Am vorvergangenen Sonntag, dem 16.11. fand in Kandanos – nur 5 km vom Radio-Kreta-Tonstudio entfernt – das alljährliche „Raki-Festival“ („Giorti Tsikoudias“ – gr.: Γιορτή Τσικουδιάς) in der Gemeindehalle gleich hinter der großen Kirche statt.
Bei der Ankunft wurde der Gast gleich mal direkt beim „Kasani“-Ofen mit Raki vom Haus incl. Äpfeln und gerösteten Kastanien empfangen. Gratis. Und die Gläschen sollte man doch bitte mitnehmen, da es „drinnen“ ja noch mehr Raki gäbe….
Der Eintritt betrug stolze 12,- Euro für Erwachsene, 6,- Euro für Kinder, der sich allerdings angesichts der aufgetragenen Speisen (Zicklein mit Pilafi, Schweinefleisch mit Kartoffeln und Salat) und Getränke (Raki und Wein „ap´to chorió“ – aus dem Dorf, also hausgebrannt….) inklusive doch recht schnell als prima Investition erwiesen.
Soviel zu den kulinarischen Gegebenheiten dieses Events, kommen wir zur musikalischen Seite:
Angetreten war eine echt kretische „Band“, die einiges zu bieten hatte. Angefangen beim wohl besten „Drummer“ nach Phil Collins über den vermutlich weltbesten Bassisten nach Sting und John Taylor hin zum – und hier kommen wir dann endlich (endlich!!!) zum Thema – dem kretischen Dudelsackspieler!
Der geneigte Leser wird sich nun – ebenso wie wir erst mal – wundern.
Kreta und Dudelsack??! Wie passt DAS denn zusammmen???
Nun, nach einigen Nachforschungen bei den uns begleitenden und anderen kretischen Freunden fanden wir heraus, dass der Dudelsack hier auf Kreta und auch im Rest Griechenlands eine jahrhundertealte Tradition hat.
Auf griechisch heißt der Dudelsack „Askomantoura“ (Ασκομαντούρα). Dieses Wort setzt sich zusammen aus den Worten „Askos“ (´Ασκος – der Sack, die Tasche) und „Mandura“ (Μαντούρα – die Melodiepfeife) und sieht ziemlich genau so aus:
Dieser Dudelsack, ein Mitglied der Familie der Holzblasinstrumente, besteht aus drei Hauptteilen: dem Mundstück, der „Tasche“ und der Pfeife. Die Pfeife ist der komplizierteste Teil und besteht aus einem Holzsockel mit zwei Zungen und der Melodiepfeife an sich.
Für das Mundstück oder Blasrohr (Fouskotari) wird im allgemeinen ein ausgehöhlter Knochen verwendet, da dieser wesentlich stärker ist als Holz.
Die Tasche (askos) wird aus der Haut von einem Zicklein oder einem Lamm gefertigt. Ein Tier von etwa 7 kg wird bevorzugt, da es dem „Sack“ die ideale Größe bietet. Die Haare werden auf eine Länge von ca. ½ cm gestutzt, um eine optimale Akustik zu gewähren.
Die Löcher, die die Hinterbeine hinterlassen, werden ebenso wie das Hinterteil des ehemaligen Tieres zugenäht – ebenso der Hals. Die beiden Vorderbeinöffnungen werden für die Einarbeiung des „Blasrohres“ und der Melodiepfeife offen gelassen.
Die Melodiepfeife wird oft aus Oleander oder Ahorn geschnitzt und zwei Melodiezungen (Kalami) eingearbeitet. Etwaige Öffnungen, die im Holz auftreten können, werden mit Bienenwachs versiegelt. Die Grifflöcher werden meist durch glühende Holzstücke eingearbeitet, um sie völlig rund zu machen.
Zur Askomantoura gibt es auch eine schöne, historisch belegte Geschichte um die Person der Efrossini „Frosso/Frossoula“ Grillaki (Φρόσσω/Φροσσούλα Γρυλλάκη)- die erste, vielleicht auch letzte berühmte Askomantoura-Spielerin Griechenlands bzw. Kretas, deren Geschichte auch eng mit der Geschichte ihres Landes verwoben ist.
Geboren wurde sie etwa 1885, gestorben ist Frosso etwa 1980 im Alter von 95 Jahren. Sie soll eine große, starke, beeindruckende Frau gewesen sein. Sie lebte in Archanes, ihre Familie kam aus Anogia – die rebellische Natur wurde ihr sozusagen mit in die Wiege gelegt. Frosso hatte 5 Kinder.
Efrossini Grillaki war Autodidaktin auf der Askomantoura. Sie hat sich als junges Mädchen beim Schafehüten eine Flöte geschnitzt und geübt, später ein Zicklein geschlachtet und daraus eine Askomatoura gebaut. Wie sie auf die Idee kam, wer ihr dabei geholfen hat? Wer weiß?
Die Enkelinnen erinnern sich, wie sie auf Familienfesten gespielt hat und welche Stimmung dort immer herrschte. Für andere Leute, öffentlich, habe sie nicht gespielt. Dass eine Frau Askomantoura spielte, war absolut ungewöhnlich.
Eine ihrer Töchter wanderte in die USA aus. Als Frosso und ihr Mann sie dort besuchten, nahm sie die Askomantoura mit und spielte auch auf dem Schiff. Der Kapitän hat sich mit diser stolzen und ungebeugten Frau fotografieren lassen – natürlich mitsamt ihrer Askomantoura!
Schade ist, dass wir Frosso nicht mehr persönlich kennen lernen durften. Wundervoll ist allerdings, dass die Kunst des Askomantoura-Spielens immer noch – und zwar von jungen Leuten – weiter gepflegt und zu so schönen Anlässen, wie dem Kandanos´schen Raki-Fest dargeboten wird.
Tradition und Moderne schliessen sich halt nicht grundsätzlich aus!
Radio Kreta – wir machen Musik!
Hallo Su, liest sich gut und im Geiste schmeckt es auch Raki und all das andere!! habt ihr eine Musikempfehlung?
Weiterhin einen guten Winter Rainer