11 Fragen an den Buchautor Wilfried Stüven.
Wenn Sie nur 5 Worte haben, um sich selbst zu beschreiben. Was würden Sie sagen?
Verlässlich, ehrlich, interessiert, reisefreudig, menschenfreundlich.
Was war Ihr Lieblingsbuch als Kind und als Jugendlicher?
Bücher waren mir als Kind nicht in die Wiege gelegt – aber von meiner Max und Moritz Ausgabe kenne ich bis heute jeden Buchstaben. Ab der 4. Klasse habe ich die gesamte Schulbibliothek rauf und runter gelesen. Manchmal musste ich den gesamten Inhalt wiedergeben, wenn ich ein Buch schon am nächsten Tag zurückgegeben habe, weil der diensthabende Lehrer vermutete, ich habe es nicht gelesen, sondern ihm mit der kurzen Ausleihe nur eine unnötige Arbeit gemacht. Als Jugendlicher bin ich oft in Gedanken mit Hubert Fichtes „Palette“ über den Hamburger Gänsemarkt gezogen.
Was lesen Sie heute am liebsten?
Querbeet – und immer wieder mal einen Klassiker – das lehrt Demut. Einige meiner liebsten Schriftsteller: Zafon, Feuchtwanger, García Márquez. Lieblingsbücher: Der Trafikant (Seethaler), Das Herzenhören (Sendker), Der kretische Gast (Modick). Zuletzt gelesen: Delphine de Vigan: Nach einer wahren Geschichte.
Gibt es auch Bücher, die Sie nur gezwungenermaßen oder nie zu Ende gelesen haben?
Ja, in der Schule bzw. im Studium kam das häufig vor. Aber auch später habe ich viele Bücher nur angelesen. Aber da nenne ich keine Titel. Geschmäcker sind nun mal verschieden und was der eine genial findet ist für die andere ein eher fades Lesevergnügen.
Wie sind Sie selbst zum Schreiben gekommen?
Meine ersten Kurzgeschichten und Gedichte habe ich 1968/69 geschrieben. Ich war knapp 16 und hatte gerade die Volksschule abgeschlossen. Es ging um Themen, die bis heute erschreckend aktuell sind: Krieg, Hunger in der Welt, Umweltzerstörung, soziale Gerechtigkeit – und immer wieder die Frage danach, was das Leben eigentlich ausmacht.
Dann ist mir 40 Jahre lang irgendwie mein eigenes Leben „dazwischen gekommen“. Handelsschule, Wirtschaftsgymnasium, Studium, 30jährige Tätigkeit als Sonderschullehrer. Als Schüler/Student Flugblätter schreiben statt Gedichte, als Lehrer Klassenarbeiten korrigieren statt selber schreiben. Erst mit Eintritt in den Ruhestand habe ich die Zeit und die Kraft gefunden, an meinem ersten Romanmanuskript zu arbeiten: „Im Schatten der Schwebefähre“ (2015). Die Arbeit hat mir so viel Freude gemacht, dass im Jahrestakt zwei weitere Romane folgten. „Wattengel“ (2016) ist eine Fortsetzung des ersten Romans.
Mein neuer Roman „Roter Mohn verblasst nicht“ (2017) ist so etwas wie eine Herzensangelegenheit, eine Hommage an Kreta.
Wieso dieses Genre (Krimi, Roman, Action, Abenteuer, Historie, Märchen etc.)
Ich finde es schade, dass Manuskripte heute immer enger in ein streng abgegrenztes Genre gepresst werden müssen, um eine Chance in einem der großen Publikumsverlage zu haben. Wenn auf dem Regal im Buchladen Action steht, darf auch nur Action drin sein. Meine Bücher sind Romane. Punkt.
„Wattengel“ hat in einigen Kapiteln z. B. märchenhafte Züge. In meinem neuen Roman „Roter Mohn verblasst nicht“ entwickelt sich eine zarte Liebesgeschichte auf Kreta in den 1970er Jahren vier Jahrzehnte später zu einem Krimi, in dem es bald um Leben und Tod geht. Hat nicht auch das richtige Leben immer mehrere Facetten, die nicht in eine einzige gemeinsame Schublade passen?
Wieso Kreta / Griechenland? Was verbindet Sie mit diesem Land/der Insel?
Seit meinem 17. Lebensjahr bin ich – manchmal per Anhalter – kreuz und quer durch Europa gereist (England, Dänemark, Schweden, Norwegen, Niederlande, Frankreich, Österreich, Italien, Spanien) und habe dabei in allen Ländern wunderbare Begegnungen und Erlebnisse gehabt. Aber dann hat es mich 1976 mit meiner Marburger WG nach Griechenland verschlagen: Peloponnes, Euböa, Athen und dann auf die karge Kykladeninsel Serifos. Das Land und die Menschen: Es war Liebe auf den ersten Blick. Nirgendwo zuvor habe ich eine solch herzliche Gastfreundschaft erfahren. In den Folgejahren habe ich dann zahlreiche ägäische Inseln bereist, die landschaftlich so verschieden waren und doch eine Gemeinsamkeit hatten: es war die Freundlichkeit der Menschen, die es mir angetan hatte.
Auf Kreta bin ich dann 1981 durch einen Zufall gelandet. Fortan gab es in Griechenland nur noch selten ein anderes Reiseziel für mich. Auf dieser wunderbaren Insel war alles vereint, was ich suchte: unglaublich vielfältige Landschaften, traumhafte Strände und (s. o.) Menschen, die ich tief in mein Herz geschlossen habe. Während ich in den ersten Jahren viel über die gesamte Insel reiste, hat mich die Geburt meiner Tochter – die ihre ersten eigenen Schritte ins Leben auf kretischem Boden gemacht hat – „sesshaft“ gemacht: Plakias. Wenn ich durch die Kourtaliotiko-Schlucht ins Tal komme und den Timios Stavros schaue, ist es als ob ich nach Hause komme.
Sind die Handlungen und Protagonisten Ihrer Bücher reine Fiktion oder gibt es da Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Geschehen und realen Personen oder gar autobiographische Züge?
Ich zitiere mal einen Satz aus meinem ersten Roman „Im Schatten der Schwebefähre“: Der eben noch unbekannte Frosch im Regenwald ist bis zu seiner Entdeckung absolut unbeschreiblich, sonst wäre er ja nicht unbekannt. Genau so verhält es sich mit dem Schreiben. Niemand kann etwas Unbekanntes schreiben, jeder Autor kann das Bekannte nur zu neuen Figuren und Handlungen zusammenfügen, da ist es fast zwangsläufig, dass immer auch eigenes Erleben einfließt: im ersten Roman meine Kindheit am Fluss Oste, im zweiten Buch sind es eigene Erlebnisse in Barcelona.
Vielleicht ist der jetzt erschienene Kreta-Roman am stärksten autobiografisch. Ich liebe die Insel und ihre Bewohner und glaube, dass das in vielen Passagen deutlich wird. Nie werde ich meine erste Wanderung durch die Messara-Ebene vergessen, die in den Roman einfließt. Mohnblumen und Margeriten. Auch der Tag im Hafen von Piräus und die Ereignisse im Palmental von Preveli beruhen auf einer wahren Begebenheit – allerdings (s. o.) zu einer fiktiven Geschichte zusammengefügt.
Woher nehmen Sie die Inspiration für Ihre Bücher? Was treibt Sie um?
Für jeden meiner Romane hatte ich eine Grundidee, aber kein fertiges Konzept. Meine Bücher entwickeln sich beim Schreiben und meistens ahne ich morgens selber nicht, was mittags auf dem Papier steht. Es passiert einfach. Im vorliegenden Roman hat das zu manch überraschender Wendung geführt.
Vielleicht haben Sie vom deutsch-griechischen Lesefestival in Paleochora auf Kreta gehört. Für den Sommer 2017 steht ein weiteres solches an – auf Kreta oder „irgendwo“ in Griechenland. Was halten Sie von einer solchen interkulturellen Initiative und hätten Sie Lust, daran teilzunehmen?
In Bremen hatten wir im „Golden City“ in diesem Sommer eine gemeinsame Hafenbar per Internet-Live-Schaltung in Elefsina (Gr) und Bremen (D) – Mit Gesang, Talk und Theater. Das war eine tolle Sache und hat die teilnehmenden Gäste auf Augenhöhe einander näher gebracht. Solche interkulturellen Veranstaltungen verbinden die Menschen miteinander. Die Teilnahme an einem deutsch-griechischen Lesefestival wäre mir eine große Freude.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft Griechenlands – und für Ihre Eigene?
Für Griechenland wünsche ich mir, dass das Wort Krise endlich in den Hintergrund rückt und dafür stärker die vielfältigen Möglichkeiten entdeckt werden, die das Land bietet. Ich selber wünsche mir, dass ich im Herbst wieder mehr Zeit zum Schreiben finde – und natürlich viele LeserInnen für meinen Kreta-Roman, denn Roter Mohn verblasst nicht.
Das Interview fand ich interessant und informativ. Am besten gefielen mir, dass es nicht schön ist, wenn die Geschichte unbedingt in ein Genre gepresst werden muss und dass ein Autor nicht über Unbekanntes schreiben kann. Das werde ich mir notieren.