Heute mal wieder ein Buchtipp der besonderen Art: „Im Palast von Knossos“ – von keinem Geringeren als vom großen Nikos Kazantzakis geschrieben.
Ich muss ganz ehrlich gestehen, dass mich das Thema nicht sofort „angesprungen“ hat, denn wenn man auf Kreta lebt, wird man so oft mit den griechischen Göttern, der Mythologie, der uralten Geschichte, den antiken Helden, dem „Knossos-Kult“ und dem ganzen sonstigen „Buhei“ drumherum konfrontiert, dass man langsam abstumpft. Dennoch habe ich mich dieses Buches gerne angenommen, denn erstens spricht der Name des Autors natürlich für sich und zweitens hat mich der Text auf dem Buchdeckel doch neugierig gemacht.
„Aus der Sicht jugendlicher Helden beschreibt der weltberühmte griechische Schriftsteller Nikos Kazantzakis („Alexis Sorbas“) das Leben am Hofe des sagenhaften Königs Minos auf Kreta. Frisch und lebendig erzählt er von Ariadne und Phädra, von Theseus, Daidalos und Ikaros. All diese Gestalten der griechischen Mythologie werden bei ihm von Mythen zu Menschen. Ganz nebenbei arbeitet Kazantzakis das Alltagsleben plastisch heraus. Bei der Lektüre taucht man in eine 3500 Jahre alte Zivilisation ein, und diese geheimnisumwitterte Vergangenheit erscheint plötzlich wie zum Greifen nahe. Ein Werk, das an Aktualität niemals einbüßen wird.“
Die Protagonisten
Das sagt der Buchdeckel – und er behält Recht. Sicher keine große Freundin der alten Geschichte im Allgemeinen, dennoch begeisterte Leseratte, bin ich mit Haris und seiner Schwester Krino im Palast von Knossos und über den Markt gewandelt und habe Prinzessin Ariadne, Ikaros und Daidalos kennengelernt und sofort gemocht. Ariadnes schöne (aber ziemlich hohle) Schwester Phädra war mir zu oberflächlich – aber auch sie hat mich berührt (sonst hätte ich ja keine Meinung dazu…).
Dann ist mir noch der jugendliche, schöne, stolze, aufrechte und sehr sympathische Prinz des damals bettelarmen Athens Theseus quasi über die Füße gelaufen, ich durfte die wundervoll beschriebenen Gänge und Zimmer des Palastes sowie die Gewänder der Prinzessinnen bewundern, habe viel über die Riten, Traditionen und Gepflogenheiten der damaligen Zeit gelernt und den Untergang des damaligen „Weltreiches“ Kreta live miterlebt. Und ich muss gestehen: es hat mir nicht mal leid getan um diesen ignoranten Dickschädel Minos und seine verkrustete Regentschaft!
Die Story
Denn jedes Jahr mussten die Einwohner des noch kleinen und unbedeutenden Stadt Athen sieben Jungfrauen und sieben Jünglinge nach Kreta schicken, wo sie dem Minotauros geopfert wurden – einem Wesen halb Mensch, halb Stier. Diesen Zustand wollte der junge Athener Königssohn Theseus nicht länger hinnehmen. Er machte sich auf in das mächtige Reich des Königs Minos, um nach Wegen zu suchen, dieser Ungerechtigkeit ein Ende zu bereiten.
In diesem zeitlosen Roman manifestiert sich auch die Sicht des Autors auf Menschen und Geschichte:
Zu viel Reichtum, zu viel Macht, korrumpiert.
Und hier möchte ich zwei Stellen des Romans zitieren, die an Aktualität wahrscheinlich wirklich nie etwas einbüßen werden. Zum Ende des Buches, als der Palast von Knossos in gemeinschaftlicher Aktion von Athenern und Dorern dem Erdboden gleichgemacht worden ist und die bis dato hochherrschaftlichen Höflinge des Königs – allesamt verwöhnte Fürsten und Fürstinnen, die nun in Ketten liegen und als Sklaven behandelt werden – ihr ach so schlimmes Schicksal bejammern und beweinen und Hunger und Durst haben, entspannt sich folgende Szene:
„Schluss damit!“ rief ihnen der Häuptling zu. „Wir töten Euch nicht! Bisher haben andere für euch gearbeitet, jetzt werdet Ihr für andere arbeiten. Das ist nicht so schlimm. Ihr werdet Euch daran gewöhnen!“
Er ließ Essen und Wasserkrüge, die man vom Fluss heranschleppte, an sie verteilen.
„Wie köstlich das Brot schmeckt!“, sagte eine zarte, junge Hofdame zu einer alten Fürstin, die mit ihr zusammengebunden war. „Und das Wasser erst! Du kannst dir nicht vorstellen, wie durstig ich war. Zum ersen Mal seit Jahren!“
Der alte Märchenerzähler, der gleich neben ihnen gefesselt lag, wiegte den Kopf.
„Wir haben gegessen, bevor wir hungrig wurden“, sagte er. „Wir haben getrunken, bevor wir durstig wurden. Deshalb hat uns nichts mehr befriedigt. Jetzt begreifen wir wieder, wie süß Brot und Wasser schmecken.“ (…)
Der Häuptling betrachtete diese Szenen mit einem leisen Kopfschütteln. „Was sollen wir mit all diesen Leuten tun?“, dachte er. „Sie sind nur nutzlose Esser….“.
„Was kannst du, Alter?“, fragte er den jammernden Kapitän. „Beherrschst du irgendein Handwerk?“
„Wie?“, fragte der Kapitän überrascht. „Ein Handwerk? Was meinst du?“
„Na, Häuser bauen, Beile schmieden, einen Acker pflügen, Schafe hüten….“
„Hm, nein“, antwortete der alte Kapitän.
„Also, was kannst du sonst noch?“
Er dachte eine Weile nach.
„Nichts“, erwiderte er.
Der blonde Anführer der Barbaren murmelte etwas zwischen seinen Zähnen, bevor er ging. Und der Alte sagte zu seinen Mitgefangenen: „Wie wahr! Zum ersten Mal ist mir klar geworden, dass ich nichts kann!“
Das macht nachdenklich – oder?
Kazantzakis stellt im „Palast von Knossos“ das Althergebrachte, das Monarchische (Minos), dem neuen, aufstrebenden, freien und demokratischen Athen (Theseus) gegenüber. Theseus gelingt es schließlich trotz persönlicher Rückschläge mithilfe der Dorer das kretische Joch abzuschütteln. Das Ende des Romans ist gleichzeitig der Beginn des aufblühenden Athens, das in friedfertigem Zusammenleben Zivilisation schaffen wird, deren Errungenschaften bis heute fortwirken.
Von mir ein Prädikat „extrem lesenswert!“.
Radio Kreta – immer gute (Buch-)Tipps!
Wollt Ihr mehr über Nikos Kazantzakis wissen? Dann lest mal diese historische Notiz.