Drogendealer auf Kreta 17.11.2007, 18:39 – Von Christiane Schlötzer. Das kretische Bergdorf Zoniana auf dem Psiloritis hat sich in Jahrzehnten zu einem Zentrum des Drogenhandels entwickelt – mit Haschischbaronen, vor denen sich die Polizei fürchtet.
Der Kreter Manolis Kavalos verfolgt in traditioneller kretischer Kleidung die Polizeirazzia im Dorf Zoniana.
Da gab es diesen Heldenmythos, das war wie ein Schutz, und wenn der nicht reichte, dann haben die Mafiosi aus den kretischen Bergen nachgeholfen, mit Minen und Kalaschnikows. „Kreta oder Kolumbien?“
So fragen griechische Zeitungskommentatoren nun entsetzt, wenn sie zu begreifen versuchen, wie es sein kann, dass ein Bergdorf auf der Ferieninsel Kreta seit Jahrzehnten nach ganz eigenen Gesetzen lebt, „außerhalb des Staates“, wie Regierungssprecher Theodoros Roussopoulos freimütig zugibt.
Mit Haschischbaronen, vor denen sich die Polizei fürchtet, mit Drogendealern, die Luxusvillen mit Swimmingpool und Hanf-Trockenanlage in die raue Berglandschaft setzen.
Eigentlich könnte der Ort Zoniana, in 640 Metern Höhe auf dem Psiloritis, dem höchsten Bergmassiv Kretas gelegen, eine europäische Mustergemeinde sein. Er hat die höchste Geburtenrate der EU, wie das Blatt To Vima vermerkt. Das liegt wohl an der Abgeschiedenheit des 1600-Einwohner-Dorfes, wie an alten Sitten.
Der junge griechische Wissenschaftler Aris Tsantiropoulos fand hier Frauen, die mit 35 Jahren schon Großmütter sind, nachdem sie als Fünfzehnjährige den vom Vater ausgewählten Mann ehelichten. Tsantiropoulos hat die Gebräuche in der Gebirgsgegend in den 1990er Jahren studiert. Seine Studie ist jüngst erschienen – passend zu den aktuellen Ereignissen in Zoniana.
In der vergangenen Woche war die Polizei nach der Festnahme eines mutmaßlichen Drogendealers in der kretischen Stadt Rethymnon zu einer Razzia nach Zoniana aufgebrochen, in einem Konvoi mit rund 40 Beamten. Die hatten das Dorf noch nicht erreicht, da wurden sie beschossen.
Drei Polizisten wurden verletzt, einer schwer, mit einem Schuss in den Hals. Damit hatten die Mafiosi offenbar eine rote Linie überschritten. Der griechische Polizeichef Anastassios Dimoschakis sandte zwei Tage später in einer filmreifen Aktion Spezialtruppen aus Athen in das Dorf. Auf der Suche nach Hasch wurde man sogar auf dem Friedhof fündig, es gab 20 Festnahmen.
30 Kilometer nördlich der kretischen Hauptstadt Iraklion, ein Ortsschild von Zoniana, wie überall auf Kreta ein traditionelles Übungsziel für Gewehrschüsse. (Foto: )
Inzwischen hat Generalstaatsanwalt Georgios Sanidas verlangt, alle Drogendelikt-Verfahren vor kretischen Gerichten seit 1995 zu überprüfen. Falls sich dabei auffallende Milde zeigen sollte, wäre auch die Justiz der Komplizenschaft verdächtig. Die gesamte Polizeiführung von Rethymnon wurde jetzt bereits ausgewechselt.
Das Parlament in Athen will auch mögliche Verbindungen von Politikern zu den Drogenbauern untersuchen. Und Innenminister Prokopis Pavlopoulos kündigte die Einrichtung eines Polizeireviers in Zoniana an, wobei er das Reizwort „Polizei“ allerdings vermied und lieber von einem „lokalen Verwaltungsgebäude“ sprach, das auch eine medizinische Ambulanz enthalten soll.
Pikant an der Sache: Ausgerechnet der konservative Innenminister hat einst geholfen, den Ruf Zonianas als Rebellendorf zu festigen. 1998 wollte die damalige linke Pasok-Regierung die isolierte Gemeinde mit anderen verschmelzen.
Die wehrte sich, der damalige Oppositionspolitiker Pavlopoulos unterstützte sie dabei. 2004, als die jetzige Regierungspartei Nea Dimokratia an die Macht kam, erklärte er den Rebellen-Ort triumphierend zur unabhängigen Gemeinde. Einige Dörfer müssen dies zumindest missverstanden haben – als Einladung, mit ihren eigenwilligen Drogen- und Waffengeschäften weiterzumachen.
Wer sich den mächtigen Kriminellen verweigerte und den Konsens des Schweigens brach, dessen Haustür sei schon mal von Kugeln durchsiebt worden, erzählen jetzt Leute aus dem Ort. Die Einschüchterung tat ihre Wirkung. Zeugen wollten vor Gericht plötzlich nicht mehr aussagen, wenn es zu Verfahren kam.
Prozesse schleppten sich so über Jahre dahin. Vor Razzien wurden die Rauschgifthändler offenbar regelmäßig gewarnt. Ihre Wahlurnen gaben sie stets einen Tag später ab als andere Gemeinden. Die Dorfjugend gewöhnte sich an das große Geld und prahlte mit Geländewagen, oft ohne Nummernschild. Schon Schüler erschienen bewaffnet im Unterricht. All das kann man jetzt erfahren.
Polizisten weinen vor einem Krankenhaus in Iraklion um ihre verletzten Kollegen, auf die bei einer geplanten Drogenrazzia bei Zoniana geschossen wurde.
Als niederländische Dealer, Hauptabnehmer für das Haschisch, begannen, teilweise mit Kokain zu bezahlen, wurden die kretischen Kriminellen noch reicher, wie Kathimerini berichtet. Dorfbewohner, die das nicht mehr mitansehen wollten, gingen weg.
In diesem Jahr soll die Haschischernte in Griechenland besonders üppig ausgefallen sein, und die größten Felder soll es auf Kreta geben. Plantagen gab es angeblich aber auch auf dem Peloponnes, wo einige in den großen Waldfeuern im Sommer aufgingen. Es gibt Spekulationen, dass sie angezündet wurden, von wem auch immer, und dass dies sogar einige der Brände auslöste.
Haschischkonsum ist in Griechenland weit verbreitet – und illegal, wie fast überall in Europa. Nur wird die Droge in Hellas auf spezielle Weise romantisiert. In den Texten der rauen Rembetika, des griechischen Tavernenblues aus dem vergangen Jahrhundert, wird der Hanfgenuss, von dem man schon in der Antike wusste, häufig besungen. Griechische Gesundheitsexperten warnen, dass der Stoff immer stärker werde und die Pflanzen heute toxischer seien als früher.
Zoniana gehört zu jenen kretischen Dörfern, die allen Eroberern der Insel besonders hartnäckig widerstanden, den Osmanen wie den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg.
Dieser Heldenmythos hat einen festen Platz im Geschichtsgedächtnis Kretas, wo man Rebellen seit jeher liebt, und wo es mehr als eine halbe Million unregistrierte Waffen geben soll. Nun fürchten die Kreter um den Ruf ihrer Insel, weil aus glorifizierten Rebellen gewöhnliche Kriminelle geworden sind. „Scham“ sei angebracht, schrieb Kathimerini.
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