Wer bist du, woher kommst du?
Caroline Wenzel, ich lebe in Stuttgart und in Volissós auf Chios und reise viel (dienstlich und privat). Ich arbeite als Fernsehjournalistin für den SWR, ARD und Arte.
Wann, warum und wie hast du Chios für dich/euch entdeckt?
Nach Chios sind wir vor 14 Jahren während eines Inselhoppings gekommen. Es war Liebe auf den ersten Blick, nachdem ich vorher schon 20 Jahre lang viel in Griechenland unterwegs war. In den letzten 10 Jahren ist uns ein Dorf im Nordwesten von Chios zur zweiten Heimat geworden.
Wir haben einen Reiseführer über Chios geschrieben und die Insel dabei gründlich erkundet. Ich habe zwei Sabbaticals auf Chios gemacht, während des einen u.a. für Zeitungen geschrieben (taz, Freitag, Zeit online etc.), während des anderen das gerade erschienene Buch „Süße Zitronen und bittere Lieder“ geschrieben.
Was ist dir als erstes positiv und negativ hier aufgefallen?
Positiv: Die Insel ist vom Massentourismus verschont geblieben, hat bewusst nicht darauf gesetzt. Es gibt, vor allem im Norden, sehr viel völlig unberührte Natur und lange unbebaute Küsten. Chios ist landschaftlich sehr abwechslungsreich. Natürlich sind es die Menschen, die die Insel ausmachen. Ihre selbstverständliche Gastfreundschaft und Lebensfreude gefällt uns – und dass sie sich um ihre Insel kümmern.
Negativ: das stinkende Kraftwerk im Süden der Insel.
Wie nimmst du die Menschen hier wahr?
In den Jahren sind hier viele tiefe und wichtige Freundschaften gewachsen. Die Menschen sind gastfreundlich, stolz, lebensfreudig, offenherzig und spontan.
Deine Aktivitäten hier auf der Insel? Oder was sollte man gesehen haben?
Am besten in unseren Reiseführer schauen 🙂 Mir selbst ist der „touristische“ Blick auf Chios verloren gegangen. Ich besuche hier die vielen Freunde, rede, lache, koche mit ihnen, lebe im Dorf, schreibe manchmal….
Ein „Must“ sind natürlich die Mastixdörfer im Süden der Insel, das Mastixmuseum in Pyrgí, die Herrenhäuser im Kambos südlich der Hauptstadt, das Kloster Nea Moni (UnescoWeltkulturerbe) in der Mitte der Insel und der landschaftlich wilde Norden.
Was schätzt du am meisten auf der Insel?
s.oben. Die Menschen, die vielen Freunde hier. Die Natur und das „Glück“, dass Chios vom Massentourismus verschont blieb.
Dein Lieblingsstrand auf Chios?
Soll ich den tatsächlich verraten? Ich bin gerne an der Managros- Bucht. Sechs Kilometer lang, klares Wasser und manchmal kein Mensch weit und breit. Es gibt auf Chios Strände für jeden Geschmack.
Welches ist deine Lieblingstaverne hier auf Chios?
Ich war schon seit einer Weile in keiner Taverne mehr, weil unsere Freunde hier im Dorf uns so oft bekochen. Bei ihnen esse ich am liebsten 🙂
Natürlich ist mir die Taverne „O Mesaionas“ in Mestá ans Herz gewachsen, die von meiner Freundin Despina betrieben wird. Um sie, ihre Töchter, ihre Mutter, ihre Großmutter und natürlich auch um die Taverne geht es in meinem neuen Buch „Süße Zitronen und bittere Lieder“.
Welches ist dein griechisches Lieblingsgericht?
Kann man so pauschal nicht sagen, es hängt von der Zubereitung ab. Alles, was die Freunde in Volissós kochen. Die Dolmadakia von Yiayiá Marianthi, Despinas Oma. Und natürlich frischer Fisch, am besten von Despinas Mutter Evgenia gefangen. Interessant finde ich auch Abwandlungen traditioneller Gerichte wie zum Beispiel die salzigen Kadaifi mit Schafskäse und Traubensoße in einer Taverne in Volissós.
Was soll sich auf Chios niemals ändern?
Der Massentourismus soll gerne wegbleiben. Und die Menschen so bleiben wie sie sind.
Und was sollte sich unbedingt ändern?
Die EU sollte eine Lösung für die Flüchtlingsfrage finden und die „Last“ nicht einfach den ostägäischen Inseln aufbürden. Auch auf Chios konnte man in den letzten Jahren sehen, zu welchen – u.a. von Chrysi Avgi beeinflussten – Spannungen es kommen kann, wenn zu viele Flüchtlinge auf Inseln „weggesperrt“ werden und die EU es nicht schafft, Verantwortung zu übernehmen.
Was wünschst du dir für die Zukunft Griechenlands im Allgemeinen und für Chios im Besonderen?
Das ist eine „große“ Frage. In Kurzfassung: Dass die Menschen es schaffen, sich ihre Identität, ihre Lebensfreude und Warmherzigkeit zu bewahren. Trotz des Drucks, der durch die EU, durch die Krise und durch die griechischen Politiker auf ihnen lastet. So, wie es meine Freundin Despina in „Süße Zitronen und bittere Lieder“ sagt: „Am Ende haben sie gemerkt, dass sie mir nur mein Geld wegnehmen können, nicht meine Würde“.
Das neue Buch „Süße Zitronen und bittere Lieder“, von Caroline Wenzel.