Kreta, abseits der Touristenpfade
„Als ich jung und hübsch war, fotografierte mich keiner, jetzt, wo ich alt und runzlig bin, wollen alle ein Bild von mir.“ Empört zieht die Alte auf dem Esel ihr Kopftuch tiefer ins Gesicht.
Trotz des Urlauberstroms im Sommer ist Kreta, die südlichste Insel Griechenlands und die fünftgrößte des Mittelmeers, ursprünglich geblieben. Dafür sorgt schon das bis zu 2456 Meter hohe Gebirge, das die 260 Kilometer von West nach Ost durchzieht und bis in den Juni dem Betrachter schneebedeckte Gipfel zeigt.
Nur wenige Straßen queren das Gebirge, und die zu befahren ist wegen der Serpentinen nicht jedermanns Vergnügen. Doch wer es wagt, wird belohnt mit schönsten Ausblicken auf Schluchten und wildromantische Küsten und der Herzlichkeit der Kreter in den Dörfern
Kreta sei nicht Griechenland, erfährt man da. Politisch natürlich, aber ansonsten geht alles seinen kretisch gelassenen Gang. Die Kreter gelten als reich, aber sie protzen nicht. Sie bauen ihre Häuser im Hinblick auf ihre Nachkommen, das heißt ihre Töchter. Wird ein Mädchen geboren, stockt der Vater das Haus um eine Etage auf. So hat sie immer ein Zuhause. Darin liegt der Grund, dass man auf Kreta so viele unfertige Häuser sieht.
Fast alles produzieren die Kreter selbst, Olivenöl, Zitrusfrüchte, Tomaten, Gurken, Thymianhonig, Wein, bis hin zu Gips und Zement. Netze unter den Ölbäumen fangen die Oliven auf. Der Bauer braucht sie nur noch einzusammeln. Das ist neben den vielen Treibhäusern die wohl einzige „Modernisierung“. Noch immer zieht er mit biblischen Pflügen die Ackerfurchen. (Welche Rolle auf Kreta die Landwirtschaft spielt, zeigt ein Gefängnis, in dem den Häftlingen die Hälfte ihrer Strafe erlassen wird, wenn sie auf dem Feld arbeiten.) Wie zur Steinzeit leben die Hirten mit ihren Herden abgeschieden in Höhlen, nur im Winter wandern sie an die Küsten.
Wo Schafe die Gangart bestimmen: auf Kreta.
Wenn einem nicht ein Maultier die Straße versperrt, dann sind es riesige Schafherden. Ziegen turnen auf dem Dach der Dorfkirche herum, und in beinahe jeder Kurve leuchten Kirchen im Miniformat, oft Nachbildungen der echten, die man im Gelände sieht. Dankopfer an die heiligen Namenspatrone. Kirchen mit Kuppeln, Kirchen mit einem, zwei, ja drei Glockenbogen, in denen die Glocken frei schwingen können, Kirchen mit einer für orthodoxe Gotteshäuser untypischen Turmuhr.
Schafe können gefährlich sein.
Die „Land und Leute“-Ausflüge führen immer auch in die Bergdörfer. Doch statt seine freie Zeit für einen Drink zu nutzen, sollte der Gast die schmalen Gassen bergan steigen. Etwa in Spili, das mehr zu bieten hat als den venezianischen Brunnen mit den wasserspeienden Löwenköpfen. Ein Ort der Besinnung ist das jahrhundertealte Kloster Preveli, das im Zweiten Weltkrieg eine Bastion des Widerstands gegen die deutschen Besatzer war und dessen bärtiger Mönch es sich nicht nehmen lässt, jedem Museumsbesucher seinen selbstgebrannten Raki zu kredenzen. Auf dass der die Ikonen doppelt kaufe!
In beinahe jeder Kurve leuchten Kirchen im Miniformat, oft Nachbildungen der echten, wie man sie im Gelände sieht.
Nur 30 Kilometer beträgt die Breite der Insel zwischen der venezianisch geprägten Stadt Rethymnon an der Nordküste und dem Fischer- und Badeort Plakias am Libyschen Meer im Süden. In den dortigen Tavernen fragt keiner nach der Speisekarte. Man schaut in die Töpfe, und Augen und Nase wählen genau das Richtige: Kaninchen, Zicklein, Lamm, Schwertfisch, Oktopus, Schnecken… „Kali óreksi“ – guten Appetit!
Kreta ohne Knossos, ohne minoische Kultur, ohne Mythen und Legenden? Sind 320 Tage blauer Himmel im Jahr nicht genug? Schon Hippokrates empfahl im 3. Jahrhundert v. Chr. Rekonvaleszenten das kretische Klima, und jeder moderne Arzt bestätigt:
Was´n die „Zentrale für griechischen Fremdenverkehr“ in Frankfurt gibt es noch? Ich hatte gedacht, die wäre – genau wie ihre Berliner Niederlassung – schon längst „eingespart“ worden!