„Das Geheimnis des Schnee-Dibbche aus Smyrna – Ein außergewöhnlicher griechischer Keramikfund in Rothenberge“
Eine e-Mail mit ebendiesem Betreff hat uns neulich erreicht – und zwar von Peter Völker. Der aufmerksame Radio-Kreta-„Follower“ weiß spätestens nun bereits Bescheid – wir haben Peter im Zuge unseres diesjährigen griechisch-deutschen Lesefestivals im Mai hier in Paleochora persönlich kennen- und schätzen gelernt. Und wir sind natürlich auch jetzt noch immer mal wieder im Kontakt, denn Peter ist ein Quell der Geschichten, Gedichte und – wie in diesem Falle – ganz realer „Fundsachen“ mit griechischem Hintergrund.
A propos Hintergrund – der Eine oder die Andere mag sich ob des Titels unseres Berichtes schon gewundert haben, weil er/sie das Wort „Dibbche“ nicht kennt. Nun, Peter ist 100% Hesse, die Verfasserin des Artikels ist Halbhessin und somit mit diesem Zungenschlag von Kindheit an vertraut. Deswegen nun auch die Übersetzung: ein „Dibbche“ ist ein „Töpfchen“, also die kleine Version eines „Dibbe“ (Topf). Witzigerweise ist in diesem Fall Singular und Plural das selbe Wort: ein Dibbche, zwei, drei, vier Dibbche und so weiter. Vielleicht hilft das bei der Lektüre des nun folgenden Artikels weiter – die mundsprachlichen Zitate des Friedhelm Schnee liest man als Nicht-Hesse am Besten laut, dann klappt´s auch mit dem (hessischen) Nachbarn…. Aber nun mal zum Beitrag:
Von Peter Völker
Die Deutschen wollen es zumindest im Zuge der Diskussion um die griechische Schulden- und Finanzkrise nicht wahrhaben oder zumindest verdrängen sie, welch bedeutenden Einfluss die antike Kultur Griechenlands auf die kulturelle Identität ganz Europas (dem sie auch den Namen des Kontinents verdanken) und Deutschlands im Speziellen haben. Ob es die naturkundlichen und soziologischen Erkenntnisse Aristoteles („Keinen Freund hat, wer viele Freunde hat“) oder die philosophischen Höhenflüge Platons und Sokrates („Ich weiß, dass ich nichts weiß“) handelt, der moderne europäische Mensch muss begreifen, dass er von den Griechen reich beschenkt wurde. Was nun aber im Herbst 2015 bei Aufräumarbeiten in einer dunklen Ecke in einem Rothenberger Bauernkeller gefunden wurde, bringt gar die hessische Identität ins Wanken.
Es war ein ganz normaler Samstag Morgen, an dem ganz normale Rothenberger Aufräum- und Reinigungsarbeiten im Hof und auf dem Bürgersteig nachgehen, so auch ich, als mein Nachbar Friedhelm Schnee zu mir kam. „Peter, du kennst dich doch in aale Schrifte aus. Ich hab in meinem Keller was Merkwürdiges gefunne. E aales Fettdibbche mit komische Buchstabe.”
Wenig später stellte ich meinen Kehrbesen zur Seite, begab mich neugierig zu Friedhelms Haus und staunte nicht schlecht. Mein Nachbar hielt ein für unsere Region typisches grau-blaues und traditionsreiches Fettdibbche von zirka 30 cm Höhe in der Hand und zeigte mir stolz die in griechischen Buchstaben verfasste Inschrift auf der Rundung: „Pantelis – I. Tsourouktsoglou“. Dann drehte er den Topf um und auf dem Dibbche-Boden war ein kleiner Papierstreifen zu sehen, auf dem in Sütterlin-Schrift geschrieben stand: „Marie – Frankfurt – 1939“.
Da ich der griechischen Kultur verfallen bin und dieses Land unzählige Male bereist habe, kam ich von dem Fettdibbche nicht mehr los, bat Friedhelm darum, es mir einmal auszuleihen, um Fotos davon zu machen und Recherchen über seine Herkunft anzustellen. Ich versprach ihm, ihn über alles auf dem Laufenden zu halten. Zuhause angekommen, fotografierte ich das Dibbche und seine Inschriften, um griechische Freunde nach der Bedeutung des griechischen Schriftzuges zu fragen. Per E-Mail sandte ich die Bilder zunächst an einige griechische Freunde und erhielt auch prompt Antwort von Jorgos: „Pantelis“ heißt nichts weiter als „Kaufmann“ und der Name deutet auf eine griechische Familie hin, die auf türkischen Gebiet lebte. Wer aber war I. Tsourouktsoglou?
Die deutsch-griechische Industrie- und Handelskammer in Griechenland bringt erste Erkenntnisse
Etwas verwirrt, wegen all der neuen Informationen, entschloss ich mich, die Recherche auf hohem Niveau in Griechenland aufzunehmen und schrieb eine E-Mail an meinen Freund Martin Knapp, ein exzellenter Kenner der griechischen Verhältnisse, viele Jahre Vertreter der deutschen Wirtschaft auf dem Balkan, unter anderem als langjähriger Leiter der deutsch-griechischen Industrie- und Handelskammern in Thessaloniki und Athen. Ich eröffnete ihm den Fall und erhielt auch prompt seine Stellungnahme, diesmal aus Belgrad, wo er zur Zeit als Leiter der deutsch-serbischen Industrie- und Handelskammer seinen Sitz hat.
Seine Antwort ungekürzt:
„Das ist in der Tat ein bemerkenswerter Fund. Der Name Tsorouktzoglou ist eigentlich türkisch. Solche Namen sind typisch für Kleinasien vor 1922, vor allem in Karaman und Kapadokien, also im inneren Kleinasien. Die Leute dort waren orthodoxe Christen, sprachen aber Türkisch. Griechisch lernten sie in privaten Schulen der Minderheit. Viele von ihnen hatten sich auch in Smyrna an der Westküste niedergelassen, wenige in Konstantinopel. Im Rahmen des Bevölkerungsaustausches nach der so genannten kleinasiatischen Katastrophe 1922 kamen die meisten nach Griechenland, viele gingen aber gleich weiter in alle Welt, vor allem natürlich in die USA, aber auch nach Deutschland. Einige von ihnen machten in Deutschland Zigarettenwerkstätten auf.
Dagegen, dass sich solch ein kleinasiatischer Grieche in Deutschland mit der Schmalzproduktion beschäftigt hat, spricht aber der Gebrauch des griechischen Alphabets. Bei der Vorbereitung meiner Ausstellung zum Thema ‚Deutsch-Griechische Wirtschaftsbeziehungen im Spiegel der Werbung 1870 bis 1970‘ ist mir jedenfalls kein Fall bekannt geworden, bei dem ein griechischer Unternehmer in Deutschland das griechische Alphabet benutzt hätte.
Wurde in griechischen „Dibbche“ deutsches Schmalz in den Nahen Osten exportiert?
Die wahrscheinlichste Lösung: Ein Importeur, vielleicht aus Smyrna, hat in der Zeit von vor 1922 aus Deutschland solche Töpfe, natürlich mit Inhalt (ohne Inhalt macht es keinen Sinn, da wäre die Herstellung vor Ort billiger gewesen) bestellt und mit seinem Namen versehen lassen, wohl um die Exklusivität des Produktes zu unterstreichen. Mindestens einer dieser Töpfe ist dann aus unbekannten Gründen in Deutschland geblieben. Zeitlich eingrenzen lässt sich das am besten auf deutscher Seite, nämlich indem man ermittelt, bis wann diese Töpfe als regelrechtes Verpackungsmittel eingesetzt wurden. Meines Wissens waren sie das ursprünglich, weswegen es auch noch so viele davon gibt. Wir hatten auch zwei davon zu Hause, die dann aber immer frisch mit Butter gefüllt wurden.
Bleibt die Frage, ob damals überhaupt Schmalz in den Nahen Osten exportiert wurde. Bis zu meiner Beschäftigung mit der Ausstellung hätte ich das für unwahrscheinlich gehalten. Heute weiß ich, dass vor dem I. Weltkrieg die unwahrscheinlichsten Lebensmittel in die Region gingen, selbst Wein vom Rhein, aber auch Schinken, Wurst, Mineralwasser etc. Der Handel war nämlich bis 1914 weitgehend liberalisiert. Natürlich wurden immer nur geringe Mengen exportiert und nur für die Oberschicht. Die einfachen Leute ernährten sich von lokalen Erzeugnissen. ‚Marie Frankfurt 1939‘ ist in deutschen Buchstaben geschrieben (wobei das ‚a‘ am Ende von Marie leicht verunglückt ist). Ich nehme an, dass das mit dem Ursprung des Topfes wenig zu tun hat. Vermutlich hat jemand den Topf neu befüllt und einer Marie in Frankfurt zugedacht. Insgesamt ein sehr spannendes Thema! Herzliche Grüße Martin“.
Auf den Spuren der hessischen grau-blauen Keramik im Westerwald
Mir waren all diese Sachverhalte zu den Fettdibbche und ihren Inhalten völlig neu, und so forschte ich bei google nun zunächst einmal nach hessischen Quellen. Ich fand heraus, dass Dreihausen bei Marburg sich noch heute mit Siegburg im Rheinland darum streitet, wer das erste europäische Steinzeug produziert hat. Funde von datierbarem „Faststeinzeug“ und Steinzeug beim Marburger Schloss und im Marburger Stadtgebiet sowie auf Töpfereihalden in Dreihausen gehen zurück bis um das Jahr 1250, freilich noch in dunklem Braun gehalten. Bereits im 14. Jahrhundert ist der Töpferort Dreihausen so bekannt, dass er neben seinem damaligen Namen „Hausen“ oder „Husen“ in verschiedenen Urkunden „Eulershausen“ genannt wird. Euler ist die alte Bezeichnung für Töpfer.
Der „gute Ton“, aus dem das recht bruchfeste, wasser- und säuredichte Steinzeug getöpfert werden konnte, war in Dreihausen reichlich vorhanden. Die Ware fand bei qualitätsbewussten Käufern guten Absatz in Form von Vorratsbehältern, Trinkgefäßen und Tafelgeschirr. Die konkurrierenden Töpfereien in Marburg, der Schwalm und vielen anderen hessischen Töpferorten konnten nur die niedriger gebrannte Irdenware herstellen, weil ihnen der Steinzeugton fehlte. So arbeiteten bis ins 18. Jahrhundert zwischen zwanzig und dreißig Töpfer in dem kleinen Dorf.
Westerwälder Steinzeug ist eine keramische Warenart, die in der frühen Neuzeit im unteren Westerwald und im Kannenbäckerland produziert wurde. Unabhängig von der Provenienz wird der Ausdruck auch allgemein für blau-graues Steinzeug verwendet. Das Westerwälder Steinzeug wurde ab dem 17. Jahrhundert in großen Mengen in ganz Europa gehandelt und gilt neben seiner kunstgeschichtlichen Bedeutung als wichtiger Marker bei der Datierung von neuzeitlichen archäologischen Fundstellen. Sie ist ab etwa 1650 eine der dominierenden Warenarten unter dem Deutschen Steinzeug und wird bis heute hergestellt.
Erneut im Internet auf Spurensuche
Noch immer nicht befriedigten mich all die Informationen, die ich mir bis dahin beschafft hatte. Fernab antiker Recherche-Methoden bemühte ich wieder das Internet und seine Suchmaschinen und googelte diesmal nach dem Namen, der auf das Fettdibbchen eingeritzt war, nach „I. Tsourouktsoglou“. Warum war ich darauf nicht früher gekommen? Ich ahnte nicht, dass diese Fährte den theoretischen Ansatz des so hellaserfahrenen Freundes Martin erschüttern würde, was die Herkunft des Dibbche betrifft. Zunächst war ich ernüchtert, denn ich hatte nur zwei Treffer. Eine Dorita Tsourouktzoglou, deren attraktives Aussehen ich einige Sekunden bewunderte, weil sie Kassandra ähnlich sah, schloss ich ob ihrer Jugend sogleich aus, denn sie studierte am „King’s College“ in London. Bei der zweiten Stecknadel im digitalen Heuhaufen handelte es sich um einen Dr. Andrew Tsourouktsoglou, Mediziner aus Athen. Diese Spur nahm ich auf, einem mystischen Erkenntnistrieb folgend, schickte ihm per E-Mail die Bilder und die freundliche Anfrage, ob er zu diesem Fund irgendetwas Erhellendes beitragen könne. Ich war bitter enttäuscht, als ich tagelang keine Antwort bekam.
Doch nach vier Wochen traute ich meinen Augen nicht, als ich meinen E-Mail-Account morgens öffnete und in Englisch las (freie, sinngemäße Übersetzung in Auszügen von mir selbst): „Lieber Herr Völker, mein Familienname passt in der Tat zu Ihrer Anfrage. Und der historisch überschaubare Ursprung unserer Familie reicht auf das 19. Jahrhundert zurück. Sie lebte im asiatischen Teil auf dem Gebiet der Türkei in der Nähe der Stadt Smyrna und teilweise in Kappadokia im türkischen Inland. Es gab auch einen Ioannis Tsourouktsoglou wie auf dem Topf erwähnt. Dann schrieb er noch, dass er weiter auf Informationssammlung gehen werde und vor allem eine Mrs. Margot McPherson in Frankreich kontaktieren wolle, deren griechischer Ehemann möglicherweise Licht in die Angelegenheit bringen könne, was aber bis heute nicht geschehen ist. Schließlich bedankte er sich bei mir herzlich, dass ich ihm von dem Fund berichtet habe und er so selbst zur Spurensuche in seiner Familie angeregt worden sei. Ich war wie elektrisiert, auch weil ich auf die Stadt Smyrna gestoßen war, eine der Ursprungsstädte meiner Lieblingsmusik, dem griechischen Blues „Rembetiko“.
Überraschende Erhellungen über den Rothenberger Fund aus Athen
Und wenige Tage später wurde die Sache so rund wie das Fettdibbche selbst, denn der Arzt aus Athen schrieb erneut Verwunderliches, allerdings nicht aus Frankreich, sondern von seiner Mutter stammend: „Hallo, meine Mutter hat mir gesagt, dass der Kaufmann (Pantelis) Tsourouktzoglou tatsächlich ein Mitglied unserer Familie aus Smyrna ist. Er hatte vom späten 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert eine Fabrik in Smyrna, in der Glas und Keramik produziert wurde unter anderem genau die Töpfe, die im Rothenberger Keller gefunden worden seien. Sie selbst habe exakt einen solchen Topf noch heute in der Küche stehen, um die Butter in der Hitze Athens aufzubewahren. Ioannis und sein Bruder Socrates (wobei wir auch wieder bei den antiken Griechen wären), hätten vom späten 19. bis zum frühen 20. Jahrhundert über einen riesigen Verkaufsladen in der Hauptstraße in Smyrna auch Handel mit der grau-blauen Keramik betrieben.“
Spätestens jetzt wurde klar, dass an dem Fettdibbche ein Stück südöstlicher europäischer Geschichte klebt. Vielleicht blieben zum Füllen – mit was auch immer – bestimmte Töpfe aus Smyrna nach der erzwungenen Völkerwanderung der Griechen aus Smyrna im Jahre 1922, die alles aufgeben mussten, in Frankfurt zurück, weil der Handel zusammen gebrochen war. „Der Topf könnte damals als Überproduktion auf der Dibbemess in Frankfurt verkauft worden sein“, merkt Friedhelm an. Übrigens wurden 1922 über eine Million Griechen aus der Türkei umgesiedelt. Griechenland musste eine Flüchtlingsquote von 25 % bezogen auf seine Gesamtbevölkerung verkraften (Europa hat zur Zeit so genannte „Flüchtlingsströme“ von weit unter 1% seiner Gesamtbevölkerung zu ertragen).
Viele der zwangsumgesiedelten Griechen ließen sich in Piräus und Thessaloniki nieder. Es entstanden riesige Elendslager, in denen der Rembetiko, mitgebracht aus Kleinasien, in Tavernen gespielt wurde. Weil die Musik zu leidenschaftlich und aufrührerisch war, wurde sie von den Machthabern zeitweise verboten und die Bouzouki bei Razzien in den Kneipen beschlagnahmt. Da es den Griechinnen und Griechen innewohnt, nicht auf Musik zu verzichten, entwickelten sie eine Mini-Bouzouki, musizierten weiter mit Leidenschaft, und bei Polizeikontrollen konnte das Instrument flugs unter der Jacke verschwinden. Wenn ich heute die Weisen des Rembetiko höre, dann schwebe ich in Melancholie. Ein ähnliches Gefühl empfand ich, als ich das erste Mal das Fettdibbche aus Smyrna in den Händen hielt.
Wie kam der Topf aus Kleinasien nach Rothenbergen?
Erschlagen und gleichzeitig beseelt von den vielen Neuigkeiten widmete ich mich nun der Frage, die mir von Anbeginn ständig durch den Kopf gegangen war: Wie war das griechische Fettdibbche in den Keller der Schnees gelangt? Immerhin hatte ich mich mein ganzes bewusstes Leben mit der griechischen Kultur und Mythologie befasst und treffe nun in meinem Geburtsdorf auf eine griechische Verbindung. Aufklärung konnte nur von Friedhelm kommen und so traf ich mich erneut mit ihm in seinem Haus dem meinigen schräg gegenüber und ein zweites Mal im Landgasthof „Zum Bogen“, zu vertiefenden Gesprächen.
Elsbeth und Friedrich Schnee, die Eltern von Friedhelm, betrieben bis zu ihrem Tod einen kleinen Bauernhof in der Frankfurter Straße im Nebenerwerb. Im Hauptberuf war Friedrich Schmied und ging dieser Beschäftigung viele Jahre in der legendären Schmiede in der Rothenberger Brunnenstraße nach, deren Eigentümer noch heute unter dem Namen „Die Axt“ bekannt ist. Sie hatten den bescheidenen Hof von Friedhelms Großvater, dem Bauern Wilhelm Schnee (1905-1967) und dessen Ehefrau Anna Schnee geb. Marx (1905–1984) übernommen. Der besagte Topf befand sich im Nachlass der beiden. In ihrem Keller hat sich in all den durch zwei Weltkriege bewegten Zeiten viel angesammelt, berichtet Friedhelm. Ein kleines Familien-Museum – mit internationalem Bezug wie der aktuelle Fund zeigt.
Die Schnees haben auch andere griechische Beziehungen
Nicht erst durch diese Entdeckung sind die Schnee‘schen griechischen Beziehungen begründet. Der Großvater war 1944 im II. Weltkrieg, der dem griechischen Volk so viel Elend bescherte, als Soldat in Athen und auf der Insel Kreta. Von dort ging in er in englische Kriegsgefangenschaft nach Ägypten. „Opa hat immer von der Schönheit der Insel Kreta erzählt und fragte sich immer wieder ‚was hatten wir dort zu suchen, konnten wir die Leute nicht in Frieden leben lassen?‘“ „Deshalb habe ich mit meiner Schwester Marion die Insel Kreta in 2014 besucht. Mein Opa hatte, was die Schönheit der Insel betrifft, nicht übertrieben“ sagt Friedhelm.
Dass er das Fettdibbche nach Ende des Krieges mitgebracht hat, ist vor dem Hintergrund der Inschrift „Marie – 1939“ aus zeitlichen Gründen unwahrscheinlich. Darüber hinaus ist eine Verwandte von Friedhelm, Marion Schnee, heute in Griechenland verheiratet, weiß aber von nichts, was das Fettdibbche betrifft. Sie, die bis in die 60er Jahre in Dörnigheim wohnte, hat es aus Liebe nach Griechenland gezogen. Sie betreibt dort seit 1988 mit ihrem Ehemann Theo in Chalkidiki ein Apartment-Hotel.
Ferner lebt eine „Marie“ aus der Großfamilie Schnee in Lieblos, aber die war 1939 ein 4-jähriges Mädchen und warum sollten die Eltern ein griechisches Fettdibbche als Geschenk für Marie mit nach Hause gebracht haben, wo es doch hessische Varianten in Hülle und Fülle gab – auch im Rothenberger Keller der Schnees? Und die 1795 geborene Marie Schnee, geborene Boller, eine Urahnin von Friedhelm, steht wohl außer Verdacht, mit dem Fettdibbche in Verbindung zu stehen.
Hat ein Frankfurter Jockey das Fettdibbche zurück gelassen?
All diese Pfade scheiden auch für Friedhelm aus. Zunächst kann er sich an keine weiteren Einzelheiten erinnern. So verlasse ich ein wenig traurig sein Anwesen. Doch am nächsten Tag besucht er mich erneut und sagt. „Mir is doch was eingefalle.“ Sein Großvater habe in den schlechten Zeiten der frühen 50er Jahre bis in den 60er Jahre des 20. Jahrhunderts eine Freundschaft zu einem Frankfurter Jockey gepflegt, der mit ihm weitläufig verwandt war. Möglicherweise handelt es sich bei Marie um die Mutter des Jockeys. Irgendwann sei Friedhelms Großvater aber auf Distanz zu dem Jockey gegangen, denn er sei immer nur erschienen, wenn geschlachtet worden sei.
Vielleicht hat aber gerade dieser kleinwüchsige und leichtgewichtige Mann aus Frankfurt beim letzten Besuch jenes Fettdibbche mit nach Rothenbergen gebracht, in der falschen Hoffnung, dass es noch einmal mit Wellfleisch oder Fett gefüllt wird und dann vergessen, es wieder mit zu nehmen. „Weil in Rothenbergen bis zum Jahr 1996 noch Hausschlachtung betrieben wurde, ist es durchaus auch möglich, dass der Topf von der Frankfurter Verwandtschaft bereits in den 30er Jahren nach Rothenbergen gebracht wurde um ihn, mit dem damals begehrten Schweinefett füllen zu lassen“, meint Friedhelm. Wir wissen es nicht exakt; auch nicht, wie er in den Besitz gekommen sein kann.
Auch Recherchen im Institut für Stadtgeschichte ergaben nur Hinweise darauf, dass es im ersten Quartal des 19. Jahrhundertes zwischen Smyrna und dem damaligen Deutschen Reich einen intensiven Handelsaustausch gab, unter anderem mit wertvollen Lebensmitteln und Straußenfedern. Über einem speziellen Handel mit gefüllten oder ungefülltem Steinzeug waren jedoch keine Dokumente zu finden.
Aber aus Athen gibt es Neuigkeiten. Andrew Tsourouktzoglou hat die Geschichte des Rothenberger Fundes dem Institut „Estia Neas Smyrnis“ vorgetragen und das hat dort großen Interesse geweckt. Das Institut befasst sich den ökonomischen und kulturellen historischen Fakten der damals in Smyrna lebenden Griechinnen und Griechen. Nach erfolgreichen Recherchen über das in Rothenbergen gefundene Fettdibbchen wurde in Athen ein Ausstellung zu dem Fund organisiert in der auch die Berichterstattung im Gelnhäuser Tageblatt (GT) übersetzt dargestellt wurde. In diesen Tagen wurde speziell hierzu eine Broschüre in Athen veröffentlicht.
So bleibt der Grund für das Auftauchen des griechischen Fettdibbchens in Rothenbergen vorerst weiter im Dunkel der Geschichte.
Radio Kreta – immer wieder spannende Geschichten!
Mehr über Peter Völker findet Ihr hier.
Lieber Peter,
es freut uns immer wieder, wenn man solche Berichte liest und dabei darüber nachdenkt welche Arbeit dahinter verborgen ist.
Bei unseren vielen Reisen durch Kleinasien besuchten wir auch einige Dörfer, die vor 1923, hauptsächlich von Griechen bewohnt waren. Das bekannteste ist Şirince – leider sehr stark vom Tourismus geprägt.
Bei unserem Bummel durch das Dorf (vor 1923 ca. 9.000 Einwohner jetzt noch ca. 500) wurden wir von einer türkischen Familie zum Çay eingeladen. Sie stellten uns stolz ihre anderen Gäste vor:
es waren die Nachkommen der früheren Besitzer ihres Hauses aus Griechenland, die seit einigen Jahren einen freundschaftlichen Kontakt mit der Familie pflegen.
Das hat sicher nichts mit dem „DIPPCHEN“ aus der Kolumne zu tun, aber der Zusammenhang durch Umsiedlung ist doch sehr interessant.
Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass es sich bei der „Zwangsumsiedlung um das Ergebnis des „VERTRAG VON LAUSANNE“ handelt, in dem am 24. Juli 1923 zwischen der Türkei sowie Großbritannien, Frankreich, Italien, Japan, Griechenland, Rumänien und dem Serbisch-Kroatisch-Slowenischen Staat, diese katastrophale Zwangsumsiedlung entgültig festgelegt wurde.
Extra-Gruß Barbara & Jürgen