Griechenland: Wir brauchen mehr Hoffnung!

20. SEPTEMBER 2012

Martha Vassiliadi über den Alltag in Griechenland

In Griechenland Deutsch zu unterrichten ist derzeit nicht besonders populär. Schlecht bis gar nicht bezahlt ist es ohnehin. Seit die Wirtschaftskrise Griechenland in Atem hält, ist die Situation völlig verfahren, die Stimmung vergiftet, sagt Martha Vassiliadi (34) im Interview mit DISPUT. Wir haben mit der jungen Deutschlehrerin über ihr Leben gesprochen, ihren Alltag in Athen und ihre Sorgen im Hinblick auf eine erstarkende Rechte – aber auch über ihre Wünsche und Hoffnungen.

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Die »Krise« ist für die meisten Deutschen ein Wort, das wir im globalen Zusammenhang sehen und benutzen. Wie wirkt sie sich ganz konkret auf das Leben der griechischen Bevölkerung aus?
Die Krise wirkt überall. Ich, zum Beispiel, bin seit fünf Jahren nur als Vertretungslehrerin angestellt. Jeden Sommer werde ich entlassen und weiß nicht, ob ich an meiner Schule bleiben kann. Es ist deprimierend, wenn man zur Schule gegangen ist, studiert hat und trotzdem von seiner Arbeit nicht leben kann. Ich bekomme 450 Euro für meine Arbeit als Deutschlehrerin. Wie soll man da eine Familie gründen? Auch meine Schwester verdient nur ein Taschengeld, obwohl sie voll arbeitet. Viele junge Menschen sind arbeitslos und sehen nicht, dass sich das bald ändert. Die Renten wurden um 20 Prozent gekürzt. In der Apotheke bekommt man nur Medikamente, wenn man sie gleich selbst bezahlt. Außerdem gibt es immer mehr Menschen, die obdachlos auf der Straße leben. Überall in der Innenstadt wird gebettelt.

Wovon lebt man, wenn man kein Gehalt ausgezahlt bekommt?
Viele junge Leute wie meine Schwester und ich ziehen wieder bei ihren Eltern oder Großeltern ein, weil eine eigene Wohnung gar nicht möglich ist. Wir leben von dem, was unsere Elterngeneration aufgebaut hat. Wer Erspartes hat, braucht das auf, wenn das eigene Gehalt nicht ausreicht. Es gibt viele kleine Anzeichen dafür, dass die Menschen gezwungen sind zu sparen. Zum Beispiel fahren viele Leute jetzt lieber mit dem Fahrrad, weil der Benzinpreis so hoch ist. Auf dem Land können die Menschen Obst und Gemüse für den Eigenbedarf selbst anbauen.

Gerade viele junge Menschen in den betroffenen Ländern sehen keine Perspektive mehr in ihrer Heimat und denken übers Auswandern nach. Wie sieht das in deinem Umfeld aus?
Die Überlegungen meiner Generation, ins Ausland zu gehen, sind unbestritten da – bei vielen Leuten, auch in meinem Freundeskreis und auch bei mir. Wir wollen Griechenland nur ungern verlassen, trotz aller Probleme. Schließlich sind wir hier zu Hause und haben unsere Familien hier. Auswandern ist wirklich unser allerletzter Ausweg. Wenn wir gehen, dann meist dorthin, wo es Bezugspunkte für uns gibt. Manche haben Freunde oder Verwandte, die schon weggegangen sind. Natürlich fällt es uns leichter, da eine Arbeit zu finden, wo wir die Sprache schon kennen.

Stichwort Fremdenfeindlichkeit, Rassismus: Griechenland gehörte bis vor wenigen Jahren zu den Ländern, in denen es kaum Probleme damit gab. Jetzt kam es unlängst zu einem brutalen Überfall in Athen, bei dem ein 19-jähriger Iraker zusammengeschlagen wurde und starb. Das Motiv: Ausländerhass.
Ja, es ist schrecklich, dass im Zuge der Krise die Fremdenfeindlichkeit spürbar zunimmt. Die rechte Partei Chrissi Avgi (Goldene Morgenröte) kam mit 6,92 Prozent der Stimmen bei der letzten Parlamentswahl auf Platz fünf! Rechte Gruppen und organisierte Vereine übernehmen ohne jede Legitimation die Aufgaben der Polizei, die oft überfordert und völlig überlastet ist. Sie agieren in den Vierteln Athens, die viele Probleme mit illegalen Einwanderern haben und wo es wenig Polizei gibt. Das kann einem schon Angst machen.

Hat sich seither das Verhältnis zu Deutschland bzw. »den Deutschen« verändert?
Es hat sich ganz eindeutig verschlechtert. Unser Verhältnis wurde durch die Krise regelrecht vergiftet. Es gibt wirklich schlimme Vorurteile besonders gegenüber Deutschland. Von Unterdrückung und Besatzung ist da manchmal die Rede. Aber so will ich nicht denken. Verstehen kann ich die Ängste der Menschen natürlich. Wenn deutsche Unternehmen sich in ehemals öffentlichen Unternehmen einkaufen und an unserem Ausverkauf gut verdienen oder Dinge wie der Bestechungsskandal bei Siemens ans Licht kommen, sind Vorurteile nur sehr schwer zu widerlegen. Es tut auch weh, hier in Deutschland auf der Straße oder in der Zeitung zu hören und zu lesen, was die Deutschen zum Teil über die Griechen denken. Das Geld geht schließlich an die griechischen Banken und nicht an uns Griechen. Im Gegenteil, wir bezahlen teuer dafür.

Was müssen wir dafür tun, damit sich dieses Verhältnis wieder bessert?
Wir müssen die negativen Eindrücke und Vorurteile, die wir voneinander haben, bekämpfen und abbauen – die allgemeine Stimmung beeinflusst ja auch die Finanzmärkte. Wir müssen miteinander reden, uns wieder besser kennenlernen. Was man besser kennt, versteht man auch besser. Wir werden dann auch toleranter.

Die »Financial Times Deutschland« hat im Vorfeld der letzten Parlamentswahlen eine Wahlempfehlung abgegeben.
Sie haben sich für die konservative Nea Dimokratia ausgesprochen und die Menschen davor gewarnt, die Syriza und ihren Spitzenkandidaten Alexis Tsipras zu wählen. Die Medien generell haben immer wieder aktiv gegen ihn Partei ergriffen und polemisiert. Er wurde als Demagoge bezeichnet und es wurde ihm jede Fähigkeit abgesprochen, Griechenland aus der Krise zu führen. Den Menschen sollte Angst gemacht werden – das ist doch Terror und einfach unglaublich!

Was wünschst du dir für die Zukunft?
Der Staat muss endlich wieder auf die Beine kommen, damit er seine soziale Verantwortung wahrnehmen kann. Er muss wieder richtig funktionieren. Es ist wichtig, dass die Menschen hier gut arbeiten und leben können. Wir brauchen Perspektiven und müssen wieder optimistischer werden. Wir brauchen mehr Hoffnung, um gegen die Verunsicherung der Menschen anzukämpfen. Und wenn der Staat das nicht für uns tut, dann sollten wir selbst versuchen, unsere Gesellschaft neu zu bauen – und zwar so, wie sie den Menschen wirklich passt.

Interview: Antje Kind. Die-Linke.de