Von Michael Andreas Dirksen
Hier hat der Tourismus Unersetzliches zerstört.
Bezeichnend ist die Tatsache, daß es für “Gast“ und “Fremder“ in Griechenland nur ein Wort, nämlich “Xénos“ gibt.
War es früher heilige Pflicht, dem fremden Ausländer den Schutz der Familie und des Dorfes anzubieten, ihn zu bewirten und eine Schlafstatt anzubieten, trifft man diesen uralten Brauch heute nicht einmal mehr in den abgelegenen Bergdörfern. Viel zu oft wurden die freundlichen Gastgeber ausgenutzt. Natürlich wird man auch hier und da einmal eingeladen, aber mit der echten “Philoxenía“ hat das herzlich wenig zu tun.
Ehrgefühl oder Ehrliebe: die Kreter sind temperamentvoll und in ihren Gefühlen meist sehr direkt. Vor allem ihr Ehrgefühl, das “Philótimo“, ist sehr ausgeprägt – entsprechend leicht kann es verletzt werden. Man ist Fremden gegenüber offen und freundschaftlich eingestellt, doch kann das schnell umschlagen, wenn z.B. das Gefühl aufkommt in eine zweideutige Angelegenheit verwickelt zu werden.
Die “Philoxenia“, also die “Fremdenliebe“ kann man überall kennenlernen. Es ist schon fast beschämend, mit welcher Herzlichkeit der Grieche und besonders der Kreter den Fremden empfängt, selbst in den abgelegendsten und ärmsten Dörfern. Eventuelle Verständigungsprobleme sollte einen nicht davon abhalten eine Einladung zum Kaffee oder Raki anzunehmen, zumal sich meistens jemand findet, der den Dolmetscher spielt. Nach und nach wird sich das gesamte Dorf um einen versammeln und sich ungeniert nach den persönlichsten Lebensumständen erkundigen.
Anders als bei uns ist es in Griechenland geradezu unhöflich, sich nicht nach dem Privatleben des Gesprächspartners zu erkundigen. Hat man alle nur erdenklichen Fragen beantwortet, wird man zu politischen Tagesfragen übergehen. Man ist erstaunt, wie gut sich selbst einfache Menschen in der europäischen Politik auskennen. Eigentlich kein Wunder, denn Zeitunglesen ist das große Hobby der Griechen.
In den Städten entlang der Nordküste hat die Gastfreundschaft mit dem einsetzenden Massentourismus eine Reduzierung erfahren, bzw. man geht heute selektiver mit ihr um, nachdem viele Einheimische erleben mußten, wie vor allem junge Leute ihre Freigiebigkeit schamlos ausnutzten, um den Urlaub so billig wie möglich zu gestalten.
Doch auch hier wird man es oft erleben, daß einem beim Betreten eines Geschäftes ein Kaffee oder eine Erfrischung angeboten wird. Man sollte dies nicht als besonders raffinierte psychologische Bearbeitung auffassen, die zum Erwerb eines bestimmten Artikels animieren soll, griechische Lebensart erfordert es einfach, bei geschäftlichen Vorgängen aller Art etwas anzubieten. Dies heißt nicht, daß man bei den anschließenden Kaufverhandlungen nicht auf der Hut sein müsste, um nicht übervorteilt zu werden, denn das wird als eine Frage der Intelligenz und Cleverness angesehen.
Eine Einladung zurückzuweisen gilt als grobe Unhöflichkeit. Einen Gast zu haben, wird nicht nur als Ehre betrachtet, da es einen Prestigegewinn bringt, sondern bringt nach griechischer Vorstellung auch Glück und wendet Unheil ab.
Die griechische Gastfreundschaft, die häufig in eine regelrechte “Xenomanía“ ausartet, der sich der Fremde oft nur schwer entziehen kann, ist ein Erbe der Antike. Auch heute noch genießt der Fremde in Griechenland stärker als anderswo den Schutz der Behörden (Touristenpolizei).
Der Fremde wird als eine Art Sonderwesen behandelt, sei es, daß man ihm bei einer Essenseinladung im Familienkreis die besten Stücke vorlegt, im Restaurant wie selbstverständlich seine Rechnung mitbezahlt, auch wenn man ihn gerade kennengelernt hat, ihn aus einer Schlange von Wartenden heraus bevorzugt abfertigt, oder ihm im Autobus den letzten freien Platz anbietet. Gastfreundschaft hat in Griechenland eine uralte Tradition.
Ihre Wurzel liegt in der Notwendigkeit, ein soziales Netz zu knüpfen, das über die Familie hinausgeht und wer eine Einladung annimmt, geht nach ungeschriebenem Gesetz eine unumstößliche Verpflichtung auf Gegenseitigkeit ein.
In Reiseführern ist oft zu lesen, es sei eine Beleidigung für den Gastgeber, wenn Fremde eine Einladung ablehnen. Dem ist nicht so. Griechen lehnen Einladungen sehr oft ab. Man möchte sich nicht in die Abhängigkeit eines anderen begeben. Im Gegenteil, man möchte selbst einladen und sich so gleichsam eine Klientel schaffen.
Der Tourist hat aber in der Regel keine Gelegenheit, sich bei einem Einheimischen für eine Einladung zu revanchieren. Hier wäre höfliche Ablehnung der angetragenen Gastfreundschaft oft angebrachter als deren Annahme.
Da in diese Hochachtung des Fremden unbewusst magische Vorstellungen aus der Frühzeit mit hineinspielen, wie man sie heute noch bei Naturvölkern findet (der Fremde wird in die Schutzgemeinschaft der Familie, des Dorfes aufgenommen, wobei gleichzeitig die zunächst von allem Fremden aus gehende Gefahr gebannt ist), ist der Umgang mit den Fremden gewissen Riten unterworfen: man spricht auf den Dörfern nicht eher mit dem Fremden, als bis dieser das Wort an den Einheimischen gerichtet hat. Man sollte sich daher die häufigsten griechische Begrüßungen einprägen.
Der schönste Gruß, den man auf dem Lande noch hört, ist das geradezu biblisch klingende „Chérete – Freut Euch“.
Der Autor
Meinem erstem Kreta-Aufenthalt 1965 folgten weitere. Das Ergebnis: „akutes Insel-Fieber“, auch „Virus creticus“ genannt. Daraufhin bin ich 1984 auf die Insel umgezogen. Eine Heilung ist allerdings nicht in Sicht.
Während ausgedehnter Streifzüge über die Insel habe ich mein Wissen über die hiesige Flora, Fauna und Geologie erweitert. Zu meinen besten Freunden und Informanten gehören die einheimischen Schäfer und Dorfbewohner. Mehr als die Hälfte meiner 24 Jahre auf der größten griechischen Insel habe ich geführten Wanderungen, Trekkingtouren und Busausflügen gewidmet und so nebenher mehr als 100.000 km mit meiner Enduro gesammelt. Griechische Sprachkenntnisse, vor allem des kretischen Dialektes, haben mir Türen bei der Bevölkerung geöffnet und das Verständnis für Sitten und Gebräuche erleichtert.
Es wird mir eine Freude sein, diese Kenntnisse über Land und Leute mit Ihnen zu teilen.
Michael Andreas Dirksen.