Inmitten der europäischen Staatenkrise reist ein Staatssekretär durch Griechenland und verteilt gute Ratschläge und Schwarzwalduhren. Nach erstem Befremden ist er fast zur Kultfigur geworden. Von Steffen Fründt
Rhodos zur Mittagsstunde. Unter den Fenstern des Gouverneurspalasts leuchtet tiefblau die Ägäis, die Temperaturen nähern sich der 30-Grad-Marke.
Doch im Innern ist die Atmosphäre noch leicht unterkühlt. Der parlamentarische Staatssekretär Hans-Joachim Fuchtel aus dem Bundesarbeitsministerium, gerade erst aus Stuttgart eingeschwebt, lässt den Blick anerkennend über das venezianische Mobiliar schweifen. Er beneide Gouverneur Macheridis um sein schönes Büro, versucht er einen Anfang.
Aber sicher nicht um dessen Gehalt, das ein Fünftel des seinen betrage, patzt sein Gegenüber. Betretene Blicke. Doch Fuchtel verströmt unbeirrt schwäbischen Optimismus. Sein Flugzeug sei rappelvoll gewesen, berichtet er, das sei doch ein gutes Zeichen!
Und auf seine Vermittlung hin sei unlängst eine deutsche Musikkapelle nach Kreta gereist. Ein Riesenerfolg! Der Gouverneur zeigt die Andeutung eines Lächelns. Die deutsch-griechische Aussöhnung scheint an diesem Dienstag im September auf einem Weg der sehr kleinen Schritte.
„Verletzte Gefühle“
Hier sind viele Gefühle zu verarbeiten“, sagt Fuchtel, als er wieder im Fond seiner Limousine sitzt und mit Blaulicht-Eskorte an den Altstadtmauern von Rhodos vorbei rauscht. Gefolgt von einer kleinen Fahrzeugkolonne, auf die sich eine eigenwillig zusammengewürfelte Delegation verteilt. Ein Landrat aus Baden-Württemberg sitzt neben einer Beigeordneten aus Iserlohn, Vertreter einer Privatklinik in Sachsen teilen sich das Auto mit einer Tourismusexpertin aus Dithmarschen.
Einige der Teilnehmer hat Fuchtel erst eine Woche vor der Abreise ausgesucht. Die Kofferräume sind randvoll mit zwinkernden Trachtenfiguren und Wetteruhren aus dem Schwarzwald. So rollt der Fuchtel-Konvoi durch die Hellenische Republik. Seine Mission: Griechenland retten. Zumindest ein bisschen.
Vor einem Jahr noch arbeitete Hans-Joachim Fuchtel von der Weltpolitik weitgehend unbemerkt als Staatssekretär im Hause von der Leyen. Ein gutmütig wirkender, etwas beleibter Familienanwalt aus dem Schwarzwald, der 30 Jahre für die CDU im Kreistag von Calw saß, dann auch im Bundestag und 2009 zum Staatssekretär berufen wurde.
Koordinator der deutsch-griechischen Versammlung
Der 60-Jährige sitzt im Vorstand von 36 Musikkapellen (ohne selbst ein Instrument zu spielen), engagiert sich für Bauwagen-Bewohner und den Kamelverein „Fata Morgana“. Im vergangenen Herbst betraute ihn die Kanzlerin mit einer weiteren Aufgabe: Griechenland. Sie setzte Fuchtel als Koordinator der deutsch-griechischen Versammlung ein. Die soll die beiden Länder auf kommunaler Ebene vernetzen, Aufbauhilfe leisten und vor allem das vergiftete Verhältnis der beiden Nationen aufbessern. Keine einfache Aufgabe.
Wie zerrüttet dieses ist, erlebte „Fuchtelos“, wie er von den Griechen bald getauft wurde, als er das Land bereiste. Eine Zeitung begrüßte Merkels neuen Mann für Griechenland mit einer Karikatur. Sie zeigte den Politiker mit seinem charakteristischen Schnauzbart – und einem Stahlhelm auf dem Kopf.
Die gereizten Hellenen vermuteten hinter dem Engagement einen weiteren Angriff auf ihre Selbstbestimmtheit. Aber langsam setzt sich in Hellas dann doch die Überzeugung durch, dass dieser große Deutsche mit der dröhnenden Stimme wirklich einfach helfen will.
Auch auf Rhodos, wohin Fuchtel in der vergangenen Woche seine bereits vierte Griechenland-Mission innerhalb eines halben Jahres führte, entspannt sich die Atmosphäre allmählich. Der Gouverneur hält noch eine flammende Rede, wonach sich „am Tisch des Dialogs nicht Kreditgeber und Schuldner, Eroberer und Unterworfener gegenübersitzen“ dürften. Fuchtel fragt: Wie können wir helfen?
Probleme mit dem Müllberg auf Rhodos
Und dann rückt der Gouverneur mit der Sache auf Naxos heraus. Auf der Insel, erklärt er, werde der Müll seit Jahren auf einer Kippe an der Küste abgeladen. Der Müllberg erreiche mittlerweile eine Höhe von 40 Metern, mithin rund sieben Meter höher als der Koloss von Rhodos weiland, und drohe ins Meer zu rutschen. „Was soll ich machen?“ fragt der Grieche, „ich kann das nicht stoppen!“ Fuchtel nickt verständig und sagt, Deutschland habe früher auch große Probleme mit der Abfallentsorgung gehabt. „Dabei kann Ihnen der Landrat Bauer helfen.“
Gerhard Bauer, Landrat des Kreises Schwäbisch Hall, nickt tapfer und beginnt gleich über Lösungsmöglichkeiten zu sinnieren. „Ich dachte da an ein Fließband, an dem der Müll erst mal sortiert werden könnte“, improvisiert er und verspricht, gleich nach der Rückkehr sein Amt für Abfallwirtschaft einzuschalten.
Vor mehr als 15 Jahren habe es in Schwäbisch Hall auch mal eine Deponie gegeben, ein Ingenieur habe damals eine Methode entwickelt, das Kakerlaken-Problem zu lösen. „Aber der müsste jetzt 75 sein …“
Nach dem Müllberg von Naxos kommt die Landwirtschaft an die Reihe. Aufgrund der extrem gestiegenen Energiepreise im Land gibt es Fälle, wo mehr als 100 Jahre alte Olivenbäume einfach verheizt würden, berichten die Vertreter der Agrargenossenschaften. Trotz hervorragender Qualität hätten ihre Produkte bei den Deutschen keinen guten Ruf mehr, der Export sei mau.
Deutsche kaufen kaum noch griechischen Wein
Ein Weinfabrikant, bei dem Fuchtels Konvoi am Abend vorfährt, berichtet, dass er vor drei Jahren noch 60.000 Flaschen auf dem deutschen Markt verkauft habe. Dann kam die Krise – und die Nachfrage deutscher Händler sei auf null gesunken. Fuchtel dagegen erzählt, er habe seinen 60. Geburtstag im Februar mit griechischem Weißwein begossen, als „Zeichen der Freundschaft“. Landrat Bauer bietet spontan an, Wein- und Olivenbauern aus der Südägäis könnten ihre Produkte kostenlos auf einer Messe in seinem Landkreis präsentieren.
Ein Messestand im Schwabenland – das wird Griechenland nun wirklich nicht retten. Denn das Land benötigt Geld in mehrstelliger Milliardenhöhe, sonst droht der Bankrott. Fuchtel hat für seine Rettungsmission drei Mitarbeiter und ein operatives Budget von 25.000 Euro. Die Delegationsteilnehmer tragen die Reisekosten selbst.
Wenn es sein muss, setzt sich auch ein Regierungsdirektor mal ans Steuer und fährt eine Delegation im VW-Bulli herum. „Wir zeigen, dass man auch ohne finanzielle Mittel etwas erreichen kann. Das kommt bei den Griechen gut an.“
„Know-how-Partnerschaften“ werden geknüpft
Sechs sogenannte „Know-how-Partnerschaften“ hat Fuchtel mittlerweile geknüpft. Kreta hat er zum Beispiel mit dem Nordschwarzwald verkuppelt, Nordvorpommern mit Korfu. Und der Südägäis soll nun Schleswig-Holstein auf die Beine helfen. Zur „Erstbeschnupperung“ (Fuchtel) klappert der Staatssekretär mit seinem Konvoi die örtlichen Entscheidungsträger ab.
In der Folge sollen die Verwaltungsfachleute beider Seiten dann untereinander einen regen Wissenstransfer pflegen über Themen wie Müllentsorgung, Energieversorgung oder Vermarktung. Das Ganze laufe nach einem „Baukaschtenprinzip“, erklärt Fuchtel dann vor Bürgermeistern, Gouverneuren oder Obstbauern, von ihm selbst entwickelt mit Schubladen und all den Instrumenten darin, die deutsche Experten im Laufe der Jahrzehnte für die Probleme des modernen Lebens gefunden hätten. „Ihr müsst ja nicht alle Fehler wiederholen, die wir schon gemacht haben.“
Während das griechische Fernsehen in Endlosschleife die Bilder von Fuchtelos auf Rhodos zeigt – vor allem die Szene mit dem Gehaltsunterschied – überreicht der Deutsche eine letzte Schwarzwalduhr und eilt zum Flughafen. Es wartet nur ein Olympic-Airways-Jet nach Athen, doch an Bord herrscht fast ein bisschen Kanzlermaschinen-Atmosphäre.
Der Staatssekretär stattet dem hinteren Teil der Kabine einen Besuch ab, macht im Journalistentross die Runde, stellt einen Parlamentsabgeordneten der konservativen Nea-Dimokratia-Partei vor. Bis der Pilot kommt und sagt, man müsse nun aber wirklich starten.
Regierung in Athen zollt Respekt
In Athen wird dann deutlich, dass Fuchtels Graswurzel-Diplomatie auf griechischer Seite keinesfalls nur belächelt wird. Binnen vier Stunden wird der Staatssekretär erst von Innenminister Stylianidis empfangen, der die kommunale Partnerschaft von nun an auf griechischer Seite verantworten wird. Dann von der sehr reichen und schönen Tourismusministerin Kefalogianni, die sich geduldig mit Gast und Gastgeschenk – diesmal sind es die Schwarzwald-Püppchen – ablichten und dann über die just besiegelten Tourismus-Kooperationen unterrichten lässt.
Allein in der Südägäis sind in diesem Jahr voraussichtlich 60.000 deutsche Urlauber ausgeblieben. Aus Angst vor Anfeindungen oder Lebensmittelknappheit. Aus Sorge vor Streiks und Chaos. Aber vielleicht auch, weil die griechische Fremdenverkehrsbranche in den vergangenen Jahrzehnten im internationalen Tourismusgeschäft ein wenig den Anschluss verloren hat.
Die mitgereiste Tourismus-Professorin Anja Wollesen von der Fachhochschule Westküste in der norddeutschen Stadt Heide vereinbarte nun ein Kooperationsprojekt mit dem Pendant auf Rhodos. Zudem will sie mit einer Marktforschungsstudie herausfinden, wie griechische Destinationen denn gezielter deutsche Urlauber anlocken könnten.
Empfang bei Antonis Samaras
Die Ägäis lernt vom Wattenmeer. Kefalogianni lässt durch nichts erkennen, dass sie daran irgendetwas abwegig fände. Ebenso wenig wie an Fuchtels offenbar spontan entstandenem Vorschlag, doch einmal nach Deutschland zu kommen und vor Publikum etwas Griechisches zu kochen. Wer weiß, ob solche Vorschläge an Ministerinnen nicht zum üblichen diplomatischen Protokoll gehören. Die gemeinhin als eher Deutschland-kritisch geltende Politikerin jedenfalls lächelt. „Aber nur, wenn Sie das dann auch essen“, sagt sie.
Griechenland leidet unter Massenarbeitslosigkeit, Rezession und immer größerer Armut. Der Rauswurf aus der Euro-Zone droht, die Experten von EU, Europäischer Zentralbank und Internationalem Währungsfonds („Troika“) sind im Land, um den Fortschritt der mehrfach versprochenen Reformen zu überwachen.
Und Staatssekretär Fuchtel aus dem Schwarzwald sitzt kurz darauf mit seiner bunten Delegation im Büro von Ministerpräsident Antonis Samaras. Während vor den Toren des Regierungssitzes Demonstranten gegen die dramatischen Einsparungen im Öffentlichen Dienst protestieren, erläutert Fuchtel vor holzvertäfelten Wänden noch einmal seinen „Baukaschten“. Und überreicht eine Schwarzwalduhr.
„Das wenige, das du tun kannst“, lautet Fuchtels Lieblingszitat von Albert Schweitzer, „ist viel.“
Quelle: Welt.de