(c) Edit Engelmann, 2013
Wir brauchen mehr Europa – Wie ein Mantra wird dieser Satz gebetsmühlenartig auf jeder Konferenz zum ultimativen Leitgedanken – und zwar egal, unter welchem eigentlichen Thema die Konferenz läuft.
So auch in Athen am 12. April. Eigentlich waren, wollten wir uns über Beziehungen auf der Nord/Südachse innerhalb der EU informieren. Die Friedrich Naumann Stiftung (für die Freiheit) hatte nämlich zusammen mit Evropaiki Ekfrasi Youth und Forum for Greece zu einer Veranstaltung unter der Überschrift „Das Aufeinandertreffen nationaler Vorurteile in einer Zeit wirtschaftlicher Krise“ eingeladen.
Gesprochen wurde in der Tat über die Stereotypen, die uns aus Bild und Vima plagen. Herr Aristos Doxiades hielt einen wirklich exzellenten Vortag über Vorurteile und Missverständnisse, die wechselseitig zwischen Deutschen und Griechen bestehen. Wohlbegründet führte er aus, dass es sich glücklicherweise um keine historisch verankerten handelt, die sich nur sehr schwer aus den Köpfen von Menschen wieder entfernen lassen. Zumeist sind es nur vorübergehende, aus der Not und Situation heraus geborene Slogan, die durch Krise und allgemeine Unkenntnis über die Lebensumstände des jeweils anderen entstanden sind. Somit besteht keine Gefahr, dass sie als langfristige Vorurteile zwischen beiden Ländern und Nationen am Leben bleiben.
Gerade Deutschland und Griechenland schauen ja auf eine lange Zeit gemeinsamer geschichtlicher Begegnungen zurück. Angefangen bei der byzantinischen Prinzessin Theophanu, die als Kaiserin und Witwe Ottos II ihr Leben in Nimwegen beendete – auch wenn weder sie noch ihr Mann seinerzeit schon wussten, was „deutsch“ eigentlich ist.
Der erste griechische König war ein Import aus Bayern und brachte die deutsche Gründlichkeit dabei so gründlich mit, dass die Griechen ihn und seine gesamten Verwaltung 30 Jahre später wieder nach Hause schickten und sich statt dessen lieber einen Dänen hielten. Trotzdem sind keine wechselseitigen Ressentiments übrig geblieben, nicht einmal nach den Gräueln des zweiten Weltkrieges. Somit besteht die begründete Hoffnung, dass sich in der Zukunft die momentanen Vorwürfe, die sich beide Nationen medial um die Ohren hauen, wieder relativieren werden und wir wieder zurückkommen zu dem, was schon immer war: Der Deutsche bewundert am Griechen das, was Goethe so formulierte: Unter allen Völkerschaften haben die Griechen den Traum des Lebens am schönsten geträumt. Und die Griechen bewundern wie immer des Deutschen pünktlichen und geordneten Tatendrang.
Insoweit erfüllte die Konferenz die Erwartungen der Teilnehmer. Leider hielt sich die Diskussion nur den geringsten Teil des Tages bei diesem Thema auf. Die faulen Griechen und fleißigen Deutschen boten lediglich den klingenden Resonanzboden eines kontinuierlichen Rufes nach mehr. Nur wenn alle 27 (plus noch kommende) über einen Kamm geschorenen Nationen endlich gemeinsam unter dem europäischen Hut ihre Häupter aneinanderreiben – nur dann wird endlich alles gut. Am gemeinsamen europäischen Bankwesen wird der Euro genesen. Natürlich braucht man dazu richtige Europagesetze, Europapolitiker und Europadenker – und das ganze möglichst auch noch vor der nächsten Europawahl. Sonst geht vielleicht gar keiner mehr hin. Völlig unerwähnt blieb bei diesem ganzen „Mehr Europa“, dass Europa ein Begriff für den Kontinent als solchen ist. Gebraucht wird er hingegen sowohl als Synonym für den Euro als auch die EU als auch die EU-Kommission. Da soll sich noch einer auskennen, was denn jetzt wirklich Europa ist und der europäische Gedanke.
Der deutsche Botschafter in Griechenland – so wurde versichert – habe die beste ambassadeutsche Rede gehalten, die in den letzten Jahren von einem Vertreter Deutschlands bei entsprechenden Anlässen gehalten wurde. Seitens der anwesenden Politiker wurde die Konferenz leider wie immer als Plattform für den Wahlkampf genutzt. Plötzlich war alles schlecht, was bisher gut war und erst in Zukunft wird es besser, weil sich dann endlich alles ändert. Natürlich mit denselben Programmen und Strategien. Immerhin lernten wir dabei, dass die deutschen Europapolitiker wirklich keine Ahnung haben, wie unbeliebt die deutsche Politikerkaste derzeit im europäischen Ausland ist – und auch nicht die blasseste Idee oder Vorstellung, wieso das wohl so ist.
Wahrscheinlich haben sie vergessen, dass am Ende der politischen Nahrungskette der Mensch steht. Der deutsche Michel und der griechische Kostas. Von denen wurde dann während der gesamten Konferenz auch nicht gesprochen. Niemand kümmert sich anscheinend auch nur im entferntesten über deren Wohlbefinden oder Meinung oder den deren Verständnis eines demokratischen und menschenwürdigen Grundgedankens. Man war nur erstaunt, dass nach neuesten Erhebungen immer weniger Griechen und Deutsche noch daran glauben, dass die EU eine sinnvolle und menschliche Einrichtung ist, die das nächste Jahrzehnt überstehen wird. Deshalb, weil so wenig anerkannt – weder begriffen noch gewollt – muss auch unbedingt MEHR EUROPA her. Man machte sich nicht einmal Gedanken darum, wie man diesen ignoranten Menschen die Notwendigkeit von „mehr Europa“ zu verkaufen gedenkt. Das will man ihnen einfach so vor die Nase setzen, ob sie wollen oder nicht. Entsprechende Gesetze, Regulierungen und Kontrollen sind zu schaffen. Ein Schelm, der Böses dabei denkt.
Glücklicherweise war wenigstens der Vertreter der Jugend so ausgeschlafen und hat wohl von Haus aus eine humanistische Bildung genossen (denn durch Schulbildung allein ist es heutzutage eine wohl beabsichtigte Seltenheit), dass „Mehr Europa“ zunächst einmal wieder ein Mehr an Werten, Ethik und Moral bräuchte.
Und in dieses Mantra kann ich voll und gern mit einstimmen:
WIR BRAUCHEN MEHR WERTE, ETHIK UND MORAL – FÜR EUROPA!