Buchtipp: „Zeit für eine andere Welt – Warum der Kapitalismus keine Zukunft hat“

Auszug: Von Thorsten Wiesmann, erschienen bei „The Intelligence“

Interview mit Peter Sutter, Autor des Buches „Zeit für eine andere Welt – Warum der Kapitalismus keine Zukunft hat“ – Peter Sutter, Jahrgang 1950, ist als Oberstufenlehrer tätig. Er war acht Jahre lang als Gemeinderat und im Kanton St. Gallen zwei Jahre lang als Kantonsrat aktiv. Im September 2011 hat er das genannte Buch veröffentlicht, in dem er das kapitalistische Wirtschaftssystem kritisch durchleuchtet und zu dem Schluss kommt, dass, um die anstehenden weltweiten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen zu bewältigen, der Aufbau einer neuen, nichtkapitalistischen, auf Frieden und soziale Gerechtigkeit ausgerichtete Wirtschaftsordnung unerlässlich ist.

T. W.: Sie beschreiben 6 Schritte hin zu einer Politik der Liebe, wie sehen diese aus?

P. S.: Der erste Schritt ist der Schritt zu mir selber bzw. zu dem Kind, das ich einmal war. Ich muss mich sozusagen zurückversetzen in den Zustand, in dem ich mich befand, bevor meine Erziehung zum Kapitalismus begann. Kinder sehen die Welt noch rein und unverdorben. Ich muss lernen, die Welt wieder so zu sehen wie ein Kind. Dann werden mir all die Widersprüche und Absurditäten der sogenannten „Normalität“ erst bewusst. Der zweite Schritt ist die Erkenntnis, dass, wenn ich wieder das Kind in mir entdecke, dadurch gleichzeitig auch meine Verbundenheit mit allen anderen Kindern der Welt wiederentdecke. Auf geheimnisvolle Weise nämlich gibt es eine weltweite Verbundenheit aller Kinder im Augenblick ihrer Geburt, bevor sie an die Lebensumstände des Ortes, wo sie die Welt betraten, angepasst wurden. Dieses Gemeinsame ist die Sehnsucht danach, geliebt zu werden und zu lieben, es ist die Sehnsucht nach Frieden und nach Gerechtigkeit. Vielleicht könnte man es auch als die gemeinsame Erinnerung aller Kinder an jene Welt bezeichnen, aus der sie gekommen sind und die man als das sehen könnte, was sich eigentlich alle Menschen unter dem „Paradies“ vorstellen. Der dritte Schritt ist das Wiederentdecken des Widerstandes, der Rebellion: Wieder so widerspenstig, hartnäckig und unbequem werden, wie man als Kind einmal war. Das kann jeder Mensch, nur haben es die meisten durch das Erwachsenwerden verlernt bzw. ist es ihnen ausgetrieben worden. Es ist der eigene, unverfälschte Wille, den wir mit auf die Welt bringen. Ohne ihn, ohne die Zurückweisung und Ablehnung des kranken zerstörerischen Bestehenden, können wir es nicht verändern. Rebellion und Widerspenstigkeit sind daher die wichtigsten Instrumente auf dem Weg zur Formulierung eines Willens zu einer gesellschaftlichen Erneuerung. Der vierte Schritt ist die Überwindung all der Spaltungen, denen wir uns unterworfen haben, um in der kapitalistischen Gesellschaft überhaupt leben zu können. Diese Spaltungen zeigen sich insbesondere in der Lügenhaftigkeit jener Politiker, die uns immer noch vorzugaukeln versuchen, alles werde gut, obwohl wir uns immer mehr dem Abgrund nähern. Lügen sind zu Wahrheiten geworden und umgekehrt. Nur wenn wir unsere inneren Spaltungen und Widersprüche überwinden lernen, gewinnen wir unsere Ganzheit, unsere Ehrlichkeit, unsere Authentizität zurück, die wir als Kinder einmal hatten. Der fünfte Schritt ist das Bewusstsein, dass jeder Einzelne Teil eines Ganzen ist, mit dem er unauflöslich verbunden ist. Denken wir zurück an unsere Geburt. Woher kamen wir, wohin gehen wir? Alles ist mit allem verbunden. Individuelle Gesundheit und individuellen Wohlstand, der wirklich glücklich macht, kann es für einen Einzelnen nicht geben, solange unzählige andere keinen Anteil daran haben oder sogar mit dem Verlust ihrer eigenen Gesundheit für die Gesundheit anderer bezahlen müssen. Entweder sind alle gesund – Menschen, Tiere, Pflanzen, die Natur weltweit – oder es sind alle krank. Gesundheit Einzelner auf Kosten auf Anderer kann höchstens etwas Vorübergehendes sein, nie aber ein Endzustand im Gleichgewicht. Der sechste Schritt ist der Schritt wieder zurück in die Politik. Nun aber auf der Basis der Liebe, des Bewusstseins meines Eingebundenseins in ein großes Ganzes und alle damit verbundene Mitverantwortung. Damit es mir selber gut gehen kann, muss es auch allen anderen gut gehen. Wenn ich ganz tief in mir, in meinem „Kind“ angelangt bin, dann ist mein Mitgefühl für andere wieder voll erwacht. Man kann sich nichts vorstellen, was eine noch stärkere revolutionäre Sprengkraft entwickeln könnte als eine solche aus dem Individuellen ins Politische transformierte Form von Liebe. Und deshalb erscheint mir der Anfang einer neuen Zeit auch gar nicht so kompliziert und gar nicht so schwierig, wie oft gesagt wird. Wir müssen nur wieder das werden, als was wir einmal gedacht waren.

P. S.: Dass über Internet weltweit heute jegliche beliebige Information an jedem beliebigen Ort jederzeit zur Verfügung steht, sehe ich grundsätzlich als etwas Positives an. Und mithilfe der sozialen Medien kann das vorhandene Wissen blitzschnell zu breiten politischen Bewegungen anwachsen. Allerdings genügt aus meiner Sicht das bloße Vorhandensein der Informationen noch nicht. Es braucht den zwischenmenschlichen Austausch, öffentliche Auseinandersetzungen, die Begegnung der Menschen vor Ort. Es braucht den Dialog nicht nur virtuell, sondern auch ganz real, von Mensch zu Mensch. Hier, denke ich, besteht im Moment ein großer Nachholbedarf. Der Übergang, die Transformation in ein neues, nachkapitalistisches Zeitalter kann nicht im Internet allein stattfinden. Austausch und Diskussion in sozialen Medien sind wichtig, aber es braucht den konkreten Bezug zum Handeln, zu konkreten Maßnahmen, die etwas bewirken.

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