Vicky Leandros hat Angst um Griechenland – Ein Plädoyer

Die meisten sind bereit zu harten Einschnitten, meint Vicky Leandros, aber die korrupte Vergangenheit sitzt den Griechen noch im Nacken. Wie kann man der Politik vertrauen, wie an die Zukunft glauben? Hier Vicky’s Plädoyer für ihr Heimatland, das heute unter dem Titel „Ich habe Angst um Griechenland“ in der Welt Online erschienen ist:

„Ach Griechenland! Mit dem Herzen bin ich Griechin und habe doch eine deutsche Seele. In der jetzigen Zeit eine schöne Kombination. Immer wieder wehre ich mich gegen Pauschalisierungen, wenn es um Griechenland geht: „Die“ Griechen gibt es nicht, „die“ gibt es bei keinem Volk und daher kann ich auch nicht akzeptieren, wenn es heißt, „den“ Griechen fehle die Disziplin, sie seien wie zornige Kinder. Immer noch wären sie Partisanen gleich, die nicht die Zivilität des Bürgers hätten, sondern ständig in den Krieg gegen vermeintliche Feinde zögen. Harte Kritik ist völlig richtig, aber sie darf sich nicht im Ton vergreifen, sie darf nicht die Würde der Menschen verletzen.

Viele, die ich kenne und von denen ich weiß, wie sie denken, schütteln den Kopf über die Chaoten, die in den letzten Tagen gewaltsam gegen das Parlament vorgegangen sind. Das sind genau die falschen Signale an Europa, denkt die Mehrheit. Man schämt sich dafür, denn die schweigende Mehrheit will Veränderungen und Reformen, ist bereit zu harten Einschnitten, weil sie weiß, dass es nicht anders geht. Das sollte man auch in Deutschland wissen. Aber Menschen, die sowieso nur 700 Euro im Monat verdienen, können schwerlich von viel weniger leben. Das würden Deutsche auch nicht hinnehmen.

Ich bin schon seit meinem fünften Lebensjahr in Deutschland, fahre aber oft nach Griechenland und habe einige friedliche Demonstrationen erlebt. Natürlich hätte ich mir die schon in früheren Jahren gewünscht, denn die Menschen wussten ja, dass die Korruption grassiert. Aber damals ist niemand auf die Straße gegangen. Das Volk war zu geduldig. Ist es deswegen bequemer? Ist es weniger demokratisch? Das finde ich nicht, aber man muss bestimmte Gepflogenheiten erst langsam lernen. Jede Regierung hat Versprechen und Geschenke gemacht. Man kennt das. Und so haben viele die Augen zugedrückt und sich der Situation ergeben. So konnte der Eindruck entstehen, alles sei mit allem verwoben und Griechenland ein vormodernes Land, ohne klare politische Strukturen, aufgeteilt zwischen Clans, ohne staatliche Institutionen und ohne Verantwortung aller Bürger, sich mittels Steuern am Staatswesen zu beteiligen. Das war ein unglaubliches Schindluder. Politiker kamen an die Macht, stellten 500 000 Beamte ein, die man nicht brauchte und die zudem Unsummen des Staatshaushaltes verschlangen, nur um wiedergewählt zu werden. Das kann man nicht in ein oder zwei Jahren zurückführen und in vernünftige Bahnen lenken.

Nicht die Menschen, sondern die Politik der letzten Jahrzehnte müsste an den Pranger gestellt werden. Es ist paradox. Alles soll sich erneuern, damit Griechenland aus dieser Krise kommt: die Politik, die Gesellschaft, die Wirtschaft. Aber können die Menschen der neuen Politik trauen? Wo sind die Lichtgestalten, die Erneuerer, deren Hände nicht schmutzig sind? Das ist ein großes moralisches Problem. Erst jetzt kommt der ganze Unmut bei den Griechen hoch. Zu lange sind sie belogen worden.

Der Gemeinsinn der Griechen orientiert sich wie bei vielen Mittelmeervölkern an der Familie. Sie leben für die Familie und auch für die Nachbarn. Sie haben zwei Jobs, um ihre Kinder studieren lassen zu können. Bildung wird sehr, sehr hoch geschätzt. Die Menschen verausgaben sich regelrecht, damit es ihren Kindern im Land oder auswärts besser geht. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder? Das zeigt doch, dass man sich nach oben orientiert, dass man sich entwickeln will. Aber all das braucht seine Zeit. Viele Griechen haben in der Tat noch kein Gefühl für den Staat, für die Nation, für das, was die anderen, erfahrenen Europäer Gemeinwohl nennen.

Die Europäische Union war für viele Griechen ein Glücksversprechen. Man weiß, man ist die Wiege der Demokratie, aber das ist lange her und man kann nicht immer davon zehren. Das letzte Jahrhundert war äußerst blutig, Griechenland führte viele Kriege, bis 1974 regierte das Militär. Hätte man deswegen überhaupt in die EU gedurft, fragen Sie manchmal. Und Sie mögen denken, die Griechen waren doch noch gar nicht reif, hielten sich nicht immer an geltende Regeln und Gesetze. Ich bin kein EU-Experte. Ich kann zu Ihnen ja nur als Mensch sprechen. Wir wissen, dass die EU-Kommission zuerst gegen eine Aufnahme war. Ich glaube, die EU hatte dann doch die Hoffnung, dass eine Mitgliedschaft die junge Demokratie Griechenland nach der Junta nur festigen könnte, auch wenn Griechenland ökonomisch noch nicht so weit entwickelt war.

Die nächsten Wochen werden entscheidend sein. Ich jedenfalls glaube, dass die griechische Gesellschaft bereit ist, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen, so wie das auch die Iren, die Isländer und die Portugiesen taten. Unvorstellbar für viele, aus der EU gehen zu müssen, ja ausgestoßen zu werden. Denn die EU, das ist doch eben nicht nur das Geld und die Wirtschaft, sondern auch die Idee einer Wertegemeinschaft: Europäer zu sein, sich als eine Einheit zu fühlen. Schnell ist ein Land wie Griechenland nicht zu sanieren, ich sage auch zu heilen. Schauen wir als Deutsche doch auf den Einheitsprozess und die Entwicklung der neuen Bundesländer. Es brauchte mehr als eine Generation, um diese sanieren zu können, trotz der Stärke der Bundesrepublik.

Ich habe Angst und Sorge um Griechenland, Die Menschen sind so gastfreundlich, auch modern und aufgeschlossen. Das sind keine Klischees. Ich wünsche mir also in den Verhandlungen zwischen EU-Finanzexperten und der griechischen Politik eine glückliche Hand. Es geht nämlich nicht nur um Kredite und deren Rückzahlung, sondern um langfristige Programme, die dem Land und seinem Aufschwung helfen können. Ich wünsche mir eine Politik, die sich endlich um das Wohlergehen des eigenen Volkes kümmert. Und ein Volk, das aufhört, zu randalieren, das Vertrauen schöpft, Tatkraft zeigt und an die eigene Zukunft glaubt.“

Die Autorin ist Sängerin und war von 2006 bis zu ihrem Rücktritt 2008 Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Kultur und internationale Beziehungen in Piräus.

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