Deutsche Mittelstands Nachrichten | Veröffentlicht: 26.05.12, 01:12 |
Noch nie in der europäischen Geschichte hat ein Land so viel Geld an internationaler Hilfe bekommen wie Griechenland. Aber war es wirklich eine Hilfe für die Griechen? Bei einem Lokalaugenschein zeigt sich: Der Versuch, aus einem Land der Kultur, der Tradition, der Hirten, Bauern, Seefahrer und Philosophen einen künstlichen Wachstumsmarkt zu machen, ist gescheitert. So kann Europa nicht funktionieren.
Die EU-Kommission hat errechnet, dass bisher 380 Milliarden Euro an internationaler Hilfe nach Griechenland gegangen sind. Das macht theoretisch 33.600 Euro für jeden griechischen Bürger. Kommissionspräsident José Manuel Barroso hat einen interessanten Vergleich angestellt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hätten die Empfängerstaaten in Westeuropa Hilfsgelder aus dem Marshall-Plan in Höhe von 2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhalten. Griechenland kommt in Summe auf 177 Prozent des BIP.
Griechenland: Ein Land im Überfluss?
Demnach müsste Griechenland ein Land im Überfluss sein. Doch wenn man durch das Land fährt, sieht man nichts davon. Griechenland ist im Jahr 2012 immer noch ein armes Land. Karge, wenngleich schön-bizarre Landschaften mit vielen kleinen Dörfern, in denen es noch so aussieht wie vor 200 Jahren. Olivenhaine, Wälder, wenige Felder. Schafherden, selten Kühe. Alles ist klein-klein. Die EU-Agrarindustrie ist hier ebensowenig angekommen wie das Konzept der Landschaftspflege. Mit Mitteln der EU für Landschaftspflege ist Südtirol reich geworden. Die griechischen Landbewohner haben davon noch nie etwas gehört. Die Griechen außerhalb Athens leben so, als gäbe es keine EU und keine Industrialisierung. Viele sind stolz auf ihre kleine Landwirtschaft, auf ihren Gemüsegarten, auf ihre Kleintierzucht im Hinterhof. 33.600 Euro hat keiner dieser Griechen jemals erhalten. Um das zu verdienen, müssen die meisten Griechen auf dem flachen Land drei Jahre hart arbeiten – wenn alles gut läuft.
Aber es gibt auch Spuren der EU. Sie sind am deutlichsten zu erkennen in einigen wunderbaren Autobahnen. Breite Straßen, keine Schlaglöcher. Und auch kaum Autos. Warum hunderte Kilometer Autobahn gebaut werden mussten, obwohl niemand vom Norden in den Süden pendelt, weiß kein Mensch. Kenner des Landes weisen darauf hin, dass schon unter den Autobahnen das Elend zu sehen ist: Weil gepfuscht wurde, seien viele Brücken einsturzgefährdet. An ein Erdbeben denkt man besser gar nicht.
Eindrucksvoll sind jedoch die Mautstationen: An jeder Mini-Ausfahrt findet sich eine, die Abstände zwischen den Stationen sind oft gerade mal zehn Kilometer. Jedes Mal sind 2 Euro Maut zu entrichten. In all den Häuschen sitzen Angestellte. Die Kombination von zentralistischer Planung und Wahlgeschenken in Form von Arbeitsplätzen zeigt erste Konturen.
Mahnmale für Planwirtschaft und Geldvernichtung
Oft finden sich neben der Autobahn Ruinen. Nicht jene vom Zeus-Tempel oder andere antike Denkmäler. Es sind Autobahnruinen. Neben der Kurve, auf der man gerade fährt, sieht man eine andere Kurve. Sie kommt aus dem Nichts und führt im eleganten Bogen wieder ins Nichts. Am Anfang und am Ende wächst Gras. In der Mitte bröckelt der Beton. Solche sinnlosen Bauten sind darauf zurückzuführen, dass während des Autobahnbaus die lokale Flächenwidmung versagt hat. Weil jemandem, der jemanden kennt, ein Stück Land gehört, welches dieser partout nicht verkaufen wollte, hat man die Autobahn verschoben. Das überflüssige Stück bleibt stehen, als unfreiwilliges Mahnmal für Planwirtschaft und Geldvernichtung.
Abseits der Autobahnen reihen sich Dörfer an Brachen, Felder an Dörfer, Berge an Täler. Dazwischen, wie aufgefädelt auf einer unsichtbaren Perlenkette, wieder Ruinen: Diesmal sind es Rohbauten. Auch sie verfallen, vor vielen steht ein Schild, welches die Ruine zum Kauf anpreist. Die meisten haben keine Fenster. Sie verwachsen langsam wieder mit der Landschaft. Es sind große Ruinen für Fabiken, mittlere Ruinen für Handwerksbetriebe, kleine Ruinen für Einfamilienhäuser.
Unterbrochen wird die Perlenkette der Ruinen durch eine andere Perlenkette: Jene der Autohäuser. Wenn etwas auf dem flachen griechischen Land intakt erscheint, dann sind es die Autohäuser. Vor allem die französischen Marken haben in jedem Dorf einen Tempel der Mobilitäts-Sehnsucht errichtet. Peugeot, Renault, Citroen. Dazwischen glänzende Pick-Ups von den Japanern, machmal Ford. Überall stehen Neuwagen zum Verkauf. Wenn man näher hinsieht, merkt man, dass sie hier schon lange stehen. Deutsche Autohäuser gibt es auf dem flachen Land nicht: Volkswagen, Opel, BMW, gar Mercedes – Fehlanzeige.
Und eine dritte Kette begleitet den Betrachter über hunderte Kilometer. In der Landschaft stehen, scheinbar zusammenhanglos und ohne jede Verbindung zu einem konkreten Bauwerk, blaue Schilder. Sie sind schon recht verwittert, glänzen aber immer noch in der Sonne. Auf ihnen steht, in griechischer und englischer Sprache: „Errichtet mit Mitteln der Europäischen Union.“ Zwölf verblichene gelbe Sterne auf blaugrauem Hintergrund. Man fragt sich: Wo sind nur all die Milliarden geblieben?
Denn die 380 Milliarden Euro, von denen Barroso bis vor kurzem noch stolz sprach, sind nur ein Teil des Geldes, das nach Griechenland geflossen ist. Schon vor dem EU-Beitritt Griechenlands und erst recht danach sind weitere Milliarden geflossen, über Regionalfonds und Strukturfonds. Wie viele es genau waren, kann einem niemand sagen. Beamte in Brüssel schätzen, dass es in Summe noch einmal einige hundert Milliarden gewesen sind. Daher hat Griechenland auch nach dem Schuldenschnitt immer noch 400 Milliarden Schulden.
Wohin aber ist das ganze Geld hingegangen?
Die Banker in Griechenland, Frankfurt und London sagen: Die Politiker sind schuld. Sie hätten, um gewählt zu werden, wahllos Jobs in der öffentlichen Verwaltung geschaffen. Damit haben sie sichergestellt, dass sie wiedergewählt werden. Der ehemalige Finanzminister Stefanos Manos sagt: „Das Geld wurde in eine aufgeblähte Bürokratie gepumpt – in fette Gehälter für die Angestellten im öffentlichen Dienst, in ihre Frühpensionen, in ein überausgestattetes, ineffizientes Bildungssystem, in ein Land, das über seine Verhältnisse leben sollte.“ Ein Banker sagt: „Vor jeder Wahl haben die Politiker ihren Anhängern Jobs versprochen, nach jeder Wahl haben sie zehntausende Stellen geschaffen.“
Während die Leute in der Privatwirtschaft – Handwerker, freie Berufe, Kleinunternehmer, Selbständige – davon profitierten, dass sie mit den Top-Verdienern aus dem Staatsdienst gute Geschäfte machen konnten, hatten die Staatsdiener oft Jobs ohne jeden Sinn und Zweck. Es gibt Kommissionen und Gremien, die insgesamt 10.000 Mitarbeiter beschäftigen und jährlich 100 Millionen Euro kosten. Eine davon verwaltet den See Kopais. Dieser ist jedoch schon um 1930 ausgetrocknet
Die teilverstaatliche griechische Eisenbahn-Gesellschaft hat mehr Mitarbeiter als Passagiere. Durchschnittlich verdient jeder Eisenbahner 110.000 Euro jährlich. Ex-Minister Manos: „Es wäre für den Staat billiger, wenn wir jeden Fahrgast mit dem Taxi an sein Ziel befördern würden.“
Andere Großprojekte waren nur vorübergehend im Betrieb: Die Olympischen Spiele von Athen erwirtschafteten einen prestigereichen Verlust von 11 Milliarden Euro. Heute ist das Olympiastadion leer und verfällt, weil sich keiner den Erhalt leisten kann. Graffiti zieren die Wände, der Prachtbau ist zum Untergrund-Projekt verkommen.
Beamte verdienen weiter gut und bekommen Zulagen: 1300 Euro für eine Fremdsprache, das Benutzen eines Computers oder das pünktliche Erscheinen am Dienst. Forstarbeiter beziehen einen Bonus für die Arbeit im Freien, wie die Rheinische Post herausgefunden hat.
Das Militär Griechenlands hat Milliarden verschlungen. Oft auch zur Freude der europäischen Firmen. Anders als bei den Autohäusern sind die Deutschen in der Waffen-Branche sehr präsent: Man habe 19 Leopard-Panzer gekauft. Jeder Grieche weiß, dass man in Griechenland keinen Panzer-Krieg führen kann, wegen des Wassers und wegen des unwägbaren Geländes. Daher hat man bei der Munition gespart: Die griechische Armee verfügt über Leopard-Munition für genau einen Tag. Damit könnten die Griechen nicht einmal die Zyprioten aufhalten.
Ein karges, schönes Land – dem die EU fremd blieb bis zuletzt.
Die Politiker wiederum sagen: Die Banker sind schuld. Tatsächlich ist das Geschäft mit den Schulden ein gutes Geschäft. Nichts bringt so gute Profite und hohe Margen wie Zins und Zinseszins. Etwa 70 Prozent aller Hilfstranchen gehen an die Banken: Die europäischen Banken, die griechischen Banken, die EZB und die griechische Zentralbank. Mit dem beim bislang letzten Hilfspaket auf Druck von Deutschland beschlossenen Sperrkonto geht das Geld jetzt gleich direkt an die EZB. Das Geld, mit dem die Europäer den Griechen helfen, geht an die Europäer. Wenn Griechenland aus dem Euro austreten sollte (was zu erwarten ist – hier), dann wird die EZB weiter Geld nach Griechenland schicken. An die Zentralbank. Damit diese dafür sorgt, dass die griechischen Banken nicht zusammenbrechen, sondern weiter die Schulden bedienen können. Etwas weniger vielleicht, aber immer weiter mit Zins und Zinseszins.
Mit dem Schuldenschnitt haben die privaten Gläubiger Verluste gemacht. Wenn sie schlau waren, haben sie gleichzeitig gegen Griechenland gewettet. Dann haben sie Gewinne gemacht, so wie Morgan Stanley mit den Wetten gegen den Börsengang von Facebook, den Morgan Stanley selbst verpfuscht hat.
Der Schuldenschnitt hat aber auch Verlierer hervorgebracht. Am meisten sind die griechischen Pensions-Fonds betroffen. Sie haben 70 Prozent ihres Kapitals verloren. Die meisten erwarten, dass sie das Jahr 2012 nicht überstehen werden. Viele haben im ersten Quartal schon das Geld des ganzen ersten Halbjahres ausgegeben. Daher, so sagen die Griechen, ist das Geld, das außer Landes wandert, nicht nur die unmoralische Flucht der Reeder und Reichen, sondern zu einem Gutteil auch die Ersparnisse der Rentner. Die Pensionsfonds haben ihren Kunden nämlich gesagt, dass sie in den kommenden Jahren keine medizinische Behandlung werden bezahlen können. Daher wollen die Rentner auf das Geld in der Schweiz zurückgreifen, sollten sie krank werden. Soll bei Rentnern ja vorkommen.
Sollten sich die griechischen Rentner jedoch guter Gesundheit erfreuen, werden sie ihren Enkeln immerhin von einer historischen Epoche erzählen können: Von dem gescheiterten Versuch, aus einem Land der Kultur, der Tradition, der Hirten, Bauern, Seefahrer und Philosophen einen Wachstumsmarkt zu machen. Von dem abwegigen Experiment, ein Land, welches sich selbst genügte, in eine synthetische politische Vision zu zwingen. Von dem tragischen Missverständnis, dass alles zusammenwachsen könne, was durch eine Währung zusammengebunden wird. Dafür, dass sie allesamt dieser Illusion erlegen sind, werden die Griechen teuer bezahlen. Und es wird ihnen ein schwacher Trost sein, dass es anderen Völkern in Europa nicht viel besser ergeht.
Danke für den eindrücklichen und sehr gut geschriebenen Bericht!