Macht Bewegung schlau? Über den Einfluss der Bewegung auf kognitive Fähigkeiten
Wir glauben alle, dass Bewegung hilft, schlank und gesund zu bleiben. Doch hilft Bewegung auch, geistige, d.h. kognitive, Fähigkeiten zu verbessern? Macht Bewegung sogar schlau oder anders gesagt, hilft Bewegung, den Alterungsprozess zu verzögern? Stimmt es, dass Kinder, die sich viel draußen bewegen oder häufig jonglieren, auch bessere räumliche Fähigkeiten besitzen? Dieser Artikel geht diesen Fragen nach und stellt den Einfluss der Bewegung auf die höheren geistigen Fähigkeiten dar.
Ziel dieses Artikels ist es zu zeigen, dass Bewegung einen Einfluss auf unsere sogenannten kognitiven Fähigkeiten hat, dass aber eine pauschalisierte Aussage, Bewegung mache schlau, sicher zu einfach ist. Es soll aufgezeigt werden, welche wissenschaftlichen Evidenzen es für den Einfluss von bestimmtenmotorischen Fähigkeiten auf bestimmte kognitive Fähigkeiten gibt. Dieser wissenschaftliche Diskurs hat eine große Alltagsrelevanz: Wenn Bewegung die kognitiven Fähigkeiten, das heißt z.B. die Fähigkeiten zur Wahrnehmung und zur Aufmerksamkeit, zum Denken, zum Gedächtnis und zu den Entscheidungsprozessen, zur Intelligenz, zur mentalen Vorstellungen und zur Sprache (vgl. Solso, 2004) positiv beeinflusst, dann müsste es z.B. viel mehr Sport in den Schulen für die Kinder geben. Besonders in der Grundschule wird dies schon durch das Konzept der „Bewegten Schule“ umgesetzt (vgl. Dordel & Breithecker, 2003). Unter der „Bewegten Schule“ versteht man die verstärkte Bewegung neben dem normalen Sportunterricht im Schulalltag, welche sich zum Beispiel in einem bewegten Lernen, Bewegungspausen im Unterricht und in einer bewegten Pause zeigen kann. So gibt es zum Beispiel im Rahmen des bewegten Lernens „Laufdiktate“, bei welchen Texte im Klassenzimmer aufgehängt werden, die Kinder zu diesen Texten rennen, hüpfen oder springen müssen, dann den Text lesen und das Gelesene daraufhin aus dem Gedächtnis aufschreiben müssen. Bei diesen Laufdiktaten wird der Einfluss der Bewegung auf das Gedächtnis impliziert. An dieser Stelle wäre es für den Wissenschaftler wichtig zu untersuchen, welche Art von Bewegung oder auch welche motorische Fähigkeit das Gedächtnis schult. So lassen sich nach einer Systematisierung von Bös (1994) konditionelle (energetisch determinierte) und koordinative (informationsorientierte) Fähigkeiten voneinander unterscheiden. Zu den konditionellen Fähigkeiten gehören die Ausdauer, die Kraft und die Schnelligkeit, zu den koordinativen Fähigkeiten gehören die Reaktionsschnelligkeit, die Ausführung von Bewegungen unter Zeitdruck und die Präzision. Andere Autoren bevorzugen auch die Unterscheidung in sieben verschiedene koordinative Teilbereiche: Differenzierungsfähigkeit, Orientierungsfähigkeit, Rhythmisierungsfähigkeit, Kopplungsfähigkeit, Reaktionsfähigkeit, Umstellungsfähigkeit und Gleichgewichtsfähigkeit (Schnabel, Harre, & Krug, 2008).
Somit stellt sich für den Wissenschaftler die Frage, welche motorische Fähigkeit
welche kognitive Fähigkeit beeinflussen kann (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1: Grob vereinfachte Darstellung kognitiver Funktionen und motorischer Fähigkeiten.
Die Untersuchungen zum Einfluss der motorischen Aktivitäten auf die kognitiven Fähigkeiten lassen sich zum einen nach der untersuchten Zielgruppe (z.B. ältere Menschen vs. Kinder), der Art der variierten Bewegungsform (z.B. Ausdauertraining vs. Koordinationstraining) und der Art der untersuchten kognitiven Fähigkeit (z.B. Gedächtnisprozesse, räumliche Fähigkeiten etc.) gliedern. So führten Colcombe und Kramer (2003) eine Meta-Analyse durch, d.h. die Analyse von mehreren wissenschaftlichen Studien, um den Einfluss von Trainingseffekten durch aerobe Fitnessprogramme bei älteren Menschen zwischen 55 und 80 Jahren zu untersuchen. In den herangezogenen Studien variierte die Dauer der Trainingsprogramme (zwischen 15 und 60 Minuten), die Länge (zwischen 1 Monat und mehr als 6 Monaten) und die Art des Trainingsprogrammes (aerobes Trainings vs. aerobes Training in Kombination mit einem Krafttraining). Die Ergebnisse zeigen robuste aber auch selektive Effekte auf die kognitiven Fähigkeiten. Der größte Einfluss zeigte sich auf die sogenannten exekutiven Kontrollprozesse. Hierzu werden a) das Arbeitsgedächtnis gezählt, welches zur kurzzeitigen Speicherung von Informationen dient, b) die Inhibiton, d.h. die Hemmung von bestimmten Reaktionen und Handlungen und c) Aufmerksamkeitsprozesse. Eine Aufgabe zur Untersuchung der exekutiven Prozesse wäre z.B. wenn man Versuchspersonen in einer Computeraufgabe bittet, immer dann zu reagieren, wenn ein bestimmter Reiz auf dem Monitor erscheint, aber immer nur dann, wenn er nicht von anderen definierten Reizen umgeben ist. Ebenso wie Denken, Planen und Entscheiden werden die exekutiven Funktionen auch durch den Präfrontalen Cortex gesteuert (Kubesch, 2008). Ein weiterer Einfluss der Trainingsprogramme konnte auch auf die räumlich-visuellen Verarbeitungsprozesse nachgewiesen werden. Dabei ist es interessant zu sehen, dass zum einen ein Training von 1-3 Monaten genauso effektiv zu sein scheint wie ein Training von 4-6 Monaten, jedoch nicht so effektiv wie ein länger als 6 Monate dauerndes Training, und zum anderen, dass Trainingsgruppen mit einem höheren Anteil von Frauen als Männer in der Gruppe stärker von dem Training profitierten. Darüber hinaus zeigte sich ein größerer Trainingsgewinn nach einem kombinierten Training. Im Einklang mit der Meta-Analyse ist eine Arbeit mit Jugendlichen in der 7. Klassen zu sehen. Hier zeigte sich, dass körperlich leistungsstärkere Jugendliche im EEG (Messung der Hirnströme mittels Elektroden) eine erhöhte Aufmerksamkeit zeigten (Kubesch, 2007).
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An diesen Studien wird deutlich, dass gerade die exekutiven Funktionen sich durch eine motorische Aktivität verbessern lassen. Neben diesen exekutiven Funktionen gibt es jedoch noch einen weiteren Teilbereich der kognitiven Fähigkeiten, nämlich die visuell-räumlichen Fähigkeiten, die von einem motorischen Trainingsprogramm profitieren.
Bei der Untersuchung der visuell-räumlichen Fähigkeiten spielen Aufgaben zurmentalen Rotation, der Fähigkeit sich Objekt gedreht vorstellen zu können (Sherpard & Metzler, 1971), eine bedeutende Rolle. Räumliche kognitive Fähigkeiten sind wichtig für die Fähigkeit zum Problemlösen, für den Erwerb der mathematischen Fähigkeiten und für die Fähigkeit zum wissenschaftlichen Denken. Auch sind sie im alltäglichen Leben unbedingt notwendig: Wenn wir zu einer Tasse Kaffee greifen wollen, müssen wir sowohl unsere Handposition als auch die Position der Tasse Kaffee im Raum einschätzen können. Diese Alltagsbeobachtung drückt die starke Verbindung zwischen motorischen und räumlichen Fähigkeiten aus, die mittlerweile in einigen wissenschaftlichen Studien untersucht wurde: So konnte z.B. nachgewiesen werden, dass Kinder, die eine eingeschränkte Motorik aufgrund einer Verschlussstörung des Neuralrohrs (Kinder mit Spina bifida) aufweisen, verminderte räumlich-kognitive Fähigkeiten besitzen. Sie besitzen eine schlechtere räumlichen Wahrnehmung, eine schlechtere mentale Rotationsleistung und eine schlechtere räumliche Arbeitsgedächtnisleistung. Die Leistung in den räumlichen Fähigkeiten korrelierte mit dem Lauflernalter der Kinder mit Spina bifida (Wiedenbauer & Jansen-Osmann, 2006).
In weiteren Arbeiten konnte gezeigt werden, dass sich die mentale Rotationsleistung motorisch trainieren lässt (Jansen, Titze, & Heil, 2009). In einer Studie führten alle Erwachsene einen mentalen Rotationstest am Computer durch. Bei diesem mentalen Rotationstest wurden zwei Würfelfiguren nebeneinander präsentiert. Die linke Figur war im Vergleich zur rechten Figur rotiert. Die Versuchspersonen sollten so schnell wie möglich entscheiden, ob die beiden Figuren gleich oder gespiegelt waren. Daraufhin nahm die Hälfte der Erwachsenen (24 Erwachsene) an einem drei Monate dauernden Jongliertraining teil, während die andere Hälfte kein Training erhielt. Nach diesen drei Monaten erhielten alle Versuchspersonen noch einmal einen mentalen Rotationstest. Gemessen wurden die Veränderung der Entscheidungszeit und der Fehlerrate zwischen dem ersten und dem zweiten Rotationstest. Abbildung 2 verdeutlicht noch einmal den Versuchsablauf. Die Ergebnisse zeigen, dass sich die Jongliergruppe signifikant stärker verbesserte als die Kontrollgruppe. Diese Ergebnisse konnten in einer weiteren Studie mit Mädchen im Alter zwischen 6-14 Jahren bestätigt werden. Hier zeigte sich ein Einfluss des Jonglierens auf die mentale Rotationsleistung, während dieser Einfluss durch ein Kräftigungstraining mit derselben Trainingsintensität nicht nachgewiesen werden konnte.
Abbildung 2: Versuchsaufbau der Jonglierstudie mit Erwachsenen.
Schlussfolgerung
Die dargestellten Studien machen deutlich, dass es wissenschaftliche Evidenz für den Einfluss der Bewegung auf bestimmte kognitive Fähigkeiten gibt, insbesondere auf die exekutiven Kontroll- und die visuell-räumlichen Prozesse. Dabei muss jedoch beachtetet werden, dass diese Effekte sehr spezifisch sind und die Studien aufgrund der verschiedenen Arten und Intensitäten der Bewegungsprogramme sehr unterschiedlich sind. Die wissenschaftliche Forschung steht hier noch an ihrem Anfang. Diese Forschungslücke kann durch die systematische Variation unterschiedlicher Bewegungsprogramme in ihrer Art (Ausdauer vs. Kraft vs. Koordination oder die Kombination), in ihrer Dauer und Intensität und die Messung verschiedener kognitiver Aktivität (neben exekutiven Kontroll- und visuell räumlichen Prozessen, auch Prozesse des Gedächtnisses, des Problemlösen etc.) geschlossen werden. Bewegung macht nicht per se schlau – spezifische Bewegungen können helfen spezifische kognitive Fähigkeiten zu fördern!
Glossar
Exekutive Kontrollprozesse: höhere kognitive Prozesse, die die Planung und Hemmung andere geistiger Prozesse, wie z.B. von Wahrnehmungsprozessen, regeln.
Kognitive Fähigkeiten: u.a. Wahrnehmungs- und Aufmerksamkeitsprozesse, unterschiedliche Facetten des Denkens, Gedächtnis- und Entscheidungsprozesse, Intelligenz, mentale Vorstellungen und Sprache.
Motorische Fähigkeiten:konditionelle (z.B. Ausdauerfähigkeiten) und koordinative Fähigkeiten (z.B. Jonglieren).
Mentale Rotation: geistige Fähigkeit, sich Objekte gedreht vorzustellen.
Radio Kreta
Ein ziemlich langer Artikel. Musste den Kopf zigmal bewegen. Und stelle fest: Bewegung mach schlau. Danke, Petra. Gruß an die Family und Willkommen auf Kreta. Hier ist Bewegung.