Ein weiterer Tipp aus dem Reise-Know-How-Führer „Kreta“ hat uns einen Ausflug in die Messará-Ebene nahegelegt – kann man ja auch prima mit dem jährlich stattfindenden „Matala Beach Festival“ verbinden. Natur, Kultur und Beach-Party – das hört sich doch nach einem interessanten und abwechslungsreichen langen Wochenende an!
Die etwa vierzig Kilometer lange und zwischen zehn und zwölf Kilometer breite Messará-Ebene liegt im südlichen Zentralkreta, rund 45 km südlich der Hauptstadt Heraklion. Sie gilt schon seit vorgeschichtlichen Zeiten als die „Kornkammer“ Kretas. Die äußerst fruchtbare Ebene besteht aus Anbauflächen und Treibhäusern für Wintergemüse und vor allem tropische Früchte (Bananen, Ananas, Kiwis, Orangen etc.) – seit Ende der 1980-er Jahre wird auch Kaffee (is WICHTIG!) dort angebaut. Daneben betreibt man Getreideanbau und selbstverständlich werden auch unzählige Olivenbäume kultiviert.
Vom Meer her schiebt sich die Ebene, kaum merklich nach Osten zum Dikti-Gebirge ansteigend, wie ein Keil zwischen das nördlich gelegene Ida-Gebirge und die Asteroúsia-Berge, die sich wie eine Mauer zwischen der ebene und dem Libyschen Meer erheben. An der Fruchtbarkeit der Ebene lag es, dass hier seit jeher bedeutende Siedlungen und Städte entstanden: in minoischer Zeit lagen mit Festós und Agia Triáda gleich zwei wichtige Zentren in der ebene, später erkoren die Römer Górtys (Gortyn, Gortyna – Γόρτυς, Γόρτυν, Γόρτυνα) zur Hauptstadt des damaligen Kretas. Heute ist Míres (Moires – Μοίρες) der wichtigste Ort der Region.
Górtys – Kretas römsche Hauptstadt
Die Reste der römischen Hauptstadt Kretas, Górtys, Gortyn oder Gortyna muss man gesehen haben, wenn man verstehen will, dass Kreta nicht nur in minoischer Zeit bedeutend war. Die eindrucksvollen Reste der damaligen Metropole erstrecken sich nicht nur auf den abgezäunten Bereich nördlich der Straße, sondern auch südlich davon. Rund 300 m vom Zugang zur Ausgrabung entfernt führt ein Fußpfad zu anderen Ruinen, die malerisch inmitten von Olivenhainen liegen und kaum besucht werden – warum auch immer. Die Haupt-Fundstellen sind umzäunt und als Tourist sollte man diese Begrenzungen zum Schutz der Denkmäler auch bitte akzeptieren. Der ruinenartige Zustand der meisten Bauten setzt zugegebenermaßen allerdings eine ziemlich gute Vorstellungskraft voraus, will man sich gedanklich in graue bzw. blühende Vorzeiten zurück“beamen“.
Einen wunderbaren Rundumblick hat man von der im Nordwesten der Anlage gelegenen umzäunten Akropolis. Das Zentrum der römischen Stadt liegt etwa 1,5 km entfernt von Agii Deka an der Hauptstraße nach Mires. Nur wenige Teile der einstigen römischen Metropole sind überhaupt ausgegraben worden, doch schon diese Reste weisen auf die große frühere Bedeutung hin. Um den Namen der Stadt ranken sich eine ganze Reihe von Theorien, nach einer soll sie nach einem Sohn des legendären Bruders des großen Köngis Minos – Rhadamanthys – benannt worden sein.
Auf dem Gelände befindet sich ausserdem ein kleines, leider häufig geschlossenes Museum mit herausragenden römischen Gewandstatuen und einer lebensgroßen Sitzstatue de Kaisers Hadrian aus dem 2. Jahrhundert n.Chr.
Ein bisschen Geschichte
Schon in minoischer Zeit war Górtis ein blühender Ort in der Messará-Ebene, stand allerdings immer im Schatten von Féstos (Phaistos). Ein Bedeutungszuwachs war erst nach dem Ende dieser Epoche und nach der dorischen Zuwanderung festzustellen. Im 3. Jahrhundert v.Chr. setzte sich die Stadt endgültig an die Spitze der Städte der Messará, nachdem man sowohl Féstos wie auch den Hafen Mátala erobert und damit die Herrschaft über das südliche Zentralkreta ausgedehnt hatte. Die Stadt war so mächtig, dass sogar Verbindungen nach Libyen und zu den Ptolemäern in Ägypten bestanden. Obwohl man 189 v.Chr. Roms Erzfeind Hannibal „Asyl“ anbot (Flüchtlingskrisen gab´s wohl schon immer….), mauserte sich Górtys bald zu einem verlässlichen Bundesgenossen der Römer.
Und das sollte sich auszahlen: Bei der finalen Kreta-Eroberung durch die Römer unter C. Metellus während der Jahre 68-66 v.Chr. blieb die Stadt von Zerstörung und Plünderung verschont und wurde zur Hauptstadt gekrönt. Dies war weniger als „Belohnung“ gedacht, als aus strategischen Überlegungen heraus entstanden, denn schnell hatten die findigen Römer die geographisch günstige Lage inmitten einer Kornkammer erkannt (doof waren sie ja nie, die Besatzer….).
Górtys war Hauptstadt der römischen Provinz „Creta et Cyrenae“, unterstand dem Senat von Rom und wurde von einem römischen Statthalter verwaltet. Diese Provinz umfasste die Insel Kreta und große Teile des heutigen Libyens.
Zu besonderer Berühmtheit gelangte die Stadt auch wegen des Apostels Paulus, der im Jahre 59 n.Chr. auf seinem Weg hier Station machte (so sagt man). Er ließ seinen Begleiter Titus zurück, der in der Folge erster Bischof von Kreta wurde, und zwar mit der Aufgabe, die Kreter – damals charakterisiert als „Lügner zumeist, wilde Tiere und faule Bäuche“ – zu bekehren. Scheinbar hat Titus damals gute Arbeit geleistet, denn während der Christenverfolgung um die Mitte des. 3. Jahrhunderts n.Chr. traf es auch die Insel Kreta. Allein hier sollen 10 Bischöfe hingerichtet worden sein.
Die über Jahrhunderte andauernde Blüte der Stadt Górtis setzte sich auch noch in der ersten byzantinischen Zeit fort und fand erst beim Arabereinfall 824 n.Chr. ein jähes Ende. Danach wurde der Ort verlassen und nie wieder besiedelt; die Bewohner, die das Gemetzel überlebt hatten, ließen sich weiter östlich im heutigen Agíi Deka (Agioi Deka – Άγιοι Δέκα – „die heiligen zehn“) nieder.
Und dann wurde gegraben
Erste Ausgrabungen Ausgrabungen wurden 1884 von der italienischen Archäologieschule in Athen begonnen. Die Ausgrabungen zeigten, dass Gortys bereits in der Jungsteinzeit bewohnt war. Ruinen einer Siedlung auf der Zitadelle von Gortys wurden damals entdeckt und bis 1050 v. Chr. zurückdatiert Heute finden in bestimmten Bereichen immer mal wieder neue Grabungsprojekte statt, doch leider fehlen bislang umfassende und profunde Publikationen zur Bedeutung dieser Stadt, ihrer Ausdehnung und den Bauten. Górtis gleicht einem Puzzle (Anzahl der Teile leider nicht bekannt!), das bisher aus wenigen zusammenhängenden Steinen besteht und nur beschränkt Einblick zulässt, wie die vormals prunkvolle Stadt wohl ausgesehen haben mag. Und da schließt sich der Kreis: Vorstellungsvermögen, Phantasie und ein bisschen Begeisterung sind gefragt!
Tatsache ist aber der Gesetzeskodex von Gortyn
Unter den Archäologen, den alten Historikern und den Klassikern ist Gortyn heute vor allem wegen der 1884 entdeckten Entdeckung des Gortyn-Codes bekannt, der sowohl das älteste als auch das vollständigste bekannte Beispiel eines Kodex des antiken griechischen Gesetzes ist. Der Code wurde auf dem Gelände eines Gebäudes – dem Odeon – entdeckt, die von dem römischen Kaiser Trajan gebaut wurde.
Dieser Code verwendet zum zweiten Mal Steine aus einer Inschriften tragenden Wand wieder, die auch in die Gründung einer früheren hellenistischen Struktur integriert worden war. Obwohl Teile der Inschriften in Museen wie dem Louvre in Paris platziert worden sind, beherbergt eine moderne Struktur an der Stelle des meist zerstörten Odeons jetzt viele der Steine, die den berühmten Gesetzescode tragen.
Eine Kopie des Codes wurde nach Athen vom italienischen Museum in Taranto zurückgebracht und ist jetzt im griechischen Bouli untergebracht. Der Kurator des Taranto-Museums erklärte zur Eröffnung den berühmten und politischen Gästen: „Griechenland ist nicht Teil Europas, es IST Europa.“
Der Mythos von Europa und Zeus
Glaubt man der klassischen griechischen Mythologie, war Górtys einer der Orte, wo Göttervater Zeus mal wieder eine seiner zahlreichen „Affären“ hatte – diesmal mit der wohlbekannten Europa, von der unser Kontinent seinen Namen hat. Verkleidet als Stier entführte Zeus seine Auserwählte Europa aus dem Libanon und sie liebten sich auf Kreta unter einer Platane. Aus dieser „Affäre“ entstanden drei Kinder: der berühmte Minos und seine Brüder Rhadamanthys und Sarpedon, die später die Könige der drei Minoischen Paläste auf Kreta wurden.
Eine kolossale Statue Europas, die auf dem Rücken eines Stiers sitzt, wurde im Amphitheater von Gortyn im 19. Jahrhundert entdeckt und befindet sich nun in den Sammlungen des Britischen Museums (na, da gehört sie ja auch hin….!?!!?) . Viele Münzen wurden mit Europa-Darstellungen auf der Rückseite gefunden und zeigten, dass die Menschen Europa als eine große Göttin ehrten.
Lasst Euch selbst in die griechische Mythologie entführen – im 21. Jahrhundert, direkt vor Ort!
Radio Kreta – immer gute (Ausflugs-) Tipps.
Mehr lesbare, lehrreiche und unterhaltsame Geschichte zum Leben der Minoer findet Ihr „Im Palast von Knossos“ vom großen Nikos Kazantzakis. Ganz in der Nähe von Górtis findet Ihr auch das Weingut Zacharioudakis. Und das Matala Beach Festival 2017 findet an diesem Wochenende statt. Kleiner Ausflug gefällig?