Ein deutsches Plädoyer für SYRIZA

Prof. Dr. Dieter Otten, Universität Osnabrück:

Die griechische SYRIZA(*) Partei verdient eine echte Chance für ihren Reformkurs zur Rettung der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft.

Ein Plädoyer

Dieter mit Rettungsschirm zu Gast bei Radio Kreta

Einer der führenden SYRIZA Politiker neben Spitzenkandidat Alexis Tsipras ist Dr. John Milios, Professor für Politische Ökonomie an der TU in Athen. Er ist das wirtschafts- und sozialpolitische Gesicht der Partei, die gute Chancen hat, die Neuwahlen am 25. Januar 2015 in Griechenland zu gewinnen. Prof. Milios ist Absolvent unserer Universität Osnabrück, wo er zum Dr. rer. pol. promovierte, an dem Fachbereich, an dem auch ich bis 2008 gelehrt habe. Seit nun mehr als 7 Jahren bin ich in Griechenland als Unternehmer tätig und habe mit Partnern Millionen Euro in den Ausbau der Infrastruktur investiert. Mit der eher seltenen Kombination als Soziologe und Unternehmer in Griechenland traue ich mir gewisse Kenntnisse Griechenlands und seiner wirtschaftlichen Probleme zu. Dieses Zusammentreffen veranlasst mich nun zu einem Plädoyer für strukturelle Veränderung in Griechenland und einen Wahlerfolg der Linkspartei SYRIZA.

1. Weder Grexit noch Chaos: Hiesige Medien und Politiker lassen den Eindruck entstehen, als ginge es bei den Neuwahlen primär um den Ausstieg Griechenlands aus dem Euro. SYRIZA aber strebte nie einen Austritt aus dem EURO oder der EU an. Dem Linksbündnis geht es, wie John Milios immer wieder erläutert hat (DIE ZEIT, 3/2015, S. 30) darum, die Verträge Griechenlands mit EU und IWF neu zu verhandeln und mit der bisherigen Sparpolitik Schluss zu machen. Dieses Ansinnen bedroht weder Euro noch die EU. Europa kann nicht weiter zusehen, wie ein Mitgliedsland in Armut versinkt. Überprüfung und Korrektur der Sparpolitik sind das Mindeste. Nachdem alles andere ins Leere gegangen ist, sollte der Vorschlag von SYRIZA eine faire Chance haben und nicht plump verteufelt werden. Das gilt auch für den für Griechenland erforderlichen Versuch, die Schuldenlast des Landes zu vermindern. Es ist in der Tat »traurig«, wie John Milios sagt, dass die Diskussion darüber von der EU verweigert wird, denn machbar wäre vieles, wie die derzeitige Diskussion unter Ökonomen zeigt (s.a. Manager Magazin Januar 2015).

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Jannis Milios ist Professor für Politische Ökonomie an der Universität NTUA in Athen. Er studierte Ingenieurswissenschaften und Wirtschaft an den Universitäten Osnabrück, Darmstadt und Athen.
In zahlreichen Texten befasst Milios sich insbesondere mit der Geschichte des ökonomischen Denkens, den Finanzmärkten und der Entwicklung des Kapitalismus. Seit einigen Jahren ist er einer der wirtschaftspolitischen Köpfe des griechischen Linksbündnisses Syriza.

2. Echte Reformen: Hierzulande wird so getan, als brauche Griechenland den Sparzwang um sich zu reformieren. Sicher, es hat unter der bisherigen Regierung einige Anläufe gegeben, aber im Ergebnis ist nichts passiert, nicht einmal auf dem Sektor einer gerechten Steuerpolitik. Wie kann man Steuerehrlichkeit von den Bürgern erwarten, wenn Oligarchen keine Steuern zahlen und der Staat sich selbst nicht an die Regeln hält. Griechenland braucht dringend echte Reformen im Bildungswesen, im Gesundheitswesen, in der Strukturpolitik und im Energiewesen. In all den Jahren, in denen ich in Griechenland arbeite, ist nichts Durchschlagendes geschehen. Jeder Grieche in meinem Umfeld würde gerne etwas tun, aber das Land tritt auf der Stelle. Eine SYRIZA Regierung hat die Chance verdient, zu zeigen, dass sie es kann. Zumindest ist sie nicht mit den Eliten so verfilzt, wie das herrschende politische Establishment. Das allein ist schon ein guter Anfang.

3. Griechenland braucht einen »Neuen Marshallplan«: Die bisherige Politik der Troika hat Athen mit Milliarden Krediten versorgt, aber Griechenland dennoch in einen Sog von Krise und Armut gezogen. Jeder weiß, dass das Geld nicht der Realwirtschaft gedient hat, sondern der Schuldentilgung. Das dringend benötigte Kapital für einen griechischen Aufschwung aber kommt in der Realwirtschaft nicht an. Griechenland muss jedoch riesige Anstrengungen zur Modernisierung der Infrastruktur, insbesondere im Energiebereich, auf sich nehmen. Das allein schon wäre ein gigantisches Konjunkturprogramm. Das Land braucht aber auch dringend Impulse für die mitteständischen Betriebe – nicht zuletzt in der IT Branche und anderen neuen Technologien. Hier liegt der größte Wachstumsimpuls. Aber es passiert nichts. Wo die Kapitalmärkte dermaßen versagen, muss eine globale europäische Globalsteuerung stattfinden. Seit Jahren wird von Regierenden in der EU immer wieder von einem »europäischen Marshallplan« geredet, der Griechenland Hilfe zur Selbsthilfe geben soll – auch und nicht zuletzt von Finanzminister Schäuble.

Was ist geschehen? Nichts – leider. Eine neue Regierung in Athen aber, die die Finger in die Wunder der bisherigen Europäischen Politik legt und den Mumm hat, Widerstand gegen den größten Unfug neoliberaler Politik zu leisten, die kann und sollte bei den kommenden Verhandlungen um eine Neuordnung der europäischen Griechenlandpolitik auch einen neuen Marshallplan durchsetzen. Ich setze darauf, dass eine SYRIZA Regierung die Kraft hat, das zu tun, und so wie ich John Milios verstehe, hat sie auch den Sachverstand dafür. Wer sonst noch sollte das zustande bringen? Alle anderen politischen Alternativen hatten Chancen genug – und haben sie vertan.

4. Auf den Wandel setzen: Als Politiker und Unternehmer, die sich dem Prinzip der sozialen Marktwirtschaft verpflichtet fühlen, sollten wir uns offen für soziale Verbesserungen und wirtschaftlichen Aufschwung in Griechenland einsetzen. Heute heißt das, ob man sie mag oder nicht, Alexis Tsipras und John Milios bei ihrem Reformkurs zu unterstützen. Man könnte Frau Merkel zitieren und sagen, das sei alternativlos für Griechenland. Und in der Tat, so scheint es.

Natürlich ist nicht garantiert, dass SYRIZA die Verhältnisse in jedem Fall verbessern kann. Aber eines ist garantiert sicher: Wenn sich die Verhältnisse in Griechenland verbessern sollen, dann muss sich das Land verändern. Eine von Alexis Tsipras geführte Regierung scheint mir derzeit die beste Chance dazu.

Dieter Otten

(*) Anm. d. Red: SY.RIZ.ASynaspismós tis Risospastikís Aristerás (gr.: ΣΥ.ΡΙΖ.ΑΣυνασπισμός τις Ριζοσπαστικής Αριστεράς) = die Koalition der radikalen Linken


streamplus.de

Solarenergie auf Kreta – Hyperion-1 in Sitia – Ein Interview mit Prof. Dr. Otten.
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Prof. Dr. Dieter Otten, University of Osnabruck

The Greek SYRIZA party deserves full support for their reform policy necessary to save Greek economy and society

One of SYRIZA’s leading political figures next top candidate Alexis Tsipras is Dr. John Milios, Professor of Political Economy at the University of Athens. Some newspaper call him the »economic and socio-political interface« of the party which has a good chance to win the elections on 25 January 2015 in Greece. Prof. Milios is a graduate of the University of Osnabruck, where he was graduated at the same Department, where I used to teach Sociology until 2008. For more than 7 years now I am active as entrepreneur in Greece and invested with partners millions of euros in the expansion of Greek infrastructure. With this rather rare combination as a sociologist and entrepreneur in Greece I think I know a little bit of Greece and its internal economic problems. This coincidence now leads me to a plea for an electoral success of the Left Party SYRIZA in order to support their strategies of structural change. This is in my opinion necessary to help Greece to come out of the deadlock.

1. Neither Grexit nor Chaos: The German media and politicians give the impression as if the elections in Greece are primarily about getting Greece leaving the euro. But SYRIZA never aspired to an exit from the euro or the EU. Like John Milios explained recently (DIE ZEIT, 3/2015, p 30), the Left Alliance is determined to renegotiate the contracts of Greece with the EU and IMF and to stop the on-going austerity policy. This request will not jeopardize the Euro or the EU. Europe cannot continue to ignore a member country sinking into poverty. Review and correction of the austerity is the absolute minimum we have to do. After everything else has gone into the void, the proposal of SYRIZA should have a fair chance and should not be demonized. This also applies to those attempts to reduce the debt burden of the country. It is indeed “sad,” as John Milios says, that the discussion is refused by the EU because many solutions are feasible and possible as the recent discussion among economists shows (see Manager Magazin, Jan 2015)

2. In Greece the right reforms are needed: In some European member states the public opinion pretends as if Greece needs the rigor of austerity to reform itself. Sure, there have been several efforts under the former governments, but as a result, nothing happened, not even on the sector of tax policy. How to expect citizens to respect tax laws when oligarchs do not pay taxes and the state bureaucracy does not hold the rules. Greece desperately needs real reforms such as in education, healthcare, and in infrastructure like the energy sector. In all the years that I have been working in Greece, nothing has been done in this respect. Every Greek around me would like to do something, but the country is on hold. A SYRIZA government has earned the chance to show that they can really do something. At least they are not so much mixed with the socio-economic oligarch elite like the ruling establishment. That alone is a good start.

3. Greece needs a “new Marshall Plan”: The current policy of the Troika has provided billions of credit but Greece nevertheless was drawn into a maelstrom of crisis and poverty. Everyone knows that the money did not serve the real economy, but was spend within the circle of finance capital only. The investment capital so much needed for a Greek revival does not get into the real economy. However, Greece has a big burden to modernize the infrastructure, particularly in the energy sector. That alone would be a gigantic economic program and stimulus. But the country also needs an urgent impetus for the medium size economy – in the IT industry and other emerging technologies. Here lies the greatest momentum for growth and employment. But nothing happens. If the capital markets fail in such a way a global European economic steering policy is needed. Since years, EU leaders repeatedly talk about a “European Marshall Plan” for Greece to support the country to help itself – last but not least by German Finance Minister Schäuble.

What has happened? Nothing – unfortunately. A new government in Athens, however, that is naming out the mistakes of the recent European policy and has the guts to criticize the greatest mischiefs of neoliberal politics will be able to accomplish a New Marshall Plan in the upcoming negotiations for a reorganization of Europe’s Policy towards Greece. I am confident that a SYRIZA government has the power to do that, and as I understand John Milios, they also have the expertise for that. Who else should do it? All other political alternatives had enough chances and they have lost.

4. Backing the Change: Politicians and entrepreneurs, who are committed to the principle of the social market economy, should promote the chances for social improvement and economic growth in Greece. Whether you like them or not, this means to support Alexis Tsipras and the SYRIZA in their reform policy for Greece. One could quote Chancellor Merkel and say that there is no alternative for Greece at this moment. And in deed that is how it looks like.

Of course there is no guarantee that SYRIZA can improve the country’s conditions in each case. But one thing is guaranteed for sure: If you want to improve conditions in Greece, then the country definitely has to change. Currently a government led by Alexis Tsipras seems the best card in the game.

Dieter Otten

Dieter Otten

3 Kommentare

  1. Ich finde den Artikel gut und richtig und wir alle die Griechenland ehrlich und die Bevölkerung schätzen, müssen jetzt die Fehlinformationen welche jetzt durch die Medien und durch Politiker welche diese Misere verschärft haben bekämpfen.

  2. Wenn drei Viertel der Griechen keinen Grexit wollen, warum sollten sie dann Syriza wählen?

    Die Kernaussage von Syriza scheint mir zu sein: Wenn Ihr uns wählt, holen wir bei Neuverhandlungen mit der EU bessere Konditionen heraus, namentlich einen Schuldenschnitt (= jede Menge Geld von den anderen EU-Bürgern). Das kann offensichtlich nicht funktionieren, denn wenn Tsirpas das könnte, könnten das Samaras & Co. auch (ich habe noch keinen Politiker gesehen, der auf ein paar Milliarden mehr in der Kasse verzichtet hätte).

    (Interessant auch die Attribution. Da hat man seit sieben Jahren „Millionen“ in Griechenland investiert und könnte, wenn überhaupt, mit der Bezeichnung „Unternehmer“ glänzen, aber greift stattdessen lieber auf die Reputation nicht nur seines früheren Berufes, sondern auch noch der gesamten nichtsahnenden Universität zurück.)

  3. Professor Otten hat Recht! Es ist bereits zu viel Zeit vergangen und entscheidenen Reformen in Griechenland haben nur dürftig stattgefunden. Sollte eine SYRIZA-Regierung die Geschicke Griechenlands in den nächsten Jahren verantworten, so wird es nicht zum GREXIT kommen, denn über 3/4 der Griechen wollen dieses Szenario z.Z. ebenfalls nicht. Satt dessen besteht nun die Chance zu einem umfassenden und notwendigen Neuanfang in der griechischen Ökonomie und Gesellschaft (z.B. ein europäisch-griechischer Marshall-Plan). Diese Chance sollte, nein MUSS genutzt werden! Eine Garantie gibt es wie immer nicht. Dennoch könnte der „nationale Stillstand“ mit zukünftig mehr Geld für die Realwirtschaft in wenigen Jahren überwunden werden; zu Wünschen wäre es!
    Viel Glück, Griechenland!!!

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