Wenn ein Dauerbrenner zu einem Geheimtipp in Europa wird. Wein, Olivenöl und Ouzo* fließen auf der Insel, die jeden vierten Griechenland-Touristen beherbergt, ganz natürlich.
Die Griechen, hat man gelernt, haben mit der Krise, die ihnen vielfach unterstellt wird, wenig zu tun. Und wie wenig erst die Kreter! Jetzt tauchen sogar ein paar Spinner auf, die ihre Insel vom griechischen Staat loseisen wollen. Abgesehen davon läuft alles ganz normal, denn die Krise ist papiergemacht – Wein, Olivenöl und Ouzo fließen auf der Insel, die jeden vierten Griechenland-Touristen beherbergt, ganz natürlich, und zwar in Strömen wie eh und je.
Nur die Nächtigungszahlen sind nicht berauschend. Die Saison ist kürzer, als sie sein könnte, was umgekehrt bedeutet, dass Kreta, das ganze Jahr über besuchbar, wieder einer der Geheimtipps Europas geworden ist. Dass die besonderen Strände an der Südküste liegen, ist bekannt, doch auch die Nordküste hat ihre Schönheiten. Chania, Rethymno und Heraklion bieten urbanes griechisches Leben, wie es auf anderen Inseln nicht existiert.
Chania ist mit 6000 Jahren die älteste, durchgehend bewohnte Siedlung Europas – und hat alle Kulturen in sich aufgesogen. In der verwinkelten Altstadt findet man die Etz-Chajim-Synagoge, an der Küste steht die Moschee von Kioutsouk Hassan Pascha und gegenüber liegt die Kaimauer mit dem venezianischen Leuchtturm. Rethymno, die Studenten- und Kongressstadt, liegt unterhalb der großen Fortezza an einer wunderbaren Bucht und wird als „lebende Postkarte“ vermarktet.
Nur Heraklion mag keiner so recht, außer denen, die dort leben. Die brausendste Inselstadt Griechenlands besticht nicht nur durch die unüberblickbare Schar ihrer Ziehharmonikakinder, sondern auch durch die Nähe zur Ausgrabungsstätte Knossos, dem Brennpunkt der minoischen Kultur – immerhin die erste Hochkultur Europas, eine notorisch friedliche noch dazu.
„Kriege sind eine Entgleisung der männlichen Hälfte der Menschheit“, kommentiert das die Autorin Roswitha Baduva-Walch, die über die „Pax Minoica“ geforscht hat.
Die Kreter sind keine Amokläufer, wer würde ihnen also die erschreckend hohe Privatwaffendichte verübeln? Das letzte Jahrtausend war von Besetzungen ihrer strategisch wichtigen Insel gekennzeichnet. Die Venezianer, die Türken, und während des zweiten Weltkriegs auch noch die Deutschen – so hat sich eine zivile Wehrhaftigkeit aufgebaut, die ihresgleichen sucht.
Der „Feind“ ist heute nicht mehr so greifbar, also wird an stillen Tagen auf Straßenschilder geschossen. Die tollsten Deformierungen im Blechwald sind die Folge. Selbstverständlich können die drei Städte nur Trampoline ins echte Kreta sein. Die kleinen Bergdörfer, in deren Tavernen man griechischen Kaffee – der noch vor Kurzem „türkischer“ hieß – trinkt, bestechen durch gute Luft und perfekte Ruhe – wenn nicht gerade irgendwo ein Abfangjäger die Schallmauer durchbricht.
Ist ja auch beruhigend, dass sich die Griechen ihren Schneid nicht abkaufen lassen. Denn zuerst Milliardenkredite für die Jets bei französischen Banken aufnehmen und dann beim Kerosin sparen, das würde der lokalen Lebensfreude nicht entsprechen. Sie sind dann übrigens eh schnell weg, die Jets.
Ob es jetzt die felsige Quellenstadt Kalamafka ist, nahe bei Ierapetra, der südlichsten Stadt Europas, oder das hübsche Argiroupolis, wo sich Kretas einziger echter Binnensee befindet – die Einheimischen teilen ihre tollen Ausflugsziele gern mit den wenigen Mietautotouristen.
Unter anderem auch die Grilltavernen unter schattigen Bäumen. Was man für Besucher tun kann, das tut man hier auch. Der Boom der Pelzgeschäfte rund um Heraklion ist durch den russischen Pseudo-Luxustourismus zu erklären. Irgendwann brachten ein paar Russen eine rege Nachfrage nach Pelzen mit sich, und daraus entwuchs das etwas skurrile Angebot.
Martin Amanshauser (Die Presse)
*Man möge dem Autor den Schreibfehler verzeihen. Es muß natürlich Raki heißen.
Tsipoyro oder Tsikoydia trinkt der Kreter,den Oyzo bekommen die Touristen als „Büchsenöffner“