Niko…. und die Outtakes
Ein Outtake ist ein Teil eines Films, der bei der Aufnahme entstand, aber nicht zu der offiziell veröffentlichten Fassung gehört. Diese Takes werden dann mitunter auf Film-DVDs als Sonderbeigabe mitgeliefert, meist zeigen sie Versprecher oder Pannen. Outtakes sind häufig humorvolle Teile des gefilmten Materials.
Manchmal kommt es jedoch vor, dass die Szene aufgrund einer Panne nicht verwendet werden kann, die zu einer humorvollen Situation führt – z. B. ein Versprecher. Dieses Material wirft man nach dem Schnitt nicht weg, sondern behält es, eben als Outtake.
Es war mir immer ein Bestreben, bei der Kolumne ‚Nikos erzählt‘ Tatsächliches und leicht Verfremdetes aus dem Leben wieder zu geben. Wer über sich selbst lachen kann, ist ein glücklicher Mensch, und da ich ein glücklicher Mensch bin, versuche ich, die Kolumnen mit einem Schuss Nachdenklichkeit oder manchmal Ironie zu versehen. Das Leben ist doch so vielschichtig.
Aus einigen kleinen, nicht abendfüllende Episoden der letzten Zeit sind keine Geschichten entstanden, und als wir neulich bei Thomas in Gondelsheim saßen, wunderbar Gegrilltes aßen und uns den Retsina schmecken ließen, meinte meine Frau, ob ich nicht eine kleine Kolumne mit Outtakes machen wollte. Hier sind sie also:
Outtake 1: Flug Frankfurt- Heraklion Ostern 2015.
Vor wenigen Wochen war das schreckliche Unglück der Germanwings-Maschine in den französischen Alpen passiert. Wir hatten Athen schon hinter uns gelassen, als der freundliche und der Stimme nach überaus kompetente Pilot eine Durchsage machte: In Heraklion würden sehr starke Seitenwinde herrschen und es sei nahezu unmöglich, dort zu landen. Er würde versuchen, in Chania zu landen, aber wenn die Wetterverhältnisse dort ähnlich wären, müssten wir zurück nach Athen.
Erbarmen! Es war Karfreitag, unser großes Fest musste noch im Detail geplant werden. Der Großeinkauf sollte noch erledigt werden (die Supermärkte hatten ja bis 18:00 Uhr geöffnet) und wir in Chania oder schlimmer noch in Athen! Das Mietauto wartete am Flughafen Heraklion. Ok, der Autovermieter unseres Vertrauens hätte uns sicherlich auch ein Auto nach Chania geliefert und wir wären nach knapp 2 Stunden in Heraklion, aber Athen wäre eine kleine Katastrophe gewesen. Womöglich hätte sich der Windgott nicht gnädig stimmen lassen und wir wären dort festgesessen.
Kurz vor Heraklion sagte der Kapitän: „Vor uns hat es gerade eine Airberlin-Maschine geschafft, zu landen. Wir versuchen das jetzt auch.“
Nach einer überraschend sanften Landung kamen wir in Heraklion an. Als wir ausstiegen, stellten wir fest, was für ein Könner der Pilot war, denn es wehte uns fast von der Gangway. Kostas, der uns wie immer am Flughafen begrüßen wollte und gerade im Begriff war, zu gehen, wunderte sich, uns zu sehen, da auf der Anzeige in der Ankunftshalle zu lesen war, dass die Maschine nach Athen umgeleitet werden würde.
Outtake 2: Marktgasse Heraklion, abends 21:00 Uhr.
Jeder der ortskundig ist, kennt die kleinen Tavernen mit ihrem ganz besonderen Flair. Also sagten wir uns, wir setzen uns mitten im Trubel an einen schönen Ecktisch, um den Altersdurchschnitt der Gäste etwas in die Höhe zu treiben. Um uns herum waren lauter junge Menschen, lass den ältesten 25 Jahre alt sein. Später erfuhren wir – wir hörten es auch-, dass dort nach 22:00 Uhr eine ohrenbetäubende Hiphopmusik gespielt wird. Die Jugend von Heraklion trifft sich dort. Wir also mittendrin. Zu viert warfen wir gute 220 Jahre in die Waagschale.
Wir trösteten uns damit, dass wir mit Vorfreude auf das Essen warteten und ignorierten die immer lauter werdende Musik. Das Essen kam. Meine Frau, Monika und Werner freuten sich ihres Lebens, weil sie auch das erhielten, was sie bestellt hatten. Ich freute mich zunächst auch, bis ich in das zweite Lammkotelett biss und das Abgebissene gekonnt in einer Serviette ausspuckte. Ich mach es kurz: Es war ein Stück Hähnchen, das sich auf meinen Teller verflogen hatte und sich unter den Paidakia versteckt hatte. Wer meine Vorliebe für Lammkoteletts kennt, kann meinen Schreck verstehen. Als die Teller abgeräumt wurden und ich auf die Frage des Kellners, ob das Essen zur Zufriedenheit gewesen wäre, sagte ich, das Lamm sei köstlich gewesen, aber meine Geschmacksnerven wären nicht auf Hähnchen eingestellt. Dann passierte Folgendes innerhalb von Sekunden: mein Teller wurde abgeräumt, man fragte mich ob ich etwas anderes haben wollte, ich verneinte (war doch längst satt), eine riesige Obstschale wurde gebracht, eine Karaffe mit Tsikoudia und ein weiterer Teller mit Süßigkeiten. Ich denke, das Preis-Leistungsverhältnis hatte an diesem Abend gestimmt.
Outtake 3: Heraklion Innenstadt.
Wie mehrfach berichtet, haben sich Mitte April einige Erdbeben rund um Kreta ereignet:
“Seit Sonntagabend haben sich in der Meeresregion vor Kreta mittelstarke Erdbeben ereignet. Das erste hatte eine Stärke von 4,8 auf der Richterskala und ereignete sich um 23.00 Uhr zwischen den Inseln Santorin und Kreta. Das zweite ereignete sich am Montagmittag. Das Epizentrum befand sich 79 Kilometer nordöstlich von Heraklion auf Kreta. Dieses hatte eine Stärke von 3,5 auf der Richterskala. Verletzte oder Sachschäden gab es keine.”
Das erste Beben erlebten wir im Hof, einige liebe Freunde waren da und zum Feiern haben wir schließlich immer einen Grund. Wenn uns keiner spontan einfällt, dann hat irgendein Prominenter Geburtstag. Auf einmal schaut mich mein Schwager Werner fragend an, nein die Retsinaflasche war dieselbe wie die drei zuvor, meine Frau stand bewegungslos da, Kostas war auf seinem Stuhl zur Salzsäule erstarrt und Vassilis kroch in sich zusammen. „Sismos“ (Erdbeben) sagte Kostas. Meine Frau und Werner sagten gleichzeitig. „Ich hab’s gespürt.“ Sicherlich sind hier die geschwisterlichen Gene ähnlich strukturiert. Ich spürte nichts. Am Folgetag ein ähnliches Bild. Wir saßen beim Mittagessen. Vassilis ließ die Gabel fallen, Kosta schaffte es, seinen stark muskulösen Körper in Zehntelsekunden hochzuhieven. Meine Frau und Werner wiederholten den fragenden Blick des letzten Abends, nur ich war wieder einmal der Coolste.
Vielleicht dachte ich über den Naturphilosophen Thales von Milet der um 600 vor Chr. lebte. Er glaubte, die Erde würde wie ein schaukelndes Schiff auf Wasser schwimmen. Bei unruhigem Wasser komme es zu einem Beben. Und wer sagt uns, dass nach reichlichem Retsina Genuß unser Körper nicht auch schaukelt.
Outtake 4: Heraklion Innenstadt.
Auf den Dächern Heraklions thronen die Wasserbehälter aus Blech. Wasser wird in der Regel in den Privathaushalten in der Mittagszeit abgestellt. Dank dieser Behälter jedoch, die mit Hilfe von Pumpen oder sonstiger Regeltechnik täglich befüllt werden, ist Wasserknappheit kein Thema.
Jetzt sollte ich sagen, wäre Wasserknappheit kein Thema, wenn nicht…
- die Pumpe am Vortag nicht eingeschalten worden wäre, da die Automatik defekt war und man diese manuell einschalten musste
- wenn nicht der Motor der Pumpe am Tag darauf den Geist aufgegeben hätte
- wenn nicht Eleni 4 -in Worten: vier- Waschmaschinen Wäsche gewaschen hätte
- und wenn nicht in dieser Woche nicht wie sonst vier, sondern acht Leute in dem Haus gewohnt hätten.
Kurz und bündig, wir hatten für 36 Stunden kein Wasser. Kostas, gar nicht dumm, stieg auf das Dach der Tante Filareti und stibitzte Eimer für die Benutzung der Toilette. Zwei für seine Familie und zwei für uns. Aber es war viel zu wenig. Ok wir hatten noch einen Vorrat von 10 eineinhalb-Liter-Flaschen stilles Wasser, man gönnte sich ja sonst nichts, als mit Zigori-Wasser die Toilette nachzuspülen.
Was zunächst lustig erschien, wurde zu einer Kraftprobe der Beherrschung, weil ausgerechnet an diesem Tag mein Schwager Werner wie auch ich Magen-Darm-Probleme hatten und die Toilette öfters besuchten. Inzwischen hatten wir offiziell von Tante Filareti zwei weitere Eimer Wasser geholt, aber bei weiten nicht genug.
Am Nachmittag, ich hatte wieder eine Besprechung im Badezimmer abgehalten, vermisste ich Werner. Er wäre in die Stadt hieß es, aber kaum redet man von einem, schwups ist er da. Monika grinste, meine Frau schmunzelte und sie fragten ihn wo er den gewesen wäre. Werner meinte daraufhin, er hätte sein bestes Lassiter-Western-Englisch benutzt, das hätte zum Kaffee bestellen und nach dem Weg zur Toilette fragen gereicht. Jetzt soll einer behaupten, dass Trivialliteratur niemandem nützt.
Kostas erschien am Fenster und meine: Gott wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf.
Euer Niko