Kreta trifft Elektrobeats
diablog.eu sprach mit dem Lautenvirtuosen Giannis Haroulis, der als neuer Shooting-Star der griechischen Musikszene gilt. In einem packenden Konzert begeisterten er und seine Band das Berliner Publikum mit ihrer Lebensfreude und ihrer gewagten Mischung aus kretischer traditioneller Musik und schrägen Tönen.
Du bist Kreter und stammst aus der Lasithi-Hochebene, wo der Legende nach die Geburt von Zeus besungen wurde. Du bist also in guter Gesellschaft…
Meine allererste Kindheitserinnerung ist folgende: Mein Eltern singen, mein Vater spielt die kretische Lyra und meine Mutter Gitarre. Meine ersten musikalischen Schritte hat mein Vater begleitet, der Maler und Bildhauer ist. Mit sechs Jahren begann ich, Mandoline zu lernen, und mit neun habe ich mir selbst die kretische Laute beigebracht, ab fünfzehn bin ich dann öffentlich aufgetreten.
Du hast deine Karriere mit kretischen Liedgut begonnen, wie ist das heute? Schreibst du jetzt selbst deine Texte oder änderst du die traditionellen Lieder ab und aktualisierst sie?
Bis ich 18 war, habe ich nur traditionelle kretische Musik gehört. Dann entdeckte ich das griechische Kunstlied und später den Jazz. Ich versuche, diese Einflüsse aufzunehmen, bis hin zur Rockmusik. Mein Band besteht aus traditionellen Instrumenten, also kretische Laute, Blasinstrumente, Dudelsack, Flöten, aber auch E-Gitarre, Drums und Cello. Daraus wird ein ganz besonderer Sound.
Wie hört sich der an?
Man könnte es griechisch-traditionellen Elektro-Sound nennen.
Kreta ist ja eine ganz besondere Insel, deren Einwohner selbst den übrigen Griechen oft bizarr und verrückt erscheinen. Jahrhundertelange Kämpfe gegen jede Oberherrschaft haben sie geprägt, gegen die Venezianer, gegen die Sarazenen, gegen die Osmanen, gegen die Deutschen im 2. Weltkrieg. Alle diese Fremdherrschaften haben die Kultur und die Musik mit geprägt. Könnte es sein, dass die kretische Musiktradition gerade deswegen auch mit revolutionären Musikrichtungen, die sich gegen das Establishment richten, also Rock, Punk, Reggae gut zusammenpasst?
Genau, da gibt es dieses revolutionäre Element bei den Kretern, von alters her bis zu Türkenherrschaft. Man denke nur, wie viele Aufstände diese Insel gesehen hat! Und das gilt bis heute, dazu kommt das mediterrane Temperament, und das bewirkt, dass die kretische Musik von den Zuhörern intuitiv verstanden wird.
Du spielst die kretische Laute eher wie ein Rockmusiker. Wie war die Entwicklung vom Wandersänger, der vom einen kretischen Fest zum nächsten fuhr, zum neuen Star der griechischen Musikszene?
Ich habe die Art, die kretische Laute zu spielen, einfach den neuen Liedern angepasst. Die Rolle der Laute auf Kirchweihfesten ist traditionell festgelegt. Die konkreten Lieder werden aus Respekt vor der Überlieferung genauso gespielt. Bei den Liedern jedoch, die ich spiele, seit ich Kreta verlassen habe und auf der Suche nach Neuem bin und mit anderen Musikrichtungen experimentiere, mussten wir von dieser Art abgehen, damit sich das Lautenspiel organisch damit verbindet.
Du hast in einem Interview einmal gesagt: Unsere Realität ist hart, aber der Mythos ist eine Antwort. Ist die Musik so ein Mythos ohne Worte?
Mythos heißt für mich, eine Erzählung zu schaffen. Die Musik und der Mythos schenken uns Freiraum in dieser kleinen Zelle, in der wir leben. Sie schenken uns eine Atempause.
Um Ross Daly – einen der Gurus der kretischen Musik – scharen sich Musiker, die eine Dorfgemeinschaft gründen wollen, um die Krise alternativ zu überstehen, selbst Gemüse anbauen, einfach leben und auf Festen Musik machen. Führt die „Krise“ zu den simplen, aber wirklich wichtigen Dingen zurück?
Die Krise erzeugt Einsamkeit. Unser ganzes System ist auf Erfolgreich-Sein ausgerichtet. Uns wird beigebracht: Sei erfolgreich, sonst bist du allein. Wenn wir zeitlich zurückgehen, war immer eine Gemeinschaft notwendig, die sich zusammengetan hat, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, z. B. einen Acker zu bestellen. Die jetzige Krise lässt unser heutiges System zusammenbrechen. Sie zerstört es, weil es „Erfolg“ nicht mehr gibt. So zwingt sie uns Griechen, uns bei den Händen zu fassen, um nicht einzuknicken. Ich persönlich glaube, die tatsächliche Krise herrschte vorher, und nicht jetzt. Ich meine die Krise der Gemeinschaft und nicht die finanzielle Seite, denn wenn jemand nichts mehr zu essen hat, ist das auf jeden Fall tragisch.
Fördert Musik das kollektive Erleben, vor allem Konzerte. Hat die Krise paradoxerweise vielleicht sogar deinen Erfolg befördert? Wie siehst du das?
Mein wahrer Erfolg ist, wenn das Publikum unten, das uns zuhört, zu einer Einheit wird. Wenn alle zusammen singen oder tanzen, wenn alle rhythmisch klatschen, wenn du dasselbe zur Musik tust wie der Nachbar neben dir, dann ist das tröstlich und schenkt dir das Gefühl von Gemeinschaft.
Vielleicht ist das eine Art von Erlösung, die man im Kollektiv verspürt. Leuten in Deutschland, die Ressentiments gegenüber offen sind, ist das ein Dorn im Auge: ‚Ja, singen und tanzen die Griechen denn jetzt immer noch, während wir sie subventionieren?‘, könnten sie sagen. Ist das die Art Unterhaltung, die ihr einfach braucht, und ganz besonders jetzt in der Krise?
Die griechischen Tänze stammen aus der Antike, zum Beispiel der Pyrrichios, ein uralter kretischer Tanz, oder die pontischen Tänze. Seit der altgriechischen Epoche tanzen die Griechen. Das heißt aber nicht, dass dieses Volk fröhlich ist. Über den Tanz werden Gefühle wie Freude und Trauer transportiert. Die Verse der traditionellen kretischen Lieder sprechen von Tod und Unglück, von Liebe, die tödlich endet. Dazu zu tanzen und zu singen, schenkt uns Freiheit.
Fotos: Michaela Prinzinger
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