Nikos erzählt…. Geschichten von Griechenland und anderswo.
Vor kurzem haben wir die Bilder so vieler Toten gesehen, die wie Müll im Mittelmeer treiben. Ihre schwimmenden Särge sind entweder überladen oder so alt und morsch, meistens jedoch beides. Sie werden von Menschenschmugglern und Menschenverächtern nach Zahlung von zigtausend Euro ihrem Schicksal überlassen. Man sieht es im Fernsehen oder liest es in der Zeitung und innerlich weiß man, Italien oder Griechenland, wo diese Menschen, wenn sie etwas Glück haben, lebendig landen, ist weit weg. Und fremder Schmerz bleibt fremd.
Wir nehmen unser Abendbrot ein, trinken unser Bier, während in der Tagesschau die Berichte laufen. „Die sind aber arm dran“, sagt man, um dann wieder zur Tagesordnung überzugehen.
Am Tag vorher haben wir auf www.radio-kreta.de gesehen, dass diese überladenen Boote sogar in Paleochora von den Hafenbehörden angeschleppt werden. Schon etwas näher, dieser Schmerz, wenn man weiß, dass dort Freunde leben. Während ich wieder ansetze, den letzten Rest meines Bieres zu trinken, läutet es an der Tür. Unsere Nachbarin Erika war gerade bei uns und wollte gehen. „Warte“, sagte ich, „mal schauen, wer da ist.“ An der Tür standen zwei andere Nachbarn von uns. Wir wohnen in einem Hochhaus in einer kleinen Gemeinde im Süden Deutschlands. Wir kannten uns vom Sehen und einem flüchtigen „Guten Tag“.
Die Unterschriftensammlung
Ich bat die zwei herein und sie erzählten uns, dass sie eine Unterschriftensammlung veranstalten. Nach dem Grund gefragt sagten sie, dass der Enzkreis, in dem wir wohnen, alle Gemeinden angeschrieben hat, um geeignete Übergangswohnheime für Asylanten zu benennen. Da unsere Gemeinde eine neue Turnhalle hat, steht die alte seit geraumer Zeit leer, und diese leer stehenden Halle soll umgebaut werden damit Platz geschaffen wird für bis zu dreißig Flüchtlinge. „Wir wollen in unserer Gemeinde keine Flüchtlinge“, sagten die beiden und die Erklärung schoben sie nach, diese alte Turnhalle sei ja in der Nähe der Grundschule und ihre Kinder seien dann nicht mehr sicher.
Die Frau hielt mir die Liste zur Unterschrift hin. Das Klemmbrett, auf dem die Liste befestigt war, stammte optisch schon nicht aus heimischen Gefilden. Zwar kann ich griechische Buchstaben lesen, aber die russische Schrift weicht stark ab. Und auf diesem Klemmbrett stand etwas für mich Unleserliches auf Kyrillisch. „Ich werde nicht unterschreiben“, sagte ich zu unserem Besuch. Meine Frau wie auch Erika stimmten mir zu. „Ich werde Euch auch das Warum sagen. Schaut mal, vor knapp zehn Jahren gingen Leute von Haus zu Haus und haben sich dafür stark gemacht, dass Menschen aus dem Ostblock (beide Unterschriftensammler sind Russland-stämmige) kein Gemeindeland kaufen dürfen. Man hatte Angst davor, dass die Bevölkerung durch Aussiedler aus Russland oder der Ukraine unterwandert wird. Hättet Ihr damals unterschrieben?“ Beide schauten mich verwundert an. „Würdet Ihr unterschreiben, wenn es heißen würde, dass alle, die nicht im Enzkreis geboren sind, zurück müssen in die Breitengrade ihrer Geburtsstadt?“ „Das ist etwas anders“, sagte der Mann. Und auf meine Frage, was „Anders“ sei, wusste er keine Antwort.
„Ich freue mich immer, wenn Menschen Eigeninitiative ergreifen“, fuhr ich fort. „Aber diese Unterschriftensammlung kann von mir nicht unterstützt werden. Lasst mich Euch jedoch ein Zitat von dem evangelischen Pfarrer Martin Niemöller nennen:
- „Als die Nazis die Kommunisten holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Kommunist.
- Als sie die Sozialdemokraten einsperrten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Sozialdemokrat.
- Als sie die Gewerkschafter holten, habe ich geschwiegen; ich war ja kein Gewerkschafter.
- Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren konnte.“
Später, kurz bevor ich Kostas anrief, las ich „…..das Sammeln von Unterschriften ist eine politische Aktionsform. Das Ziel solcher Aktionen ist es, auf Missstände aufmerksam zu machen, die nach Auffassung der Unterschriftensammelnden von Entscheidungsträgern nicht ausreichend wahrgenommen werden.“
„Dieses ist absolut richtig“, sagte ich später zu Kosta, aber nicht auf Kosten der Menschlichkeit und der Barmherzigkeit. „Du hast Recht“, sagte er daraufhin. „Gott wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf.“
Euer Nikos