Buchtipp: „Kaufen für die Müllhalde“

Telepolis, Reinhard Jellen

Jürgen Reuß über künstlich erzeugten Verschleiß von Industrieprodukten
Jahr um Jahr werden auf dem Globus 50 Millionen Tonnen von schwierig entsorgbarem Elektrogeräten hergestellt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil davon ist von den Herstellern für nur kurzfristige Haltbarkeit entworfen worden – zum ihrem Vorteil und zum Nachteil der Umwelt. Der Journalist Jürgen Reuß hat mit der Filmemacherin Cosima Dannoritzer darüber das Buch „Kaufen für die Müllhalde – Das Prinzip der geplanten Obsolenz“ geschrieben und für den Konsumenten Wege aus der Wegwerffalle aufgezeigt.

Herr Reuß, was ist mit „geplanter Obsoleszenz“ gemeint? Auf welche Weise machen die Hersteller nach Ablauf der Garantiefristen untauglich?
Jürgen Reuß: Unter Obsoleszenz verstehen wir sämtliche Maßnahmen, die dazu führen, dass Produkte oder Waren ausgemustert und durch neue ersetzt werden. Das lässt sich durch grob gesagt drei Strategien erreichen: Sabotage, Innovation und Marketing. Die unverfrorenste Methode ist die Sabotage: Ich baue in mein Produkt eine Sollbruchstelle ein, die dafür sorgt, dass es nach ein bestimmten Gebrauchsdauer kaputt geht. Das kennt jeder aus eigener Erfahrung: Der Akku wird mit dem mp3-Player verschweißt und kann nicht ausgetauscht werden. Ist er nach zwei Jahren kaputt, muss das ganze ansonsten funktionsfähige Gerät gleich mit weggeschmissen werden.

Bei Fernsehern und Videorekordern werden die hitzeempfindlichen Kondensatoren unterdimensioniert und an Stellen eingebaut, die sich besonders aufheizen. Die Waschtrommeln der Waschmaschinen drehen sich nicht mehr wie früher üblich in Edelstahl – sondern in verschleißanfälligen Plastikbottichen. Da wird jedem ein eigenes Beispiel einfallen, viele sind auf der Website www.murks-nein-danke.de aufgelistet.

Was sind die anderen Strategien?
Jürgen Reuß: Ein anderer guter Hebel, Dinge alt aussehen zu lassen, ist unser Glaube, dass alles Neue automatisch besser ist. Wir mögen Innovationen, und Innovationen sind prima Obsoleszenzbeschleuniger. Beispiel Fernsehen: PDP, LCD, LED, OLED, SED und dazu die diversen 3D-Technologien – jedes neue Kürzel bringt neue Kunden.

Wer da auf dem Stand bleiben will, muss jedes Jahr ein Neugerät kaufen. Neu ist aber nicht automatisch besser. Beispiel Digitalkamera: Gerne lässt man den Käufer glauben: Je mehr Megapixel, desto besser. Aber je mehr Pixel auf immer kleineren Bildsensoren untergebracht werden, desto geringer die Lichtempfindlichkeit pro Pixel. Da nimmt die Bildqualität in manchen Fällen dann ab.

Der dritte Ansatz ist das Marketing. Der Konsument wird ermuntert, sich ganz grundsätzlich öfter mal was Neues zu gönnen und schneller wegzuwerfen. Wir freuen uns schon auf das neue Handy, das neue Auto, das neue Navi. Kaufen macht Spaß. Wer kein Geld hat, wird ermutigt, auf Pump zu kaufen. Wir haben das Lebensgefühl des Alles immer sofort so verinnerlicht, dass wir es für unser eigenes halten. Im Buch zeichnen wir nach, wie viel Mühe die Spindoktoren der Massenindustrie über Jahrzehnte aufbringen mussten, bis wir endlich eingesehen haben, dass Leben ohne Kaufen total öde ist.

50 Millionen Tonnen Elektroschrott pro Jahr

Wie viel landet denn jährlich unnötigerweise auf der Müllhalde und wohin werden die gefährlichen Abfälle entsorgt?
Jürgen Reuß: Jeder Europäer produziert im Schnitt pro Jahr 20 Kilogramm Elektroschrott. In Europa fallen auf diese Weise 20 Millionen Tonnen Elektroschrott an, 50 Millionen Tonnen weltweit. Ein Großteil davon landet im Müll. Nach Angaben der EU werden allein dadurch Ressourcen im Wert von 2 Milliarden Euro jährlich vernichtet.

Man kann sich das auch durch eine andere Zahl veranschaulichen: Die 1,5 Milliarden Handys, die 2010 weltweit verkauft wurden, enthalten zusammen rund 14 Tonnen Palladium, 36 Tonnen Gold und 375 Tonnen Silber. Dazu muss man bedenken, dass zum Beispiel für die Herstellung eines zwei Gramm schweren Mikrochips 1,1 Liter Erdöl verbraucht werden. Ein Smartphone von 200 Gramm schleppt einen ökologischen Rucksack von rund einer halben Tonne mit sich herum, und bereits 2007 verursachten Mobilfunkgeräte höhere CO2-Emmissionen als der gesamte deutsche Flugverkehr.

Obwohl in der EU seit 2005 Rücknahme und professionelles Recycling gesetzlich vorgeschrieben und eingepreist sind, landet ein großer Teil davon, wie die Recherchen für „Kaufen für die Müllhalde“ ergeben haben, nach wie vor auf illegalen Müllkippen in Afrika oder China. Cosima Dannoritzer geht in ihrem neuen Film gerade der Frage nach, wie das denn sein kann.

Welche Gegenstände werden von der Industrie bevorzugt nur kurzfristig verwendbar gemacht?
Jürgen Reuß: Sicher kann man, wie die jüngsten Prozesse in Frankreich zeigen, nicht mal bei Brustimplantaten sein. Häufiger sind jedoch Elektroartikel, Kleidung und generell Billigangebote betroffen. Je mehr der Preis oder die Sexyness des Produkts in den Vordergrund gerückt wird, desto höher die Wahrscheinlichkeit, dass die Sache einen Haken hat. Der Preis allein ist sicher nicht entscheidend, aber es hilft schon, sich zu überlegen, ob man sich vorstellen kann, dass das gewünschte Produkt für den Preis aus gutem Material, zu menschenwürdigen Löhnen und haltbar hergestellt worden sein kann.

Inwiefern hat diese Art des Produzierens etwas mit der kapitalistischen Marktwirtschaft zu tun?
Jürgen Reuß: Es ist ihr Glaubensbekenntnis: Wir möchten ein Auto, einen Flachbildfernseher, ein Smartphone, schöne Kleider und Reisen. Dafür geben wir oft Geld aus, das erst noch verdient werden muss. Die Menschen, die in den Fabriken in China, Indien und Vietnam unsere Jeans und unsere Hightechgeräte herstellen, wollen auch ein Auto, Flugreisen und einen Computer. Dazu müssen wir die Waren, die sie herstellen, kaufen.

Wenn immer mehr Menschen alles haben wollen, müssen wir wachsen. Und wegwerfen. Wenn wir keinen neuen Fernseher kaufen, bricht die Spirale, die zu immer mehr Wohlstand führen soll, ab. Wenn nicht immer mehr verkauft wird, können die Kredite nicht bedient werden, und das Wirtschaftssystem bricht zusammen.

„Wir leben gern in einer konsumorientierten Kurzfristigkeitswolke“

Warum lösen solche Arten des Produzierens keine Massenproteste bei den Konsumenten aus?
Jürgen Reuß: Es liegt wohl weniger daran, dass wir große Angst davor hätten, dass unser Wirtschaftssystem zusammenbricht, wenn wir unser Kaufverhalten entscheidend ändern würden. Eher an Banalitäten wir diesen: Vor die Wahl gestellt, eine Waschmaschine für 300,- Euro, die nach 3 Jahren unreparierbar kaputt geht, zu kaufen oder eine für 1000 Euro, die nach 15 Jahren das erste Mal kaputt geht und leicht repariert werden kann, entscheiden sich erstaunlich viele für das vermeintliche Billiggerät.

Wir scheinen uns mit der Garantiezeit als akzeptablem Richtwert für die Lebensdauer eines Geräts abgefunden zu haben. Massenhafte Aufläufe vor dem Applestore organisieren wir nur, um auf das künftige iPhone 6 zu warten, nicht um für gerechtere Produktionsbedingungen und ein vollständiges Recyclingkonzept zu demonstrieren.

Wir leben gern in unserer konsumorientierten Kurzfristigkeitswolke. Und solange wir uns ein anderes Leben weder vorstellen können noch möchten, kaufen wir eben weiter für die Müllhalde.

Welche Maßnahmen mussten ergriffen werden, um aus Menschen Konsum-Junkies zu machen?
Jürgen Reuß: Eine Mischung aus Erschrecken und Verführen. Historisch spielt die Angst eine große Rolle. In der Folge der Weltwirtschaftskrise wurden in den USA tatsächlich Überlegungen laut, das Kaufen für die Müllhalde als Bürgerpflicht im Gesetz zu verankern. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ist auch bis heute wirksam und macht zum Beispiel die Gewerkschaft nicht selten zu Komplizen im Kampf gegen strengere Auflagen für die Massenproduktion, weil das die Kosten in die Höhe treiben und zu Stellenabbau führen könnte.

Dazu kommen positive Gefühle. Die ersten Nylons wurden zu Ruhm und Ehre des Vaterlandes getragen, um nicht mehr von der Seide des Kriegsgegners Japan abhängig zu sein. Das Auto wurde vom Transportmittel zum Lebensgefühl, und inzwischen gibt es für jeden Lifestyle die passende Konsumpalette.

„Der Kaufakt ist eine tägliche Abstimmung“

Welche Alternativen gibt es zum Kauf schnell verschleißbarer Waren?
Jürgen Reuß: Erst mal fragen, ob der Kauf tatsächlich zwingend nötig ist. Bringt das neue Gerät für meine Bedürfnisse wirklich eine Verbesserung? Kann ich nicht mein Altgerät reparieren oder aufrüsten? Sollte ich die Bohrmaschine, die ich selber in den nächsten 20 Jahren statistisch gesehen kaum mehr als 20 Minuten nutzen werde, vielleicht lieber gemeinsam mit der Hausgemeinschaft anschaffen? Gibt es eine Alternative auf dem Second-Hand-Markt?

Vor dem Kauf beim Gebrauchtwarenbasteler anrufen, welche von den neuen Waschmaschinen er denn bei Bedarf auch reparieren könnte. Beim Kauf zeigen lassen, wie man den Akku wechselt, welche Materialien verbaut wurden, wie und wo sie recycelt werden, möglichst lange Garantiezeiten aushandeln und gerne auch nach Energiebilanz und Arbeitsbedingungen bei der Produktion fragen. Der Kaufakt ist auch eine tägliche Abstimmung darüber, in welchen Produktionsbedingungen wir leben möchten. Diese alltägliche Stimmabgabe sollte man sich gut überlegen.


streamplus.de

Ein Kommentar

  1. Exakt dieses Thema habe ich erst am Wochenende erst mit einem Freund von mir, einem KFZ-Meister erörtert. Dabei ging es darum, das Fahrzeuge bis vor zwei Jahrzehnten noch mit einer zu erwartenden Lebensdauer von mindestens 250.000 gefahrenen Kilometern konzipiert wurden. Und heute wirbt Opel mit einer „lebenslangen Garantie“ bei „160.000 Kilometern“…

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