Aus dem Tierstudio: Jeder Hund ist ein bisschen Psycho

Von wegen nur fressen, bellen, Beinchen heben – Hunde haben wilde, überaus bewegte Träume. Psychologie-Professor Stanley Coreen hat sie erforscht. Ein Gespräch über den besten Freund des Menschen.

Von Elke Bodderas, Welt.de

Stanley Coren, emeritierter Psychologie-Professor der Universität von British Columbia in Vancouver, erforscht seit 40 Jahren das Verhalten von Hunden. Aus seinem IQ-Test für Hunde leitete Coren unter anderem ab, dass Hunde 250 Wörter unterscheiden können. Seine Erkenntnisse als Forscher überprüft Coren an seinen eigenen drei Hunden – darunter ein Beagle, von dem er sagt, jeder „Stuhl sei leichter zu trainieren“. Sein Buch „Was Hunde träumen“ ist in den USA ein Bestseller, die deutsche Ausgabe erscheint im September im Kynos-Verlag.

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Netter Bericht, doch meinen Traum verrat‘ ich nicht.

Die Welt: Herr Coren, Sie haben sich ein Berufsleben lang mit der Psyche von Menschen und der von Hunden beschäftigt. Wer von beiden ist anfälliger für Neurosen?

Stanley Coren: Für das Gehirn gilt das Gleiche wie für Computer: Je komplizierter die Technik, desto fehleranfälliger ist sie leider auch. Hunde empfinden zwar alle grundlegenden menschlichen Gefühle wie Freude, Angst, Liebe, Trauer. Aber nicht so vielschichtig und komplex wie der Mensch. Dennoch sind die Gemeinsamkeiten groß. So leiden auch Hunde unter Depressionen, auch sie haben ihre Ängste und Ticks. Eine britische Tierversicherung hat dazu Daten gesammelt. Danach waren 2011 rund 623.000 Hunde und Katzen psychisch krank. Über 900.000 waren kaum noch zum Fressen zu überreden. Vielen Tieren hilft das Antidepressivum Prozac, ein gängiges Mittel aus der Humanmedizin. Die Pharmaindustrie hat Hunde als neue Patientengruppe entdeckt und bietet speziell dosierte Präparate an, die in den Napf gemischt werden können.

Die Welt: Auch Hunde träumen. Aber was?

Coren: Wer einen Hund hat, kennt das: Beine, die im Schlaf zucken, Knurren, manche schnappen sogar nach einem Schlafphantom. Tatsächlich zeigen die Gehirnwellen von schlafenden Hunden ähnliche Muster wie die des Menschen. Vermutlich träumen Hunde von Szenen aus ihrem Hundeleben. Die Gehirne von Mensch wie Hund besitzen eine Schutzregion. Sie verhindert im Schlaf, dass Träume in reale Handlungen übergehen. Forscher haben diesen Teil des Gehirns bei Hunden deaktiviert. Was geschah? Die Hunde begannen zu schlafwandeln, sie liefen umher und führten aus, was sie träumten. Ein träumender Pointer begann nach Wild zu suchen und verharrte wie angewurzelt in der Vorstehposition, die eine Vorderpfote angewinkelt. Ein Spaniel stöberte einen Vogel auf, und ein träumender Dobermann kämpfte gegen Einbrecher. Nicht alle Hunde träumen gleich.

Die Welt: Was von der Rasse abhängt …

Coren: Und vom Format. Große Hunde träumen weniger als kleine. Ein Zwergpudel kann einmal alle zehn Minuten träumen, während bei einem so großen Hund wie einer Dogge oder einem Mastiff oft bis zu eine Stunde zwischen den einzelnen Träumen liegt. Dafür dauern die Träume der großen Hunde allerdings länger. Übrigens kann jeder bei seinem Hund erkennen, wann er zu träumen beginnt, auch ohne seine Hirnströme zu messen. Man muss ihn nur von dem Moment an beobachten, in dem er wegzudösen beginnt. Je tiefer der Schlaf, desto regelmäßiger atmet er. Ein durchschnittlich großer Hund wie ein mittlerer Schnauzer fängt nach etwa 20 Minuten an zu träumen – der Atem wird flacher und unregelmäßiger, die Muskeln beginnen zu zucken, und wer genau hinschaut, erkennt, wie sich die Augen hinter den Lidern bewegen, die REM-Phase beginnt.

Die Welt: Alle Forschungen aus 40 Jahren zusammengenommen: Was hatte den größten praktischen Nutzen für Sie?

Coren: Dass ein Hund auf dem geistigen Niveau eines zweijährigen Kindes ist. Wer das begreift, hat die perfekten Voraussetzungen für eine glückliche Beziehung: Er erwartet nicht zu viel von seinem Hund, er unterfordert ihn aber auch nicht. Niemand kommt auf die Idee, einem zweijährigen Kind die Grundlagen chinesischer Philosophie anzuvertrauen, und im Gegenzug bin ich verblüfft, dass es so viele Halter gibt, die nicht einmal die einfachsten Signale der Hunde-Körpersprache begreifen. Das Schwanzwedeln etwa. Ein Hund, der wedelt, ist nicht immer fröhlich und freundlich. Auch wenn er den Schwanz aufrecht und leicht über den Rücken gebogen trägt, denken die Leute, er sei guter Dinge. Tatsächlich heißt es: ‚Ich bin ein wunderbarer, starker Hund und würde jederzeit kämpfen, um das zu beweisen.‘ Lässt er den Schwanz hängen und schwingt ihn leicht hin und her, glauben die Leute, ihr Hund sei zufrieden. Tatsächlich will er sagen: ‚Mir geht es nicht so gut.‘ Nur weites Schwingen zeugt wirklich von Zuneigung. Zweiter großer Irrtum: Mein Hund liebt mich – er leckt meine Hand. In Wirklichkeit will er Aufmerksamkeit. Dafür, dass er Hunger hat, beispielsweise.