Euros nach Athen tragen
VON JOHANN VOLLMER
Da sind sie wieder, die alten Vorurteile. Der Grieche ist Südländer und somit faul, kann nicht mit Geld umgehen, und wenn er kocht, kommt am Ende immer nur Souvlaki raus. Ich kann es nicht mehr hören. Statt unsere Nachbarn in der Krise allein zu lassen, sollten wir Euros nach Athen tragen. Oder besser noch: auf zum Solidaritätsurlaub nach Griechenland.
Wer sind wir denn, dass wir den Griechen mit ihren geschätzten 350 Milliarden Euro Schulden Vorhaltungen machen können? Deutschland lebt seit Jahrzehnten über seine Verhältnisse und steht selbst mit 1,9 Billionen Euro in der Kreide. Das ist so unglaublich viel Geld, dass man – wäre es in Eine-Million-Euro-Säcken verpackt – auf der Strecke von Berlin bis Athen locker auf jeden Meter einen dieser Säcke stellen könnte.
Dank des Euros und der offenen Grenzen in Europa liegt Griechenland praktisch vor unserer Haustür. Die Sommersonne, das fantastische Essen, die herrlichen Inseln – das wollen wir regengeplagten Deutschen doch auch weiterhin genießen. Jetzt nicht zu helfen wäre das gleiche, als würde ich meinem Nachbarn meine Leiter zum Kirschenpflücken verweigern und mich nachher darüber beschweren, dass ich keine Marmelade abbekomme.
Der Vertrag von Maastricht ist die größte Friedenserrungenschaft seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Er sieht in seinen harten Regeln schlichtweg nicht vor, dass ein Euroland einfach fallengelassen und aus der Währungsgemeinschaft rausgeschmissen wird. Wenn es um uns einmal schlecht bestellt ist, hoffen wir doch auch, dass unsere Freunde uns beistehen. Solidarität ist keine Einbahnstraße. Die Herzlichkeit der Griechen ist legendär. Die Deutschen gelten in Europa dagegen als hart und kompromisslos. Es wird Zeit, dass wir ein besseres Bild abgeben.
Quelle: NW-News.de