Von Wassilis Aswestopoulos, Telepolis, 27.02.2013
Der Rettungswahnsinn geht in die nächste Runde
Langsam ist es an der Zeit, bei Beiträgen über die hellenische Tragödie mit „Griechenland mal wieder“ zu beginnen. Denn in der Tat fühlt sich der Chronist wie im Film „Und täglich grüßt das Murmeltier“ in einer endlosen Zeitschleife gefangen. Es gibt in der Tat täglich zahlreiche Dinge zu berichten. Was durchweg fehlt, ist ein überzeugendes, positives Ereignis, das Hoffnung auf einen Wechsel der sowohl wirtschaftlich als auch gesellschaftlich depressiven Stimmung macht. Denn selbst unter den Augen der vorgeblich strengen Kreditgebertroika entfernt sich das Land immer mehr von dem, was unter einer europäischen Demokratie verstanden wird.
Die „Sicherheitsfrage“
84 Abgeordnete des griechischen Parlaments haben eine Eingabe gestartet, derzufolge es gesetzlich vorgeschrieben werden soll, dass in die Offiziersschulen der griechischen Streitkräfte, in den Polizeidienst und in die Küstenwache nur Personen griechischer Staatsangehörigkeit und griechischer Abstammung übernommen werden dürfen. Eine einfache Staatangehörigkeit soll nicht mehr ausreichen. Dass damit auch Personen mit europäischem Migrationshintergrund ausgebootet werden, somit die von der EU garantierte europäische Freizügigkeit ad absurdum geführt wird, erscheint den Abgeordneten egal.
Es handelt sich allerdings nicht um Parlamentarier der rechtsradikalen Chryssi Avgi, sondern vielmehr um den größten Teil der Abgeordneten der Nea Dimokratia, die immerhin mit der CDU/CSU zur Europäischen Volkspartei zählt. Als Grund werden auch keine Rassentheorien präsentiert. Es wird statt dessen lediglich auf die geopolitische Lage des Staats und die daraus resultierenden Sicherheitsfragen zurückgegriffen. Offenbar folgen die Abgeordneten mit ihrem Vorstoß den Gedanken des obersten Heereschefs, Michail Konstarakos.
Krisentourismus
Die Industrie ist immer ein Gradmesser, wenn es um wirtschaftlich verwertbare Vorhersagen für die Zukunft geht. Das trifft besonders dann zu, wenn diese Vorhersagen sich mit Investitionen in einen existierenden Erwerbszweig verbinden lassen.
Wenig Hoffnung für eine wirtschaftliche Verbesserung der Situation macht in diesem Zusammenhang ein Angebot amerikanischer Tourismusanbieter, die einen „Athens Crisis Walk“, also einen Gang durch Elendsviertel der Eurokrise als Tourismusattraktion anbieten. Dass mindestens einer der Anbieter offenbar nach einschlägigem Protest seitens der Griechen das Angebot wieder strich macht die Sache nicht wesentlich besser.
Hubschrauber als unkontrollierte, potentielle Waffenträger
In Griechenland hat erneut ein Haftinsasse versucht, per Helikopter zu flüchten (Spektakuläre Gangsterbefreiung in Griechenland). Diesmal war es Panagiotis Vlastos, ein Serientäter mit zweimal 25 Jahren und einmal Lebenslänglich Zuchthaus als Strafe. Vlastos entkam nicht, weil der Fluchthubschrauber von den Wachmannschaften in ein Feuergefecht verwickelt wurde. Die Wachmänner gaben ungefähr 500 Schuss ab. Dabei wurde das Fluggerät fluguntauglich geschossen , der Bordoffizier wurde durch Schüsse verletzt und der Flüchtende erlitt bei einem Sturz aus knapp sieben Meter Höhe einige Knochenbrüche.
So weit, so gut – oder auch nicht. Denn während die Regierung ihre erfolgreiche Aktion feiert, wurde bekannt, dass Details zum Ausbruch den Polizeibehörden bereits seit Monaten bekannt waren. Zudem wusste die Wachmannschaft des Gefängnisses bereits Stunden vor dem gescheiterten Hubschrauberanflug Bescheid, dass der Tag X angebrochen war. Des Weiteren hatte der Pilot der Maschine den verschlüsselten Code für eine Fluggerätentführung frühzeitig an die Tower der Luftüberwachung geschickt. Demnach wurde bei der Ausbruchsvereitelung bewusst das Leben des entführten Piloten und seines Flugoffiziers riskiert. Zudem hätte der Hubschrauber nach dem massiven Beschuss auch in das voll besetzte Gefängnisgebäude stürzen können, statt nach einer beherzten Notlandung auf dem Gefängnisparkplatz aufzusetzen.
Eindeutig wurden also unnötig Leben riskiert. Erschwerend kommt hinzu, dass obwohl der Hubschrauberausbruchsplan seit Monaten an die Behörden durchgesickert war, niemand auf die logische Idee kam, die Passagiere der zwei im Land befindlichen Hubschrauberverleihfirmen einem Sicherheitscheck zu unterziehen. Ein gut organisiertes Staatswesen hätte mit Sicherheit anders reagiert, zumal es sich um den nunmehr dritten „Hubschrauberangriff“ auf griechische Strafanstalten im aktuellen Jahrtausend handelt.
Goldabbau, Terror und Staatsgewalt
Wenig Vertrauen erweckend ist sowohl für Investoren als auch für Bürger das Drama um den Goldabbau auf der Halbinsel Chalkidiki in Nordgriechenland. Die dortigen Goldvorkommen garantierten seit der Antike den Wohlstand der gesamten Region. Die Sagen um König Midas, der alles, was er anfasste zu Gold machte, haben einen durchaus realen Hintergrund. Ebenso real ist die antike Aussage, dass Midas nie in den Genuss des Goldsegens kam und ihn vielmehr als Fluch empfand. Denn für das Goldinvestment in Hellas musste die kanadische Firma Eldorado Gold lediglich 11 Millionen Euro an den Staat zahlen. Das entspricht einem Preis von 320 Euro pro Hektar Waldgebiet. Mit den 11 Millionen zahlte der Fiskus einen Teil der 14 Millionen Euro Schulden, welche der vorherige Investor hinterließ. Auf bis zu 25 Milliarden Euro schätzen griechische Wissenschaftler den Goldvorrat.
Das Waldgebiet, welches bislang unter Naturschutz stand und über dem Trinkwasserreservoir der gesamten Tourismusregion liegt, soll abgerodet werden. Der Goldabbau findet durch Auswaschen mit Zyanidverbindungen statt. Genehmigungen für das sehr umstrittene Vorhaben wurden eingeholt, ohne dass die Entscheidungsträger die Einzelheiten kannten. Französiche Sender informieren ihre Öffentlichkeit über die Gefahren des Goldabbaus, während im griechischen Fernsehen nicht darüber gesprochen wird. Denn einer der größten Medienmogule des Landes, die Familie Bobolas, hat als Bauunternehmer sämtliche Arbeiten in Skouries übernommen. Bobolas erwarb das Goldgebiet für die besagten 11 Millionen Euro und veräußerte es einen Tag später für ein Vielfaches der Summe und gegen die Einbindung seines Unternehmens als exklusiven Techniklieferanten und als Gesellschafter mit einem Anteil von 5 Prozent an die Kanadier.
Verständlich erscheint, dass den Bürgern Chalkidikis, die durch alarmierende Gutachten der staatlichen Ingenieurkammer und der Aristoteles-Universität zu Thessaloniki weiter aufgeschreckt wurden, alles, was mit dem Goldabbau zu tun hat, höchst anrüchig vorkommt. Andererseits freuen sich 1.200 Einwohner der Region mit vierzig Prozent Arbeitslosigkeit über einen Job. Sowohl die nicht bei der Mine beschäftigten Anwohner, als auch Vertreter aller Oppositionsparteien, Rechts wie Links, wettern und demonstrieren gegen das Unternehmen. Über diese Demonstrationen berichten die griechischen Fernsehsender nicht. Das wiederum feuert Verschwörungstheorien immer weiter an.
Der Konflikt gipfelte vor zehn Tagen in einen nächtlichen Überfall, bei dem eine erkennbar straff organisierte Bande Teile der Goldmine verwüstete und Wachleute verletzte. Als Konsequenz verschrieb das Bürgerschutzministerium der gesamtem Region um die Goldmine herum eine Rasterfahndung. Jeder Bürger wird von der Polizei zur Abgabe einer DNA-Probe gezwungen, obwohl dies nach geltendem griechischen Recht nicht ohne staatsanwaltschaftliche Anordnung möglich sein dürfte. Selbst konservativ ausgerichtete Internetmedien berichten über „Guantanamo“-Praktiken der griechischen Polizei. Denn vorläufig Festgenommene verschwinden oft tagelang, ohne dass Anwälte oder Verwandte über den Aufenthaltsort informiert werden.
Andererseits muss selbst ein kritischer Beobachter eingestehen, dass ein potentieller Investor von Szenen wie in Skouries eher abgeschreckt als angelockt wird. Denn im Grunde zeigt das gesamte Prozedere nur, dass weder die Bürger noch Investoren Vertrauen in die Kontrollfunktion des Staats haben können.
Der Emir und die Eicheln
Seit Beginn der Krise versuchen die griechischen Regierungen den Emir von Katar dazu zu bewegen, ins Land zu investieren. In der Tat ist der absolutistische Herrscher samt Familie ein Fan griechischer Inseln. Er verbringt sehr oft den Urlaub im Land. Giorgos Papandreou hatte während seiner Amtszeit versucht, dem Emir Milliarden für den brach liegenden alten Flughafen der Hauptstadt zu entlocken. Offenbar machte der Sozialist dabei einige Zugeständnisse und wollte sogar auf die von der EU vorgeschriebenen Ausschreibungen verzichten. Per Fast-Track-Genehmigungsverfahren sollten sämtliche notwendigen Genehmigungen für ein Las Vegas am Mittelmeer erteilt werden.
Papandreous Bruder Nikos reiste ebenfalls ins Emirat. Auch ohne offiziellen Posten sollte der Bruder die Geschäfte im Namen des Staats voran treiben. Dabei saß Nikos statt im Linienflieger im eigens für ihn bereit gestellten staatlichen Regierungsflieger. So weit so gut. Später fiel dem Emir auf, dass mündlich zugesicherte Steuerfreiheiten nicht eingehalten wurden. Es widerstrebte ihm, sich EU-Vorschriften zu unterwerfen. Premier Antonis Samaras wollte den verschnupften Wüstenfürsten umstimmen und reiste im Januar selbst ins Emirat. Mit 49 griechischen Industrievertretern im Schlepptau wollte Samaras ein gutes Klima schaffen.
Tatsächlich schien dies zu klappen. Überglücklich verkündete der Premier seinen Bürgern, dass goldene Zeiten mit den Milliarden aus dem Erdölstaat bevorstehen würden. Leider entdeckte der Emir in der Zwischenzeit ein weiteres typisch griechisches Detail. Er hatte für seine Freizeit ein griechisches Eiland nahe Ithaka kaufen wollen und war im Prinzip bereits handelseinig. Ein Ferienpalast sollte auf der einsamen Insel Oxia entstehen.
Anders als Odysseus hatten die Ithaker dem Fürsten kein Holzpferd, sondern einen Pferdefuß im Kaufvertrag untergeschoben. Die Insel ist voll mit Stech-Eichen. 31 der notwendigen Baugenehmigungen hätte der Emir leicht erhalten können. Die 32. aber, wäre ihm verwehrt worden. Denn die Insel gilt als gesetzlich geschütztes Waldgebiet. Als Reaktion kamen, so berichtet der Bürgermeister von Ithaka, seitens des Emirats wenig druckreife Ausdrücke. „Dann bleibt, schaut, wie die Bäume wachsen, und esst die Eicheln“, soll der Emir unter anderem gesagt haben. Weitere Quellen berichten, dass der Emir als Diagnose für Investoren feststellte, „dass ein Investor in Griechenland ein Masochist sein muss“. Auch ohne psychologische Ausbildung kann diese Feststellung durchaus unterschrieben werden. Denn sie wird von so gut wie allen Investoren des Landes geteilt.
Adonis und Bunga Bunga
In Griechenland selbst verbreitet der Abgeordnete der Nea Dimokratia, Adonis Georgiadis, stets, dass es keine Alternative zum Sparkurs der Regierung gäbe. Er tritt vor jede sich im bietende Kamera und verkündet unentwegt, dass der eingeschlagene Weg alternativlos sei und Zweifel an diesem dem Patriotismus widersprechen würden.
Dass der Sparkurs jedoch so weit getrieben wird, dass ausgerechnet der Erzfeind Türkei Hospitalschiffe für die küstennahen griechischen Inseln bereitstellen möchte, weil die Griechen selbst diese Inseln nicht mehr medizinisch versorgen können, scheint den selbst erklärten Patrioten kaum zu stören. Die Steuerfreiheit genießenden Reeder möchte Adonis, wie er kurz genannt wird, nicht weiter besteuern. Denn diese, so meint der frühere Marineminister, würden ihr Land lieben, was die Bürger endlich verstehen sollten.
Ganz so sehr kann Adonis aber nicht vom Sparkurs der Regierung überzeugt sein. Denn vor den italienischen Parlaments- und Senatswahlen sah sich der Austerity-Fan genötigt, ein Telegramm an Silvio Berlusconi zu senden. Darin wünschte er dem smarten Italiener einer imposanten Wahlsieg, damit dadurch Europa gerettet würde.
Es kann natürlich sein, dass der ansonsten glücklich verheiratete Adonis sich mit diesem Schreiben eine Eintrittskarte für die nächste Bunga-Bunga Party besorgen wollte. Allerdings tragen solche Schritte weder für das offiziell von der Regierung beabsichtigte „Wiedererlangen des Vertrauens der europäischen Partner“ noch für das Gewinnen des ohnehin schon fast verlorenen Vertrauens der griechischen Bevölkerung bei.
Dementis, die sich selbst dementieren
Anfang Februar hatte der ehemalige Botschafter Griechenlands Leonidas Chrysanthopoulos gegenüber Telepolis erklärt, dass er Belege für ein Engagement der amerikanischen Sicherheitsfirma Blackwater – heute unter Academi firmierend – in Griechenland habe (Eine Söldnertruppe zum Schutz der Politik). Wenige Tage später wiederholte er diesen Verdacht gegenüber dem englischen Magazin New Statesman.
New Statesman erhielt in der Zwischenzeit eine Nachricht von Academi-Blackwater, die besagt, dass die Firma zu keiner Zeit einen Vertrag mit der Regierung in Griechenland geschlossen habe. Das wiederum widerspricht einer seit Anfang des Jahrtausends vorliegenden Nachricht. denn für die Olympischen Spiele in Athen 2004 hatte die Sicherheitsfirma den Schutz der Spiele organisiert und sogar griechische Polizeikräfte entsprechend ausgebildet. Wie so etwas ohne Geschäftsbeziehung zu der vorgesetzten Behörde der Polizei, der Regierung, gehen soll bleibt im Unklaren.
Failos, die Leiche und die Fernsehkiste
Failos Kranidiotis, der ehemalige Verteidiger Abdullah Öcalans prahlt gern mit seiner seit 1993 bestehenden Freundschaft zu Premier Antonis Samaras. Er gilt als enger Berater des Regierungschefs und verbreitet sowohl über Blogs und Portale als auch über die Tageszeitung Dimokratia rechtskonservative Ansichten der Regierungspolitik.
Der Hardliner beschäftigt sich ansonsten sehr gern mit dem Sozialen Netzwerk Twitter. Dort gehört es zu seinen offensichtlichen Lieblingsthemen, jeden, der politisch weiter links als er selbst steht, mit Häme zu überziehen. Das wiederum reizt die Gegenseite zum Schlagabtausch. Nach entsprechenden Äußerungen zur Gewalt, die nach Kranidiotis Meinung einzig aus der linken Ecke kommt, sah sich ein weiterer Twitter-Benutzer genötigt, Kranidiotis zu schreiben: „Gewalt ist, wenn mein Alter zum Arzt geht und dort die Mitteilung liest, dass die 10 dem Arzt zustehenden Patientenuntersuchungen bereits gelaufen sind. Wenn er stirbt ,bring ich ihn zu Dir!“
Der sich selbst nach Fyodor Dostoyevskys Romanheld aus Schuld und Sühne „Raskolnikov“ nennende Twitterer sprach damit einen real existierenden Zustand im Land an. Denn die Krankenkassen zahlen ihren Vertragsärzten nur noch 10 Patienten pro Tag, jeder weitere hat schlicht Pech gehabt. Kranidiotis antwortete mit einer weiteren Provokation: „Gerne. Aber wo sollen wir ihn hintun? Ach – ich habe noch eine Kiste vom Fernseher (Schwarzweiß). Wenn Du ihn zusammenfaltest, bevor er kalt wird, dann passt er“, schrieb Kranidiotis. Das war selbst dem Regierungssprecher zu viel. Simos Kedikoglou verurteilte die Äußerung Kranidiotis als abscheulich. Unbeirrt hält Kranidiotis an seiner Meinung fest. Für ihn sind Benutzer, die im Internet unter einem Pseudonym auftreten, keine richtigen Menschen, sondern nur Trolls. Dem allgemeinen, bereits stark angespannten politischen Klima im Land sind solche Aktionen natürlich nicht dienlich.
Was steht noch an?
Während die Griechen erfuhren, dass in Alexandroupolis ein achtjähriger Grundschüler wegen Diebstahls festgenommen wurde, weil er in Kirchen Kerzen stibitzte, um zu Hause, wo seine arbeitslosen Eltern den Strom nicht mehr bezahlen konnten, die Hausaufgaben erledigen zu können, hören sie, dass die Troika für eine weitere Prüfung im Anmarsch ist.
Fringsen ist in Griechenland noch nicht durch Kirchenväter abgesegnet. In diesem Klima wird von den verantwortlichen Politikern ernsthaft diskutiert ernsthaft diskutiert, weitere Lohnkürzungen vorzunehmen.
Fazit
Für den Chronisten hat angesichts dieser und zahlreicher weiterer die Geschichte nur einen möglichen Ausgang. Es muss und wird zu einem Knall kommen. Wie weit dieser die Eurozone, so diese denn die italienischen Turbulenzen übersteht, noch erschüttern kann, bleibt dahingestellt. Bis dahin gestaltet sich der Arbeitsalltag nach dem bekannten Murmeltiermuster.
Es wird höchste Zeit, dass unter diesen weltfremden Politikern mal ganz radikal aufgeräumt wird und dass auch die „das Land so liebenden Reeder“ endlich mal Steuern zahlen!
So grosse Knüppel gibt es gar nicht, mit denen man dazwischenhauen sollte …