn wir uns vor allzu schnellen und klischeehaften Urteilen hüten. Ich habe mich sehr früh daran gewöhnen müssen, fremd zu sein und man darf niemals vergessen, dass jeder Mensch wo anders fremd ist. Aber gerade diese Andersartigkeit der verschiedenen Mentalitäten in der EU empfinde ich als Bereicherung; wir müssen nicht alle gleich werden, um uns zu verstehen und miteinander zu leben.

  • Danke, Anna.

Wir hätten stundenlang weiter reden können und der schöne Sonntag mit Anna Agathonos ermöglichte uns eine „Operndiva“ sehr privat und sehr persönlich kennen zu lernen. Sie isst ihre Lammkoteletts mit den Händen wie jeder normale Mensch. Panierten Käse mag sie, ebenso wie Tsatsiki und sie kann sehr gut Malamatina von anderen Retsinasorten unterscheiden. Den griechischen Kaffee trinkt sie halbsüß, eher ein wenig hin zum Bitteren und sie hat ein mitreißendes Lachen, das von innen kommt. Und als wir sie wenige Tage später als Hexe Jezibaba in der Oper Rusalka sahen, war sie wieder dieser Poltergeist voller Emotionen mit dem schelmischen Blick.

Wir freuen uns auf weitere musikalische Erfrischungen mit Anna und wir freuen uns einen so lieben Menschen kennengelernt zu haben.

Euer Niko


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