Von Wassilis Aswestopoulos 07.02.2013
Der Ex-Botschafter Leonidas Chrysanthopoulos über die Lage in Griechenland
In Griechenland werden Nachrichten im Rundfunk tagtäglich während der Berichterstattung kommentiert. Anlässlich der aktuellen Entwicklungen in Griechenland sprach Telepolis mit dem griechischen Botschafter a.D. Leonidas Chrysanthopoulos. Der rastlose Diplomat engagiert sich seit einiger Zeit bei EPAM, einer der zahlreichen Gruppierungen, die sich den Kampf gegen den Sparkurs auf die Fahnen geschrieben haben. Der Vorsitzende der Gruppe (Auftakt zum Wahlkampf in Griechenland), der Wirtschaftswissenschaftler Dimitris Kazakis, liefert in täglichen Radiosendungen, die relativ hohe Einschaltquoten haben, treffende Analysen der Situation, konnte aber bislang noch nicht viele Wähler überzeugen.
Chrysanthopoulos zeichnet verantwortlich für ein Thema der griechischen Nachrichtenwoche. In einem Interview für The Milestone, ein Online-Medium aus Mississippi, hatte er bereits im Dezember 2012 verkündet, dass die griechische Regierung mit der amerikanischen Sicherheitsfirma Blackwater einen Vertrag abgeschlossen habe. Blackwater, nun Academi genannt, soll mit privaten Sicherheitskräften das Parlament und die Regierung vor inneren Unruhen schützen. Es dürfte sich um den ersten Einsatz der Söldnertruppe außerhalb eines offiziellen Kriegsgebiets handeln.
Erst jetzt fiel dieses Thema den Griechen auf. Über Blogs fand es seinen Weg in die kommerzielle Presse. Für das Wochenende sind weitere Veröffentlichungen in der griechischen Sonntagspresse, sowie englischen Medien wie dem New Statesmen zu erwarten. Was hat Chrysanthopoulos dazu zu sagen?
Noch kein Dementi der griechischen Regierung
Leonidas Chrysanthopoulos: Es ist korrekt, dass ich zuerst einer kanadischen Zeitung gegenüber das Thema Blackwater – Academi angesprochen habe. Von dort kam es in die USA. Es gibt meines Wissens nach eine Vereinbarung der griechischen Regierung mit Academi, die den Schutz der Regierung und des Parlaments gegen innere Unruhen betrifft.
Wie können Sie das belegen? Wie kamen Sie an diese Information?
Leonidas Chrysanthopoulos: Die Information fand ich vollkommen legal über eine Bekanntmachung der Aktiengesellschaft, also Blackwater selbst. Ich muss betonen, dass es bis heute kein Dementi gibt. Stattdessen verkündete Bürgerschutzminister Nikos Dendias im Dezember, dass er die Sicherheitskräfte mit schwerem Gerät und Jeeps verstärken würde. Damit solle die inländische Gesetzlosigkeit bekämpft werden.
Es wird jedoch reichlich spät bekannt. Gab es so lange keine Reaktion?
Leonidas Chrysanthopoulos: Politische Parteien griffen das Thema nicht auf. Es gab keine parlamentarische Anfrage. Lediglich eins geschah. Ein ehemaliger Kollege von mir vom Parlament kam, um mich auszufragen – offenbar um herauszufinden, was ich weiß. Man sagte mir, dass das Parlament dementieren würde. Theoretisch ist es in der Tat so, dass das Parlament für seinen Schutz verantwortlich ist. Es wäre wirklich komisch, wenn gerade dafür die demokratische Gewaltenteilung im Land wieder hergestellt würde. Ich erwiderte dem Fragenden, dass das Parlament dementieren könne, was es will, weil meine Aussage eindeutig einen Vertrag der Regierung betrifft. Schließlich kam statt eines Dementis die schlichte Mitteilung des Parlaments, dass die Regierung in diesem Zusammenhang machen könne, was sie will. Tatsächlich möchte ich betonen, dass ich mich als Erster und am meisten über ein Dementi freuen würde.
Es kommt mir komisch vor, dass solch ein Thema nicht von den ansonsten so lautstark reagierenden Unabhängigen Griechen oder …
Leonidas Chrysanthopoulos: Panos Kammenos hat sich im Sender Ant1 darüber ausgelassen und Kritik am Schritt der Regierung geübt. Im Parlament kam bislang noch nichts.
In Vorgesprächen meinten Sie, dass es weitere medial vernachlässigte Themen der Krise geben würde. Heute sahen wir in Athen Menschenmassen, die vor dem Agrarministerium für ein paar von Bauern kostenlos abgegebene Tomaten anstanden. Es gab dabei Verletzte.
Leonidas Chrysanthopoulos: Es gibt auch ein von Medien gemiedenes Thema mit den Beerdigungen.
Meinen Sie den Beschluss der Stadtrats Ioannina. Dort sollen aus Kosten- und Platzgründen die Gräber bereits nach sieben Jahren geräumt und neu belegt werden?
Leonidas Chrysanthopoulos: Ich meinte eher die Tatsache, dass in den Kühlräumen von Krankenhäusern sehr viele Leichen aufbewahrt werden, weil den Verwandten das Geld für die Beerdigung fehlt. Nur durch Gaben der Kirche kann diesen Menschen jetzt eine Beerdigung gewährt werden. Es gibt dabei keine Särge – die Kirche kann sich nur Kartons leisten. Aber immerhin ist dies zumindest eine Lösung. Denn, wie Sie vielleicht wissen, müssen die ohnehin verschuldeten Krankenhäuser ansonsten selbst die Beerdigungen zahlen, wenn kein dazu bereiter Angehöriger auffindbar ist. Es ist eine weitere makabre Seite des Dramas.
Ein Drama, welches, wie der IWF selbst zugibt, auf ein falsches Programm rückführbar ist?
Leonidas Chrysanthopoulos: Ja. Der Fehler des IWF, die falsch berechneten Multiplikatoren, all das hat Schaden angerichtet. Nehmen wir mal an, dass der Schaden 40 Milliarden Euro beträgt. Ich kenne die Summe nicht, ich nenne die Zahl nur zur Illustration. Warum, frage ich mich, berechnet niemand den Schaden und verrechnet ihn mit unserer Schuld gegenüber den Gläubigern, die durch ihre Vorgaben den Schaden verursacht haben? Ich hatte dies im Finanzministerium vorgetragen und versuchte, darüber zu diskutieren. Die Verantwortlichen dort halten mich für verrückt!
Die erheben doch immer weiter Steuern. Die Menschen haben das notwendige Geld aber nicht. Der ehemalige IWF Vertreter Griechenlands, Panayiotis Roumeliotis sagt das auch. Gut. Aber ich habe einen Einwurf. Meinen Sie wirklich, dass der IWF den Griechen explizit vorgeschrieben hat: „Senkt die Löhne auf 300 bis 400 Euro, die Renten auf 200 bis 300 Euro pro Monat und schöpft dann 500 Euro pro Kopf an Steuern ab?“
Muss ein Regierender nicht in gewissen Punkten zum Schutz seiner ihm anvertrauten Bevölkerung „Nein“ sagen?
Leonidas Chrysanthopoulos: Bereits zu Beginn, im Jahr 2010, ging es überhaupt nicht mit rechten Dingen zu. Das gesamte Reformpaket konnte gar nicht klappen. Ich sagte bereits damals, dass es unmöglich sei, mit den seinerzeit bestehenden Löhnen, die Staatsschulden über Steuern in so kurzer Zeit abzubauen. Der IWF schlug sein Programm als Diskussionsgrundlage vor und die Regierung reagierte überhaupt nicht. Es gab keinen Input aus der Realität. Nehmen wir ein aktuelles Beispiel. Das Heizöl. Die Steuerbelastung darauf wurde versechsfacht, vorgeblich, um damit den Schwarzhandel von als Diesel verkauftem Heizöl zu bekämpfen. Hätte dies ein Student im ersten Semester als Lösung vorgeschlagen, er wäre doch sofort durchgefallen und auf seinen Geisteszustand untersucht worden.
Tatsächlich ersticken wir im Smog. Kaum jemand kann sich Heizöl leisten, Wälder, Parks und Alleenbäume werden abgeholzt. Die Staatseinnahmen sanken statt zu steigen, Statistiken belegen eine Zunahme von Herzattacken und Asthmaanfällen bei extremen Smogsituationen und zu guter Letzt erwarten wir einen Anstieg der Krebserkrankungen. Das muss doch der Regierung auffallen.
Leonidas Chrysanthopoulos: Die erheben doch immer weiter Steuern. Die Menschen haben das notwendige Geld aber nicht. Das versteht die Regierung nicht. Die beim Heizöl nicht erzielten Einnahmen werden nach deren Logik weitere Steuern notwendig machen.
Für so dumm, dass sie es nicht verstehen, halte ich die Regierenden nicht…
Leonidas Chrysanthopoulos: Gut, anders ausgedrückt, es ist ihnen egal!
Politischer Dauerstreik
Wie kann man sich wehren? Wir haben nun innerhalb von 10 Tagen den zweiten Fall einer militärischen Zwangsverpflichtung Zuerst traf es die Angestellten der Metrofirma, die sich dagegen wehrten, dass sie nun gemäß eines Einheitslohns aufgrund ihrer Schulabschlüsse bezahlt werden sollen. Weil es keine anerkannten Berufsabschlüsse gibt, führt dies im Extremfall dazu, dass ein Metrofahrer mit dreißig Dienstjahren wie ein Abiturient bezahlt wird, während ein Neueinsteiger mit Uni-Diplom aufgrund seines Diploms fast das doppelte Gehalt für den gleichen Job erhält. Die Regierung beendete den Streik mit einer militärischen Dienstverpflichtung.
Noch drastischer sah es bei den Hafenarbeitern und Seeleuten aus. Diese wehren sich sowohl gegen Gehaltskürzungen aber auch gegen seit Monaten ausstehende Löhne. Statt einer Lösung des Problems erhielten auch sie den Einberufungsbescheid. Von den 15 heute vom Hafen Piräus auslaufenden Schiffen sind zwei voll mit Seeleuten, die seit fast fünf Monaten kein Gehalt mehr erhalten. Wie legal ist das? Eine Arbeitspflicht ohne Lohn? Wie soll sich die Bevölkerung gegen den Irrsinn wehren?
Leonidas Chrysanthopoulos: Wie legal das Handeln der Regierung ist, kann ich nicht beurteilen. Fakt ist, dass das betreffende Gesetz zur militärischen Dienstverpflichtung von Arbeitnehmern aus einer Zeit (1974) stammt, als die Militärdiktatur gerade beendet wurde. Wir waren wegen Zypern im Kriegszustand mit der Türkei und hatten neben dem Problem des politischen Wechsels und eines zusammenbrechenden Staatswesens auch noch eine bewaffnete Auseinandersetzung. Klar, dass in solche einer Lage das Gesetz als Schutzmechanismus passte. Seit 2006 wenden es die griechischen Regierungen wieder an. Eben darum bevorzuge ich als Lösungsmodell einen politischen Streik.
Was ist denn das genau?
Leonidas Chrysanthopoulos: Ich wirke mit beim EPAM. Wir bereiten dort einen Aktionismus vor, bei dem sich der Streik, kein kurzfristiger, sondern ein Dauerstreik, nicht gegen den Bürger, sondern gegen den Staat richtet. Einen politischen Streik also.
Die Hospitäler werden dann Kranke wie üblich behandeln. Allerdings werden keine Abrechnungen erstellt, die dem Staat Einnahmen bringen können. Busse werden fahren, allerdings werden keine Tickets ausgegeben. In den Finanzämtern wird wie normal gearbeitet. Jedoch werden die Zahlungsbescheide zwar ausgesandt, aber nicht abkassiert. Für den öffentlichen Dienst ist dieses Modell des Streiks leicht erklärbar. Für die Privatwirtschaft feilen wir noch an wirkungsvollen Modellen. Nach unseren Schätzungen sind bislang knapp dreißig Prozent der Arbeitnehmer dazu bereit. Wir müssen vor einer Aktion noch mehr Anhänger für diese Streikvariante finden. Sobald wir die notwendige Schwelle erreicht haben, ziehen wir das durch. Die normalen Streiks haben doch überhaupt gar keine Wirkung, sie verpuffen.
Albtraum eines faschistischen Europa
Das klingt interessant. Ebenso interessant wie die Theorien von Dimitris Kazakis. Was mich aber zur Frage drängt. Warum hat EPAM so wenige Wähler? Warum hat Kazakis politisch keine Stimme im Parlament?
Leonidas Chrysanthopoulos: Kazakis ist in Wirtschaftsfragen höher gebildet als die anderen. Er sagt jedoch im Grunde das Gleiche wie SYRIZA. Der Unterschied ist, dass SYRIZA seine Position politisch begründet und wir hingegen die wissenschaftliche Theorie in den Vordergrund stellen.
Fein. Jedoch habe ich einen Einspruch. Es gibt massenhaft Gruppen und Parteien gegen den irrsinnigen Wirtschaftskurs. Dagegen steht ein Bonus von 50 Mandaten für die stimmstärkste Partei bei Wahlen. Die Zersplitterung der Alternativen wird so direkt bestraft. Warum also einigt sich die Opposition nicht. Denn zumindest einige Gruppen haben im Grunde das gleiche Ziel. Angesichts der Sperrklausel und der Bonusregelung fürchten die Wähler am Stichtag jedoch eine Stimmabgabe für die kleineren Oppositionsparteien und wählen daher eine der größeren Parteien. So wird sich nie etwas ändern, oder?
Leonidas Chrysanthopoulos: Nun gut. Samaras wird, so munkeln viele, das Bonussystem kippen. Denn er möchte keineswegs, dass die Linke in Form des SYRIZA davon profitieren kann. Und genau danach sieht es momentan aus. Ein Antisparkursblock ist jedoch in der Tat in Arbeit. Die EPAM geht auf andere zu. Wir unterstützen Aktionen von „Bezahlt wird nicht“, die kommen uns zu Hilfe. Es gibt also durchaus Vereinigungsbestrebungen, die sogar immer mehr zunehmen. Allerdings sind wir Griechen, somit alle etwas eigensinnig. Seit der Antike ist die Uneinigkeit das Hauptproblem der Griechen.
Die Uneinigkeit einer demokratischen Opposition ist bei offensichtlichen Verfassungsbrüchen durch die Regierung aber sehr gefährlich. Das läuft doch geradewegs in Richtung Faschismus und die Sehnsucht nach dem „starken Mann am Ruder“.
Leonidas Chrysanthopoulos: Wenn es nur die Verfassung wäre! Tagtäglich werden auch sämtliche europäische Vereinbarungen übertreten. Die Römer Verträge, die Verträge von Lissabon und Maastricht sind nun alles Makulatur. Die Würde des Menschen in Griechenland wird mit Füßen getreten. Vor all dem hatte ich bereits 2009 gewarnt. Googlen Sie ruhig nach meinem Namen bei der Eleftherotypia. Im Dezember 2009 referierte ich dort über den Albtraum eines faschistischen Europa.
Herr Chrysanthopoulos, vielen Dank für das Gespräch.