Von Miriam Hollstein, Welt.de.
Die Athener Regierung will die Privatisierung ihrer Küste erleichtern. Ein griechischer Stadtplaner aus Berlin führt den Protest gegen das Projekt – und erzielte kürzlich einen ersten Erfolg.
Wenn der Berliner Stadtplaner Ares Kalandides die Augen schließt, sieht er den Strand seiner Kindheit vor sich. Ein Strand, wie ihn die Sängerin Milva einst einmal besungen hat. Klein und versteckt, der Sand weiß wie eine Taube, das Wasser blau wie ein Kieselstein. Man musste ewig laufen, um ihn zu erreichen. Und wenn man ankam, waren die Beine von den Sträuchern zerkratzt.
Seit fast 25 Jahren lebt der gebürtige Grieche in Berlin. Als Stadtplaner hat er eine eigene Firma gegründet, beschäftigt zehn feste Mitarbeiter. Er hat jetzt eher mit Fragen zu tun, ob man ehemalige Flughafenflächen bebauen sollte oder wie man junge Menschen in sterbende Orte in Ostdeutschland zurückbringt. Aber das Bild vom Strand seiner Kindheit ist in seinem Kopf geblieben.
Deswegen merkte er auf, als er von einem neuen Gesetzentwurf der griechischen Regierung erfuhr: Ginge es nach diesem, würden große Teile der Küste zur Privatisierung freigegeben. Griechenlands Küste ist fast zehntausend Kilometer lang. Es gibt dort viele solcher Strände wie jenen aus Kalandides‘ Kindheit. Der freie Zugang zum Strand ist in Griechenland ein Verfassungsrecht. Aber das Land ist in der Krise. Durch den Verkauf von Staatsbesitz soll der marode Haushalt aufgebessert werden.
„Es hätte die absolute Zerstörung bedeutet“
Anfang Mai informierte ein in Paris lebender Grieche Ares Kalandides über das Gesetzesvorhaben und bat ihn um eine Experteneinschätzung. Der Stadtplaner hat keine Vorbehalte gegen Privatisierungen. „Man muss von Fall zu Fall überprüfen, ob es sinnvoll ist.“ Bei der Telekommunikation sei die Privatisierung eher von Vorteil gewesen, im öffentlichen Verkehr eher von Nachteil. Auch im Fall der griechischen Küste fand Kalandides den Ansatz einer Regulierung richtig.
Aber als er sich mit den Plänen befasste, war er entsetzt: „Es hätte die absolute Zerstörung bedeutet“, sagt Kalandides. Der Entwurf sah unter anderem vor, dass jede Art von illegaler Bebauung der Küste durch eine entsprechende Bezahlung sofort legalisiert werden sollte. „Damit wäre das komplett offen für Korruption und Klientelismus.“
Außerdem sah der Gesetzentwurf vor, bei Großinvestitionen Land durch Aufschüttung im Meer zu gewinnen. Wäre er umgesetzt worden, so hätten unberührte, frei zugängliche und unbebaute Strände bald wohl der Vergangenheit angehört.
Mit einer Facebook-Gruppe fing es an
Mit fünf Auslandsgriechen sowie ein paar griechischen Bekannten gründete er die Facebook-Gruppe „Save the Greek Seashore“ (Rettet die griechische Küste). „Das war das Einfachste, was uns einfiel“, sagt Kalandides. Am Karfreitag ging die Seite online, zwei Wochen später hatte sie 34.000 „Gefällt mir“-Fans.
Weil „Liken allein niemandem hilft“, entwarf die Gruppe ein Sechs-Punkte-Aktionsprogramm: Möglichst viele Leute sollten den Gesetzentwurf lesen, ihre lokalen Politiker zur Stellungnahme auffordern, die Abgeordneten ihres Landkreises kontaktieren, die zuständigen Europaabgeordneten anschreiben und sich an die Zeitungen wenden.
Bald berichteten alle griechischen Medien und einige ausländische über das Thema. Als Reaktion verlängerte die Regierung die Einspruchsfrist gegen den Gesetzentwurf. „Die haben richtig Schiss bekommen“, sagt Kalandides. Er selbst war überwältigt von der Dynamik, die durch die Facebook-Gruppe ausgelöst worden war: „Das zeigt, dass Internetaktivismus kein Couchaktivismus sein muss.“ Vor allem aber hätte die Facebook-Seite eine intensive Diskussion über das Gesetz ausgelöst. „Da wurden Argumente mit Gegenargumenten ausgetauscht, ganz ohne Beleidigungen und Beschimpfungen.“
Bis zur Finanzkrise fühlte er sich als Deutscher
Der 49-Jährige ist kein Überzeugungstäter. Bei politischen Auseinandersetzungen hat er oft auch Verständnis für die Gegenseite. Mit Menschen, die in Schwarz-Weiß-Kategorien denken, tut er sich schwer. 25 war Ares Kalandides, als er in die deutsche Hauptstadt kam, der Liebe wegen. Dann fiel die Mauer, und die Liebe ging.
Aber Kalandides blieb, weil er sich inzwischen neu verliebt hatte: in die Stadt. „Hier war auf einmal alles möglich“, sagt er. 1992 begann er in der Senatsbauverwaltung zu arbeiten. Mit 40 ging er wieder nach Griechenland, studierte Stadtplanung und promovierte. Danach kehrte er wieder zurück.
„Stadtplanung wird in Deutschland ernst genommen“, ist seine Erfahrung. „Das ist in nur wenigen Ländern der Fall.“ Besonders in Berlin werde die Stadtentwicklung nicht nur als physisches, sondern auch als gesellschaftspolitisches Thema begriffen. Ein Beispiel dafür sei das Quartiersmanagement, ein Versuch, in Problemkiezen mit Projekten ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen.
„Merkwürdiger Hass an der Grenze zum Rassismus“
In Deutschland wird Kalandides, der wie ein Zwillingsbruder des französischen Filmstars Lambert Wilson aussieht, selten für einen Griechen gehalten. Seit 2000 hat er die doppelte Staatsbürgerschaft. „Ich habe mich stark als Deutscher gefühlt“, sagt er.
Erst mit der Finanzkrise änderte sich das. Plötzlich waren abfällige Kommentare über Griechenland en vogue. Von „diesem merkwürdigen Hass an der Grenze zum Rassismus“ habe er sich angegriffen gefühlt, sagt Kalandides.
Dabei fühlt er sich auch in Griechenland inzwischen fremd, zieht die deutsche Professionalität, an Dinge heranzugehen, dem griechischen Laissez-faire vor: „Ich würde nicht dauerhaft in Griechenland arbeiten wollen.“ Aber er ist regelmäßig in der Heimat zu Besuch. Nicht zuletzt, weil Teile seiner Familie noch dort leben.
Eine Berliner Wohnung sind seine Wurzeln
Die griechische Regierung hat den Gesetzentwurf zur Privatisierung der Küste inzwischen ganz zurückgezogen. Der Widerstand war zu groß geworden. Ares Kalandides glaubt, dass die Angelegenheit damit noch nicht vom Tisch ist. „Sie werden versuchen, das in geänderter Form im Rahmen eines größeren politischen Pakets durch die Hintertür wieder einzubringen“, sagt er: „Wir werden wachsam bleiben.“
Aber auch die Aktivisten sind sich nicht mehr ganz einig. Umweltorganisationen fingen an, das Thema für sich zu beanspruchen; auch ein paar notorische Querulanten mischten sich in die Gruppe. Deshalb hat sich Kalandides etwas aus der Initiative zurückgezogen. Er hat jetzt wieder mehr Zeit für seine anderen Projekte, etwa jenes, bei dem er versucht, Guben, Gubin, Manchester und Kreta durch gemeinsame Initiativen zu verbinden.
In Berlin hat er sich vor einigen Jahren eine Wohnung gekauft. „Das sind meine Wurzeln hier“, sagt er. Alt werden möchte er aber doch lieber in Griechenland. Alte Menschen würden dort weniger marginalisiert, glaubt er. Und es gibt schönere Strände.
Bravo, Ares.