Cafè Größenwahn – Wie Hellas ins Nordend kam

Von CANAN TOPÇU, FR-Online.de

Sewastos Sampsounis, genannt Takis, ist Kellner, Verleger und Literat. Sein aktuelles Buch heißt „Bewegt“ und ist eine Sammlung von Kurzgeschichten auf Griechisch und Deutsch.

Nennen wir ihn Takis, weil ihn die meisten so rufen. Eigentlich heißt er Sewastos Sampsounis und ist im Café Größenwahn anzutreffen. Takis kellnert dort. Er ist aber nicht nur in der Gastronomie tätig, sondern auch Schriftsteller und Verleger. Das aktuelle Buch, das Takis herausgegeben hat, trägt den Titel „Bewegt“ und ist eine Sammlung von Kurzgeschichten auf Griechisch und Deutsch. Anlass für diese Veröffentlichung war der vor 50 Jahren abgeschlossene Anwerbevertrag zwischen Deutschland und Griechenland. Für Takis gibt es einen persönlichen Bezug, sich dieses Jubiläums anzunehmen. „Mein Vater gehört zu den Gastarbeitern, die sich kurz nach dem Abkommen auf dem Weg machten“, erklärt er.

Der Verlag des Herrn Sampsounis heißt „Größenwahn“. Sicher, besonders originell ist das nicht, weil Takis ja auch Teilhaber des gleichnamigen Lokals ist. Den Namen will er aber programmatisch verstanden wissen. Mit einer „gesunden Portion Selbstironie“ wolle er „über die herkömmlichen Grenzen von Sprachen und Kulturen hinaus einen Raum zum Denken und Schreiben anbieten“.

Viel mehr Stoff als für eine Kurzgeschichte

Das jüngst erschienene Buch und das Verlagsprogramm seien zum Anlass genommen, sich schreibend ein Bild von Takis zu machen, dem Romane schreibenden und Bücher verlegenden Wirt aus dem Nordend. Schon beim ersten Gespräch wird klar: Das Leben von Takis bietet viel mehr Stoff als für eine Kurzgeschichte. Auf alle Fälle müsste eine Erzählung über den Mittvierziger eine Passage darüber enthalten, dass für ihn das Wort „zurück“ eine besondere Bedeutung hat.

„Meine Vater wollte hier nur ein paar Jahre arbeiten und dann wieder zurück“, erzählt Takis, dessen Familie aus einem Dorf stammt. Zurück wollte auch seine Mutter, die als Braut hierher kam. Herr und Frau Sampsounis wollten hier Geld verdienen, damit ihre Familie ein sorgenfreies Leben in der Heimat führen kann. Wie so vielen anderen Arbeitsmigranten, die sich in der Hoffnung auf ein bessere Zukunft aus ihrem vertrauten Umfeld herauskatapultierten, wurden sie hier nicht heimisch. Trotzdem gelang ihnen nicht die Rückkehr. Leidtragender dieser fixen Idee wurde der Sohn.

Hin und her, her und hin

"Takis". Ein Portrait von Katerina Metallinou-Kiess

Takis war dreieinhalb Monate alt, als die Eltern ihn zur Großmutter ins Dorf brachten; dreieinhalb Jahre alt war er, als sie ihn wieder holten; fünf Jahre alt war er, als sie ihn ins Dorf zurückschickten; fünfeinhalb Jahre alt war er, als sie ihn erneut holten. Und als Takis sechs Jahre alt wurde, da schickten sie ihn wieder zurück, damit er in der „Heimat“ eingeschult wurde.

Die Beschreibung des Hin und Hers ließe sich noch fortsetzen. Dieses Hin- und Her ist schwer nachzuvollziehen und fällt selbst Takis schwer, es zu überblicken. Derweil er davon spricht, stellt sich die Frage: Warum nur dieses Hin und Her? „Meine Eltern wollten ja zurück, und sie wollten, dass ich in Griechenland zur Schule gehe und die Muttersprache gut spreche, damit aus mir etwas wird“, erklärt Takis. Seinen Eltern ist er wegen ihrer Fehlentscheidungen nicht gram, weiß er doch, dass sie es nicht besser zu machen wussten. „Ich bin ja keine Ausnahme; es gibt viele wie mich“, sagt Takis und meint all die Nachkommen der Gastarbeiter, die nicht bei den Eltern aufwuchsen und „Kofferkinder“ genannt werden. Dieses Kapitel der Migrationsgeschichte ist noch ungeöffnet, das Thema der deutschen Öffentlichkeit kaum bekannt und Trauma der Kofferkinder durch die Trennung von den Eltern wenig erforscht. In einer Erzählung über Takis müsste es unbedingt auftauchen, denn sie hat Takis geprägt, aber nicht scheitern lassen.

„Obwohl ich eine schwierige Kindheit und Jugend hatte und auf Unterstützung meiner Eltern kaum setzen konnte, habe ich mich doch erstaunlich gut entwickelt und integriert“, diese Bilanz zieht der 44-Jährige, der das Abitur auf dem griechischen Gymnasium in Frankfurt machte. Es folgte eine Ausbildung zum Zahntechniker, Takis verabschiedete sich aber von seinem Beruf. Er wollte mit echten Menschen und nicht nur mit falschen Zähnen zu tun haben und kam vor zehn Jahren als Kellner ins Größenwahn.

Wenn Takis nicht im Dienst ist, widmet er sich dem Schreiben und seinem Verlag. Eines seiner aktuellen Projekte heißt „Xenos in Griechenland“. Zudem will er autobiografischen Erzählungen von Menschen wie ihn, also mit sogenanntem Migrationshintergrund, verlegen. Dazu hat ihn auch der Ärger über die Debatte um die angeblich gescheiterte Integration inspiriert. „Ich kann all das nicht mehr hören“, sagt Takis. Er möchte ein Forum für Erzähler und Lesende schaffen. „Wir müssen uns unsere Geschichten erzählen, dann verstehen wir uns vielleicht besser“, sagt Takis. Seine eigene Geschichte könnte den Anfang machen.


Eine kurze Auswahl von Weltbestsellerautoren Im Größenwahn-Verlag:

  • Andreas Deffner (Das Kaffeeorakel von Hellas, Filotimo)
  • Katerina Metallinou-Kiess (Daheim im Nirgendwo)
  • Sewastos Sampsounis (Bewegt)
  • Edit Engelmann (Krise! Krise! Schulden am Olymp, Zitronen aus Hellas)