Von Stefan Stahl
Europa hat ein Problem. Europa, diese wunderbare Idee der Völkerverständigung, steckt in der Krise. Es ist eine tief greifende wirtschaftliche Krise, die junge, gut ausgebildete Menschen in die Arbeitslosigkeit gestürzt hat. Ob in Griechenland, Spanien, Italien und selbst Frankreich: Für eine Generation Heranwachsender steht Europa vor allem für Hoffnungslosigkeit. Europa verengt sich für sie auf den Euro, die Folgen der damit verbundenen Schuldenkrise und ihr persönliches Schicksal. Verfestigt sich das, könnte die Attraktivität des Jahrtausendprojekts „Europa“ bleibenden Schaden nehmen.
Was erschwerend hinzukommt: In den bleiernen Krisenjahren funktioniert die für Europa so wichtige Achse Berlin–Paris mehr schlecht als recht. Die CDU-Politikerin Merkel und ihr sozialistischer Kollege Hollande bewegen sich auf unterschiedlichen Umlaufbahnen. Hier das exportstarke Deutschland, das Einbrüche in Europa mit Erfolgen in China wettmacht, dort das lahmende Frankreich mit seinem verkrusteten Arbeitsmarkt und der lädierten Wettbewerbsfähigkeit auf den Weltmärkten. Heute ist Frankreich der „kranke Mann Europas“, wie das britische Wirtschaftsmagazin The Economist 1999 Deutschland kritisiert und wachgerüttelt hat.
Rezepte gegen die französische Malaise finden sich nicht nur in Deutschland. Sie liegen vor der Haustüre. Und eben diese Hoffnung für die einstmals stolze Industrienation Frankreich kreiste am Freitag über Toulouse: Das neue Airbus-Flugzeug A350 ist ein Symbol für die technologische Stärke der Grande Nation. Das Projekt zeigt auf, wie man dem Schwitzkasten der Rezession entkommen kann. Der Königsweg besteht dabei in internationalen Kooperationen. Der A350 ist vor allem ein französisch-deutsches Erfolgsvorhaben. Ingenieure beider Länder haben einen Flieger konstruiert, dessen Rumpf so schwarz ist wie nie zuvor bei einem derart großen zivilen Passagierflugzeug. Das bringt selbst den roten Hollande zum Jubeln, bezieht sich die Farbe „Schwarz“ doch auf den hohen Einsatz von Kohlenfaserverbund-Werkstoffen. Dadurch werden Flugzeuge viel leichter. So können französische Politiker und Manager stolz darauf sein, was mit deutschen Partnern bei Airbus gelungen ist.
Sind sie auch. Bei der Premiere des neuen Airbus sah man begeisterte Franzosen. „Magnifique“, großartig, war das Wort der Stunde. Im Sog des Paris-Berlin-Triumphes zitiert die französische Zeitung Le Figaro sogar den deutschen Flugpionier Otto Lilienthal: „Eine Flugmaschine zu erfinden, heißt gar nichts, sie zu bauen nicht viel, es zu versuchen ist alles.“ So wächst die Luftfahrtindustrie jenseits und diesseits des Rheins auch in einem schwierigeren ökonomischen Umfeld. Am Ende muss Deutschland daran interessiert sein, dass dieses Beispiel auf die gesamte französische Industrie ausstrahlt.
Ein wirtschaftlich schwaches Frankreich bürdet vor allem Deutschland die Last auf, Europa zu ziehen und Schuldenländer immer wieder zu stützen. Auch deshalb sollte das Beispiel Airbus Schule machen, vor allem in der Autoindustrie. Es liegt nahe, dass deutsche und französische Hersteller in technologischen Projekten wie der Elektromobilität enger zusammenarbeiten. Hier könnten sich Merkel und Hollande als Anschieber betätigen. Mit Visionen und langem Atem, wie Airbus beweist, kommt man irgendwann ans Ziel.
Doch Träume und Hartnäckigkeit kommen im europäischen Schulden-Reparaturbetrieb schon lange zu kurz. Politiker, die rastlos von Krisengipfel zu Krisengipfel eilen, sind Gefangene der Gegenwart. Wann entschließen sie sich endlich zur Airbus-Therapie?
Quelle: Augsburger Allgemeine