Sprechen wir doch mal über Deutschland!
Ich kann mich gut an die Zeit erinnern, als in Griechenland die ersten Proteste gegen die aufgezwungene Austeritätspolitik begannen. Damals erschien ein Foto von einer alten Frau mit einem Plakat von Angela Merkel samt einem Hitler-Schnurrbart auf der Oberlippe der Kanzlerin. Ich war damals enttäuscht von diesem Klischee, das einfach nicht gerechtfertigt schien. Es gibt sicherlich viel an Frau Merkel zu kritisieren, aber ein Vergleich mit Hitler gehört einfach nicht dazu. Die Tatsache, dass diese alte Frau wahrscheinlich die deutsche Besatzung und Gräueltaten deutscher Soldaten gegen die griechische Zivilbevölkerung erlebt hat, diente als mögliche Erklärung. Fünf Jahre später befürchte ich, dass ich zu oberflächlich mit dem Foto umging und die Botschaft nicht hinterfragte. Von Mathew D. Rose[*].
Das Plakat war wahrscheinlich kein Kommentar über Frau Merkel, sondern über die wachsende Hegemonie Deutschlands in der EU und vor allem in Griechenland. Wenn das die Botschaft des Plakates war, dann lag die alte Frau damals goldrichtig. Griechenland hat in den vergangenen fünf Jahren leider die Konsequenzen dieser politischen Entwicklung am eigenen Leib erleben müssen. Die humanitäre Katastrophe dort hat in der Zwischenzeit unerträgliche Dimensionen erreicht.
Was gegenwärtig in Griechenland geschieht ist wahrhaftig eine Revolution, auch wenn die Medien diesen Begriff peinlichst vermeiden. In Griechenland fand ein politischer und sozialer Umsturz statt. Die alte politische Kaste wurde aus dem Amt geworfen und die neue griechische Regierung wird von einer Partei mit einem wahren linken Programm geführt – zum ersten Mal in der Geschichte der EU. Die neue Regierung will nun nicht nur gegen die mächtige Klasse der Oligarchen und ihre politischen Handlangern, sondern auch gegen das aufgezwungene Austeritätsprogramm und die neoliberalistischen Kräfte, die das Land bestimmen, vorgehen. Wir beobachten vor allem auch Revolution gegen die deutsche Hegemonie und Deutschlands reaktionäre Politik gegen linke Parteien in Europa. Auch wenn gerne versucht wird, der Troika, der Euro-Gruppe oder kleineren EU-Staaten die Verantwortung in die Schuhe zu schieben, kann es keinen Zweifel daran geben, dass dies ein frontaler Angriff auf Deutschlands Rolle in Europa ist.
Das wird sicherlich viele Deutsche überraschen, die glauben, dass “wir die Guten sind” und überall Demokratie und Gerechtigkeit fördern. Es gibt aber einen wachsenden Groll in vielen EU-Ländern, die unter den Konsequenzen der deutschen Politik der Austerität leiden; eine Politik, die außerhalb Deutschlands als diskreditiert gilt und als pathologische Besessenheit der Deutschen angesehen wird.
Auffällig ist die Tatsache, dass das, was ursprünglich ein ökonomischer Konflikt war, zunehmend ein nationalistischer Konflikt wird. Dass die Eurokrise nicht durch verschwenderische Regierungen, sondern durch die Rettung und Rekapitalisierung von Privatbanken verursacht wurde, wird im Diskurs der politischen Klasse der EU einfach ignoriert. Die Verluste der irischen und spanischen Privatbanken wurden einfach dem Staat übertragen – unter Zwang. Die Gläubiger dieser Banken waren hauptsächlich Banken aus Deutschland, Frankreich und Großbritannien. Ohne diesen Bailouts seitens der irländischen und spanischen Regierungen wären diese Banken wie Lehmann Brothers davor bankrottgegangen. Das heißt, dass Iren und Spanier nun die Zeche dafür zahlen müssen, dass Banken der EU- Großmächte, die sich verzockt hatten, gerettet werden mussten. Damit wurden Deutschland, Frankreich und Großbritannien vor einer schweren finanziellen Krise gerettet. Irland und Spanien wurden jedoch Schulden aufgebürdet, die sie nie zurückzahlen können.
Griechenlands Problem waren nicht ihre Banken, sondern die Schulden, die das Land aufgenommen hatte. Diese Darlehen hat Griechenland von fahrlässigen Banken erhalten, die dort eine viel höhere Rendite bekamen als zum Beispiel in Deutschland, allerdings aus Gier das Risiko ignorierten. Wesentliche Gläubiger des griechischen Staates vor der großen „Rettung“ waren deutsche und französische Banken. Diese Forderungen sind nun von den Privatbanken über Griechenland auf die Staaten der Eurozone übergegangen.
Es war wohl vor 2009 kein Geheimnis, dass Griechenlands politische Klasse die finanziellen Strukturdaten manipulierte. Doch das Land war ein guter Kunde für deutsche Exporte, besonders Waffen – ein Geschäft, das, wie wir heute wissen, mit Bestechungsgeldern begünstigt wurde. Deswegen schaute die deutsche Regierung gerne weg – bis die Finanzkrise kam.
Der Mythos, dass Griechenland von der EU „gerettet“ wurde, ist genau das: Ein Mythos. Das meiste Geld kam nie in Athen an, sondern floss an deutsche und französische Banken, deren Existenz durch ihr Griechenland-Abenteuer bedroht war. Sie wurden gerettet. Das einzige, was die Griechen erhielten, waren neue Schulden.
So ist es auch geblieben. Die deutsche, französische und britische Regierung entschieden sich, die Vormachtstellung ihre Banken zu schützen und die Rechnung dafür vergesellschaftet. Dies war wahrscheinlich eine der größten Umverteilungen in der Geschichte Europas. Die Kehrseite ist die humanitäre Katastrophe für Millionen von EU-Bürgern.
Deutschland will diesen Diskurs jedoch nicht führen. Hier werden die Banken zumindest von der Politik mit Ehrfurcht wahrgenommen und die Regierungspolitik wird zum größten Teil durch die Wirtschaft diktiert. Auf der anderen Seite erheben die Deutschen jedoch auch einen sehr hohen moralischen Anspruch an sich selbst und andere. Doch was hat die politische Klasse Deutschlands getan? Assistiert von den Medien, griff sie auf wohlbekannte Hilfsmitteln zurück: Nationalismus und Rassismus. Es ging nicht mehr um gierige, fahrlässige, lügende, korrupte Banken, sondern gierige, fahrlässige, lügende, korrupte Südeuropäer. Man vergisst zu gern die Tatsache, dass, als die Krise begann, das Verhältnis Nettoschulden zum BIP in Irland bei 12 Prozent, in Spanien bei 26 Prozent und in Deutschland bei 50 Prozent lag.
Tragisch ist, wie erfolgreich diese populistische Strategie in allen Klassen der deutschen Gesellschaft ist. Dass Deutschland der große Profiteur dieser Krise ist, will in Deutschland niemand sehen. Laut der Bundesbank hat die Bundesregierung dank der niedrigen Zinsen für Staatsschulden bis Ende 2014 152,4 Milliarden Euro an Zinszahlungen gespart. Diese niedrigen Zinsen sind eine direkte Folge der Krise. Der schwache Kurs des Euros durch die Krise nutzt vor allem Deutschlands exportorientierter Wirtschaft. Kein Land hat so von dieser Krise profitiert wie Deutschland, dass durch die Krise zum Hegemon der EU katapultiert wurde.
Leider, Nationalismus fördert Nationalismus, was nun zu einem wesentlichen politischen Problem werden könnte. Bisher waren die EU-Bürokraten und die Banken für viele Europäer nicht gerade greifbare Schuldige für diese Fehlpolitik – Deutschland nun schon. Die gegenwärtige Kompromisslosigkeit der deutschen Regierung gegenüber Griechenland bestätigt diese Wahrnehmung von der Arroganz und Gier Deutschlands. Diese Tendenz entwickelt sich rapide.
Die griechische Regierung hat bisher auf der politischen Bühne brillant agiert. Sie hat ein klares humanitäres Programm präsentiert, verbunden mit dem Ziel, Korruption und Steuerfreiheit für die Reichen anzugehen. Dadurch hat sie natürlich auch den moralischen Vorteil gewonnen. Die neue griechische Regierung hat auch klare Schritte zur Umsetzung vorgestellt und gewisse Kompromisse angeboten. Kurz, sie hat den Geist der EU ans Licht gebracht. Bisher hat die Euro-Gruppe, auffällig geführt von Deutschland, ausschließlich dasselbe gefordert: Griechenland muss die alten Bedingungen der Austeritätspolitik akzeptieren. Mit anderen Worten: Kapitulation oder Niedergang.
Doch Syriza ist keine sozial-demokratische Partei, die keine Skrupel hat, ihre Wähler zu verraten. Syriza vertritt ein Programm von Demokratie und Reformen – allerdings mit der gegensätzlichen Konnotation von dem, was die reaktionäre deutsche Regierung darunter versteht. Die deutschen Vorstellungen konnte man in den vergangenen fünf Jahren in Griechenland sehen.
Diese Entwicklung könnte eine wesentliche Rolle in den kommenden Wochen spielen. Sollte Deutschland seine Position nicht aufweichen und Griechenland in die Insolvenz und aus dem Euro treiben, wird dies allen Anti-Austeritäts-Parteien, links wie rechts, Aufwind geben. Diese Parteien werden, wie es Deutschland schon vorgemacht hat, einen ökonomischen Konflikt zu einem nationalistischen Konflikt umwandeln, bloß mit dem anderen Blickwinkel: Die repressiven, geld- und machtgierigen Deutschen, die, wie vor 75 Jahren, Europa ausplündern. Da die Anti-Austeritäts-Bewegung in Spanien, Frankreich und Italien ohnehin auf dem Vormarsch ist, kann dies diese Tendenz nur verstärken. Bald könnten es Deutschland und seine Paladinen in der EU vielleicht nicht mehr nur mit einem rebellierenden Griechenland zu tun haben.
Die Entscheidung von Griechenlands neu eingeführtem Premierminister, Alexis Tsipras, in seiner ersten Amtshandlung Rosen auf dem Denkmal eines ehemaligen Konzentrationslagers niederzulegen, in dem die Deutschen 1944 200 griechische Kommunisten erschossen hatten, war subtil, vielleicht jedoch auch wegweisend wohin dieser Konflikt führen wird.
[«*] Mathew D. Rose arbeitet seit fast einem Vierteljahrhundert als investigativer Journalist für Organisierte Politische Kriminalität in Deutschland. Er schreibt ebenfalls über Politik, Wirtschaft und Finanzen.
Erschienen bei NachDenkSeiten – Die kritische Website.
Natürlich hätte man den Griechen keine Panzer und U-Boote verkaufen dürfen, aber wie hätten die stolzen Griechen darauf reagiert ? Sie hätten sie eben von anderen gekauft !
Die deutsche Regierung hätte das auch nicht verbieten können, denn GR ist EU-Mitglied ! Sie konnte auch den Banken nicht verbieten, den Griechen Geld zu leihen ! Inzwischen macht das ja auch keiner mehr, wenn die EZB das nicht mehr verbürgt – nicht mal für gute Zinsen ! Sind also die Banken schuld ?
Die Rettung der Banken – auch der griechischen – war das kleinere Übel, denn die Katastrophe – auch die humanitäre – wäre noch viel größer gewesen, wenn man das nicht getan hätte. Wir stehen jetzt erneut vor dieser Entscheidung, wenn Tsipras den Grexit in Kauf nimmt, die griechischen Banken kein Geld mehr bekommen und damit auch die Kunden nicht ! Dann helfen auch keine Demonstrationen und Durchhalteparolen mehr !
Wenn man das ausführliche Interview mit Tsipra im heute erschienenen STERN liest, dann hat er bereits überreizt und alle Sympathien verspielt – nicht nur bei Schäuble !
Der Autor hat es leider unterlassen, seinen Satz „Griechenlands Problem waren nicht ihre Banken, sondern die Schulden, die das Land aufgenommen hatte“ weiter zu hinterfragen. Fahrlässig waren weniger die kreditgebenden Banken, sondern der Staat GR, der damit statt Investitonen z.B konsumptive Ausgaben in einen aufgeblasenen Staatsapparat finanziert hat. Jetzt mit dem Finger auf die EU und vorrangig auf Deutschland zu zeigen ist genauso billlig wie Vergleiche des aktuellen Deutshland mit der Nazi-Zeit. Der realistische Blick in den Spiegel würde GR eher gut tun.
Was die EU Griechenland anbietet ist kurz übersetzt : Wir bezahlen euch den Strick mit dem ihr euch aufhängen könnt