Von Hansgeorg Hermann, Athen 11.01.2014
»Reform«-Minister Kyriakos Mitsotakis und der griechische Nepotismus
Der Name Mitsotakis ist in Griechenland Synonym für politische Macht, Vetternwirtschaft und Korruption.
Es ist noch nicht allzu lange her – es war zu Beginn der bis heute andauernden Epoche, die landläufig als »Krise« bezeichnet wird -, da gestand der heute 88 Jahre alte griechische Komponist und Widerstandsheld Mikis Theodorakis einem ausländischen Journalisten, dass die Geschicke seines Landes seit seiner Geburt nie von mehr als »zehn Familien bestimmt« worden seien. Namentlich bekannt sind höchstens drei, jene nämlich, die ihre auf Geld gegründete Macht als Minister oder Regierungschefs sozusagen öffentlich ausübten. Einer, der aktuell Jüngste im exklusiven Zirkel, ist der 46 Jahre alte Kreter Kyriakos Mitsotakis. Seit Juni 2012 ist er Fachminister für Verwaltungsreform in der Regierung des Rechtskonservativen Antonis Samaras. Am Neujahrstag 2014, pünktlich zum Beginn der griechischen EU-Ratspräsidentschaft, kündigte er seinen Landsleuten über die Pariser Tageszeitung »Libération« an, dass er in den kommenden Monaten noch einmal 15 000 »Funktionäre«, sprich Beamte, aus dem Staatsdienst entlassen werde.
Wurde Mitsotakis’ harte Haltung in Berlin mit herzlicher Zustimmung und unter den Brüsseler Sparkommissaren mit unverhohlener Begeisterung aufgenommen, sorgte sie daheim in Athen für bitteres Gelächter. Der Name Mitsotakis steht in Griechenland weder für »Reform« – sofern jemand Entlassungen als solche bezeichnen mag – noch für demokratischen Aufbruch oder Systemveränderung. Er ist vielmehr Synonym für politische Korruption und Vetternwirtschaft.
Patriarch der Familie ist der 95 Jahre alte Konstantinos Mitsotakis, Kreter aus Chanià und über seine Mutter verwandt mit dem Venizelos-Klan. Der Vereiniger Kretas mit dem Festland und 1910 Ministerpräsident Griechenlands, Eleftherios Venizelos, war sein Onkel. Konstantinos, der Vater von Kyriakos, habe in seinem Leben landesweit mehr als 1000 Kinder aus der Taufe gehoben, so jedenfalls geht die »wahre kretische Legende«. Er ist ihr »Nonos«, der Pate. Und er ist ihren Eltern der »Koumparos«, der Gevatter. In der griechischen Klientel-Politik ist das eine Last, die es zu tragen gilt. All die Patenkinder und -kindeskinder wollen versorgt werden, am besten mit einem Posten in der Verwaltung oder einem Staatsunternehmen; sie haben nach kretisch-griechischer Tradition ein Recht darauf. Auch wer in die Politik gehen will, darf sich der Unterstützung des »Nonos« gewiss sein.
Konstantinos, »o psilos« (der Lange), wie er in Chanià wegen seiner Körpergröße genannt wird, ein enger Spezi Helmut Kohls übrigens, war selbst das ganze Leben im Geschäft. Mitte der 60er Jahre etwa als Wirtschaftsminister beim Patriarchen eines anderen Klans, jenem des Giorgos Papandreou, dem Vater des Regierungschefs der 80er Jahre Andreas Papandreou und Großvater des 2011 als Ministerpräsident zurückgetretenen Giorgos Andreas Papandreou. Mit einigen anderen Abtrünnigen stürzte Mitsotakis 1965 seinen Gönner und leitete damit die Machtübernahme des Militärs im April 1967 ein. Die Junta verjagte ihn, so wie sie später alle verjagte, die ihr zu Beginn genützt hatten. Im Pariser Exil wurde dann Kyriakos geboren; seine Vorliebe, sich über ausländische Medien an die Öffentlichkeit zu wenden, hat hier ihren Ursprung. Er teilt sie mit seiner vorgeborenen Schwester Dora Bakogianni, die in Deutschland studierte.
Die bald 60 Jahre alte Dora war schon ziemlich viel in ihrem politischen Leben, und immer stand der Papa hinter ihr: Bürgermeisterin von Athen z.B., danach Außenministerin bei einem Vertreter des dritten Klans, dem damaligen Ministerpräsidenten Kostas Karamanlis, Neffe des ehemaligen Regierungschefs der frühen 60er und der Nach-Junta-Jahre sowie Staatspräsidenten Konstantinos Karamanlis. Wegen abweichenden Abstimmungsverhaltens im Parlament aus der heutigen Regierungspartei Nea Dimokratia (ihr Vater ist Ehrenpräsident) geworfen, gründete sie 2010 die Demokratische Allianz (Dimokratiki Symmachia), kehrte aber wegen Erfolglosigkeit 2012 zur ND zurück.
Auch der gegenwärtige Ministerpräsident Samaras ist ein Zögling des Paten. Er war Außenminister bei Konstantinos Mitsotakis, der von 1990 bis 1993 das Land als Regierungschef im Griff hatte, und den jungen, ehrgeizigen Aufsteiger allerdings nach wenigen Monaten wegen (politischer) Untreue aus dem engeren Machtkreis entfernte, worauf dieser wie Dora eine eigene Partei aufmachte.
Zurück in der Nea Dimokratia und zu einem Zeitpunkt Ministerpräsident, der schlechter nicht sein konnte (Krise), braucht er heute als treuer Erfüllungsgehilfe Berlins und der Troïka den Beistand und die Hausmacht des Alten, um seine Politik in der Partei durchsetzen zu können. Hier nun kommt Kyriakos ins Spiel: Der vertritt – seiner Schwester nachfolgend – inzwischen die politischen Interessen der steinreichen Familie und ihrer Klientel. Er ist Vollstrecker des Paten, der von Kreta aus weiter die Hand über jene hält, die er als »Nonos« ein Leben lang betreute. Selten waren es Sozialisten, nie Kommunisten.
Quelle: Neues Deutschland.