Kreta – Zwischen Orient und Okzident.
Von Gastautor Panos Terz
Ohne ernsthafte Kenntnisse über das Orientalisch-Islamische Gesellschafts-und Menschenbild ist es ausgeschlossen, in den Kern der zahlreichen kulturellen, politischen und sozialökonomischen Probleme des Orients einzudringen. Meistens ist es so, dass man aus lauter Bäumen den Wald nicht sieht. Aus meinen jahrelangen zahlreichen Kontakten zu Studierenden aus islamischen Ländern weiß ich, dass die folgenden Ausführungen nicht als Beleidigung empfunden werden.
1. In dieser Region sind zwar die ersten Staaten, die ersten Kodices (vor 4250 Jahren ! ), die ersten Wissenschaften entstanden und später zwischen dem 8. und dem 11. Jh. erfolgte eine Art Renaissance des altgriechischen Geistes vorwiegend in Damaskus und in Bagdad (Al Farabi, Ibn Sina, Ibn Ruschd et alt.), aber man hat später die Moderne regelrecht verpasst.
2. Es ist fast unvorstellbar, jedoch bittere Realität, daß dem Wesen nach das orientalische Gesellschafts – und Menschenbild seit fast fünf tausend Jahren sich nicht wesentlich verändert hat. Der Islam konnte zwar ab dem 6./7. Jh. einige kleinere Veränderungen herbeiführen, jedoch die prägenden Merkmale dieses Bildes sind bis heute geblieben. Es sind die folgenden:
a) Theozentrismus und teilweise auch Theokratie, die hochaktuell geworden ist. Im Grunde geht es darum, daß im Mittelpunkt des Menschenlebens der Gott steht. Es sei daran erinnert, daß im Antiken Hellas der Anthropozentrismus (Protagoras: „Πάντων χρημάτων μέτρον άνθρωπος εστί», „Panton chrematon metron anthropos esti“, „Der Mensch ist das Maß aller Dinge“) sich durchsetzen konnte, was zu einer bis dahin unbekannten Emanzipation des Menschen und zur Entwicklung der Wissenschaften führte.
b) Gerade auf den so verstandenen Menschen konnte sich das Individuum ( Ατομον, Atomon) und auf ihn der antike Polisbürger ( Πολίτης, Polites) stützen. In der Zeit der europäischen Aufklärung wurden diese bahnbrechenden Gedanken aufgegriffen und in Verbindung mit der bürgerlichen Revolution wurde der Citoyen (Bürger) geboren. Und so stehen sich gegenüber der selbstbewusste Bürger des Westlichen Kulturkreises, zu dem selbstverständlich auch Israel gehört, und die Masse oder höchstens der Einzelne im Orientalisch-Islamischen Kulturkreis, der weder Individuum noch Staatsbürger ist. Deswegen ist es relativ leicht, ihn zu fanatisieren.
c) Von Anfang an herrschten Pharaonen, Könige, Satrapen etc. absolut und uneingeschränkt. Während bereits vor 2500 Jahren im alten Griechenland die Demokratie erfunden wurde.
Gerade dieses System verleiht dem Westen politische Überlegenheit gegenüber der orientalisch-islamischen Welt. Die Diktatoren in den islamischen Staaten sind in gewisser Hinsicht die heutigen Pharaonen, Despoten und Satrapen. Das diktatorische Regime entspricht der Natur der orientalisch-islamischen Welt, während die Demokratie ihm wesensfremd ist. Noch schlimmer: Islam und Demokratie stellen eine contradictio in adiecto (Widerspruch in sich) dar.
Ich habe nie verstanden, wie unwissend und träumerisch jene “Experten“ und „Wissenschaftler“ aber auch Politiker und einige Staatsmänner waren, die im Ernst angenommen haben, dass es möglich wäre, die westliche Demokratie-Erfindung den Moslems im Orient aufzuzwingen.
d) Während der westliche Kulturkreis die wunderbaren Menschenrechte und allgemein den Rechtsstaat geschaffen hat, ist dies in den islamischen Ländern eine Chimäre oder besser formuliert, völlig ausgeschlossen. Dass die Frauen in der Realität keine Rechte besitzen, ist kaum zu bestreiten.
e) Gestützt auf das altgriechische Kultur- und Wissenschaftserbe konnte sich im Westen das Ius rationis (Vernunft, logisches Denken) durchsetzen und führt zu einer Explosion aller Wissenschaften, während der Orient im spekulativen Denken erstickt und daher nichts Kreatives hervorbringt.
f) Die islamische Welt ist in der Tat hoffnungslos zurück geblieben. Und vielleicht deswegen schafft sie ständig irgendwelche Ungeheuer (Al Kaida, Taliban, Fanatiker etc.). Der vortreffliche Philosoph Al Farabi in Bagdad (9. Jh.) machte sich, gestützt auf Aristoteles Gedanken über das Verhältnis von Logos (Ratio, Vernunft) und Glauben. Am Anfang gab er der Vernunft den Vorrang, bis er von der Obrigkeit gezwungen wurde, die Vernunft über Bord zu werfen und die Priorität des Glaubens anzuerkennen.
Den größten Schaden hat aber der islamische Theologe und erklärte Feind der griechischen Philosophie Al Ghasali in Kairo (11.Jh.) angerichtet, der als erster im Orient meinte, man brauche nicht das Wissen der heidnischen Griechen (Junani), denn das heilige Buch der Muslime, der Koran, enthalte Antworten auf alle Fragen des Lebens.
Danach fing man im Orient damit an, die Schriften der Griechen sowie der aufgeklärten Philosophen des Orients öffentlich zu verbrennen. Damit begann der unaufhaltsame Niedergang der islamischen Hochkultur und zugleich tauchte schon damals der islamische Fundamentalismus auf. Hieraus ergibt sich, dass dieser Niedergang jahrhundertelang gedauert hat.
g) Das strenge logische und systematisch-methodische Denken, auch eine Erfindung des Kulturkreises des Westens bereits vor 2500 Jahren, ist im heutigen Orient so gut wie unbekannt. Im gesamten Schulsystem überwiegen das Auswendiglernen und die Autoritäts-Zitate. Als Hochschullehrer konnte ich Jahrzehntelang dies bei zahlreichen Studenten und Doktoranden aus dem Orient feststellen. Wenn sie es aber gelernt haben, konnte sie mit sehr guten Leistungen glänzen (mehrere magna cum laude bei den Doktorarbeiten).
Veröffentlicht oft in zentralen deutschen Zeitungen (elektronische Ausgabe), das letzte Mal in: Die Süddeutshe Zeitung, 26. 7. 14.
Panos Terz