Deutschland trägt an dem Leid der Griechen eine Mitschuld. Statt zu helfen, denken wir an unseren eigenen Vorteil. Dabei ist es höchste Zeit, endlich Erbarmen mit Griechenland zu zeigen!
Von Henryk M. Broder. Welt.de.
Kennen Sie den? Ein Bauer, dem die Kosten für seinen Hof über den Kopf wachsen, stellt ein Sparprogramm auf. Erst einmal meldet er sich bei der GEZ ab, dann montiert er eine Fotovoltaik-Anlage auf das Dach seiner Scheune, mit der er Strom erzeugt, den er zu einem höheren Preis in das Netz einspeist, als er für den Strom zahlen muss, den er aus dem Netz bezieht.
Aber das reicht ihm immer noch nicht. Er beschließt, seinem einzigen Esel das Essen abzugewöhnen, denn das Futter ist ein erheblicher Kostenfaktor in seiner Bilanz. So gibt er dem Tier jeden Tag etwas weniger Heu und lässt die Mineralien – Natrium, Chlorid und Calcium – ganz weg.
Anfangs geht alles gut, der Esel nimmt zwar ab, macht aber seine Arbeit, ohne zu murren. Bis er eines Tages tot umfällt. „So ein Jammer“, sagt der Bauer, „ich hatte ihn beinahe so weit.“
Wenn Sie in dieser Geschichte den Bauer durch die „Troika“ und den Esel durch „Griechenland“ ersetzen, dann haben Sie den Schritt aus der Fabel in die Wirklichkeit getan. Griechenland spart sich zu Tode, nein, es wird zu Tode gespart, und zwar von jenen, die für seine Lage mitverantwortlich sind.
Wenn Griechen ihre Autos abmelden
An einem der letzten Tage 2012 brachte die „Tagesschau“ einen Bericht über Griechen, die ihre Autos abmelden, um die Kfz-Steuer zu sparen. Gut, man kann auch ohne ein Auto leben, so wie man ohne Fernsehen, Parma-Schinken und Budapester Schuhe leben kann.
Wenn aber einer keine Arbeit hat, dann sind seine Chancen, einen Job zu finden, mit Auto vielleicht doch einen Deut besser als ohne. Vom ökologischen Standpunkt betrachtet, sind „weniger Autos … natürlich besser als mehr“ (Winfried Kretschmann, Ministerpräsident), aber was für die Umwelt im Ganzen gut ist, kann für den Einzelnen ruinös sein – den Arbeiter bei Opel ebenso wie den Arbeitslosen in Athen.
Während wir aber mit den von Betriebseinstellungen bedrohten „Opelanern“ mitfühlen, hält sich unser Mitleid mit den Griechen in sehr engen Grenzen. „Selber schuld“, sagen wir, hätten die ordentlich Steuern bezahlt, die Bürokratie nicht auswuchern lassen, sich keine 13. und 14. Monatsgehälter gegönnt und ihre Bilanzen bei der Aufnahme in die EU nicht manipuliert, wären sie heute besser dran.
Das ist sicher richtig, aber zu einer fröhlichen Betrugspartie gehören immer zwei. Der Betrüger und derjenige, der sich sehenden Auges betrügen lässt, weil auch er auf einen Vorteil aus ist.
Zum Beispiel den, dass er seinem „Partner“ 1000 Panzer im Wert von über zwei Milliarden Euro verkaufen möchte, die sich der Käufer eigentlich gar nicht leisten kann, weswegen das Geschäft finanziert werden muss, woran wiederum die Banken verdienen, die ihm das Geld vorstrecken.
Die Inszenierung der Rettung
Und wenn nun so getan wird, als würden „wir“ den Griechen mit immer neuen Milliarden helfen, ihre Wirtschaft zu stabilisieren, dann ist das auch nur Teil einer Inszenierung, wie sie für die gesamte „Armutsindustrie“ typisch ist: Die „Helfer“ helfen vor allem sich selbst, im Geschäft zu bleiben.
Die Milliarden, die Griechenland „zur Verfügung“ gestellt werden, kommen so am Bestimmungsort an wie einst die „Titanic“ im Hafen von New York. Sie werden nur hin und her geschoben, von einem Konto aufs andere, von einer Bank zur nächsten, um die den Griechen gewährten Kredite zu refinanzieren und damit den Zusammenbruch nicht etwa der griechischen Ökonomie, sondern der Banken zu verhindern.
Derweil geht Griechenland den Bach runter, schneller und konsequenter, als es die Berichte in der „Tagesschau“ und im Heute-Journal vermuten lassen. Dass die Griechen gezwungen sind, ihre Autos abzumelden, wäre noch eines der kleineren Übel; dass die Krankenhäuser ihre Patienten nicht versorgen können, weil die Medikamente unbezahlbar geworden sind, wiegt schon schwerer.
Am schlimmsten aber ist, dass einer ganzen Generation die Zukunft vermasselt wird. Junge Griechen, die keine Aussicht haben, in ihrem Land Arbeit zu finden, wandern aus oder resignieren.
Wohlstand für alle?
So etwas hat es in Europa schon öfter gegeben, Millionen von Polen, Iren und Italienern mussten ihre Heimatländer verlassen. Aber es geschah zu einer Zeit, als Armut der Normalzustand des Lebens war und es keine europäischen Institutionen gab, die mit dem Vorsatz angetreten waren, Wohlstand für alle zu generieren.
Nicht einmal die drei „Stooges“ an der Spitze der EU, die Herren Barroso, van Rumpoy und Schulz, würden es heute im Tür-zu-Tür-Einsatz schaffen, die Abbrecher und Aussteiger davon zu überzeugen, dass die EU eine gute Idee ist, der man nur ein wenig Zeit geben muss, bis sie Früchte trägt.
Verständlich, dass sie sich lieber als Garanten des Friedens in Europa feiern lassen, der ohne ihren unermüdlichen Einsatz längst einem Bürgerkrieg Platz gemacht hätte.
Aber Griechenland ist der beste Beleg dafür, dass der Bürgerkrieg bereits begonnen hat. Es ist nicht nur der Süden, der gegen den Norden rebelliert, es ist der „Pöbel“, der sich gegen einen europäischen Adel erhebt, der in Brüssel sein neues Sanssouci errichtet hat.
Griechenland soll geopfert werden
Diesem „Haus ohne Sorgen“ zuliebe muss man Griechenland opfern, um ein Exempel zu statuieren, wie es früher strenge Eltern mit einem aufsässigen Kind getan haben, um die anderen beizeiten zu disziplinieren.
Was diesen Vorgang über die übliche bürokratische Grausamkeit hinaushebt, ist die emotionale Kälte, mit der er exekutiert wird. In Deutschland etwa, wo das „Diktat von Versailles“ noch immer als Kränkung empfunden wird, die zum Zweiten Weltkrieg geführt hat, hat man mit den Griechen so viel Empathie wie ein Förster mit einem Wilderer.
Dass die Griechen gerade ihr Versailles erleben, die bedingungslose Unterordnung unter das „Diktat von Brüssel“, kommt keinem der Politiker in den Sinn, die ansonsten ihre Reden gerne mit den Worten anfangen: „Gerade wir als Deutsche, die wir aus unserer Geschichte gelernt haben …“
Zu den Lehren, die „wir“ aus unserer Geschichte gelernt haben, gehört auch die Erkenntnis, dass Kollektivstrafen unzulässig sind und man ein ganzes Volk nicht für die Missetaten seiner Führer verantwortlich machen kann. So wurde – und wird noch immer – sauber zwischen den „Deutschen“ und den „Nazis“ unterschieden, die 1933 wie Aliens in Deutschland eingefallen sind und das Land unter ihre Kontrolle gebracht haben.
Keine Unschuldsvermutung
Für die Griechen aber gibt es keine Unschuldsvermutung, die sitzen alle in einem Boot und haften füreinander wie Ali Baba und seine 40 Räuber. Sie stehen auch gemeinsam vor einem europäischen Strafgericht, dessen Urteil von keiner höheren Instanz überprüft wird. Es sei denn, das liebe Gott nimmt sich der Sache an.
Man braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, was die Griechen von der „europäischen Integration“ halten. Noch weniger Vorstellungskraft ist vonnöten, um zu erahnen, wie es mit dem Bauern weitergeht, der seinem Esel so konsequent das Fressen abgewöhnt hat.
Dieser Bericht zeigt die ungeschminkte Wahrheit über die Hilfsaktionen angeblich für Griechenland. Die Hilfe erreicht aber nur die „teilweise kriminellen Machenschaften“ der Finanzinvestitionsorganisationen, die diese Kriese erst angezettelt und zu verantworten haben. Dieses trifft im übrigen nicht nur für Griechenland zu, sondern für alle Krisenländer. Es ist aber dennoch richtig, das diese Krise nur durch ein starkes und einheitliches Europa gelöst werden kann. Dazu gehört aber auch ein respektvoller Umgang mit allen Beteiligten und das die Nöte und Ängste der Bevölkerung Berücksichtigung finden, und nicht wie teilweise in besonderem Masse von der deutschen Politik praktiziert mit diktatorischen Mitteln.