DER CLIO DES MIRON
Etwas über das Autofahren auf Kreta, Text: Paul Gourgai, Bilder: Redaktion.
Es war noch nicht einmal eine ganze Stunde vergangen, seit wir in Kreta gelandet waren, als wir bereits von einem dicken halbverrückten Mann geherzt und umarmt wurden. Zu fünft standen wir da am Tresen, die Wirtin, Miron (1) der Glatzkopf, Vangelis der ausgeflippte Kreter, Maex (2) und ich, und kippten einen Tsikoudia, einen überaus aromatischen Tresterschnaps, dessen sanfte Wärme sich wohlig in unseren Mägen ausbreitete.
Wie all dieses?
Nun, möchte man eine Kausalkette zwischen all den vorgängigen Ereignissen bis hin zu dieser Situation knüpfen, so könnte man behaupten, dass es die Folge der überaus sorgfältig durchgeführten Suche nach einem Mietauto war, die uns letztlich bis an diesen Tresen gebracht hatte. Ich hatte nämlich schon wochenlang vor unserer Reise die verschiedenen Angebote der kretischen Autovermieter im Internet analysiert. Meine Wahl war letztlich auf ein Unternehmen gefallen, das nicht nur die günstigsten Preiskonditionen bei vergleichbaren Leistungen zu bieten schien, sondern als einzige Firma überhaupt eine spezielle Seite der Frage der Umweltbelastung durch das Autofahren und den Möglichkeiten einer Minimierung dieser Schäden widmete.
Das gefiel mir.
Als dann auch noch die Abwicklung der Reservierung des Autos klaglos und schnell klappte, fühlte ich mich noch wohler. Und in der Tat wartete in der Ankunftshalle des Flughafens von Chania ein gewisser Miron, der Chef der Firma, ein kahlköpfiger, kräftig gebauter Mann schon auf uns. Rasch packte er den größeren der beiden Koffer, wechselte mit uns ein paar englische Worte, um sogleich ins Griechische zu verfallen, sobald wir ihm in eben dieser seiner Sprache antworteten. In seinem Wagen brachte uns Miron zu dem Parkplatz, auf dem die Vermietungsfirmen ihre Fahrzeuge bereit halten. Miron winkte seinen Angestellten, der gerade ein Auto wusch, herbei und bedeutete ihm, unser Gefährt heranzuholen.
Was da auf uns zukam, war allerdings so ziemlich das Gegenteil von dem, was man so in seinen Vorstellungen vom Urlaub im Süden imaginiert. Es war nämlich kein hell blitzendes, wieselflink aussehendes Schmuckstück, was da plötzlich vor uns stand, sondern ein tief schwarzer, teerig düster anmutender Wagen, der einen Hauch von Altersmief über den sonnigen Nachmittag auszudünsten schien.
„Ti na kanoume !“ – „was soll man machen !“
– dachten wir, packten die Koffer und die Rucksäcke in das Gefährt, nahmen unsere Sitze ein und wollten losfahren. Doch halt! Was war das? Maex wollte eben den Sicherheitsgurt anlegen, hatte aber plötzlich ein völlig verdrehtes Ding in der Hand, das mit einem Knopf in der Mitte zusammengebunden war. Ein rasche Überprüfung zeigte, dass der Gurt aus der Bodenbefestigung herausgerissen war. Wir stoppten gerade noch rechtzeitig Miron, der eben abfahren wollte, zeigten ihm das Fiasko und stellten fest, dass der Schaden behoben werden konnte, wenn man den Gurt mit einer passenden Schraube an das Gewinde, das sich im Rahmen nahe dem Boden hinter dem Beifahrersitz befand, fixieren würde. Allein, wo würde man jetzt am Samstagnachmittag eine solche Schraube für den Sicherheitsgurt eines Renault Clio (3) bekommen?
(1) Der seltene Name Miron kommt aus dem Aramäischen und bedeutete zunächst: der im Frieden kommt. Die Bedeutung wurde auch in Zusammenhang mit dem Wort Myrrhe interpretiert und bezeichnete dann den Träger von Wohlgeruch. Auf Kreta geht der Name auf den Heiligen Miron zurück, der im dritten und vierten nachchristlichen Jahrhundert als Bischof von Knossos wirkte und als Märtyrer, dem das Wirken zahlreicher Wunder zugeschrieben wurde, unter dem römischen Kaiser Dekius seine Blutzeugenschaft für den christlichen Glauben erbrachte.
(2) ♥ Maex = Helga
(3) Clio ist er Name der griechischen Muse der Geschichtsschreibung. In der Tat lassen sich über das Fahrzeug gleichen Namens so manche G´schichterln schreiben…
Miron entschuldigte sich mehrmals in seinem schnellsten Griechisch und schlug uns vor, ihm hinterherzufahren. Er würde uns zu einer Tankstelle bringen, wo man eine solche Schraube bekäme. Gesagt, getan. Nur leider stellte sich heraus, dass man über alle möglichen Schrauben verfügte, bloß nicht für eine, die dem guten alten Clio gepasst hätte. Dies konnte jedoch Miron, der weiterhin jene Tatkraft ausstrahlte, die man von einem griechischen „Affendiko“ – einem Chef – erwartet, nicht in Verlegenheit bringen. Er ersuchte uns, ihm weiterhin zu folgen, was wir auch brav taten. Was sonst schließlich hätten wir auch tun sollen!
Nach einigen Minuten Fahrt bremste sich Miron vor einer Werkstätte ein. Wir parkten hinter ihm. Miron verschwand sofort in der Garage, um nach kurzer Zeit unverrichteter Dinge wiederzukehren. Es war klar. Niemand war da. Miron entschuldigte sich in immer schnellerem Griechisch wiederum mehrmals und hetzte dann gut hundert Meter die Straße entlang, wo er zweier Männer ansichtig geworden war, die dort ihre nachmittägliche Siesta in beschaulichem Spiel mit der Komboloi (Perlenkette) zu verbringen schienen. Miron sprach rasch auf die zwei ein, nahm dann das Mobiltelefon, führte ein Telefonat, kehrte zu uns zurück, teilte uns mit, dass jemand gleich käme, um sich die Sache mit dem Gurt anzusehen, und lud uns in der neben der Werkstätte befindlichen Bar auf ein Eis und Mineralwasser ein.
Miron erklärte uns treuherzig, dass er sich dieser Unannehmlichkeiten wegen sehr schlecht fühle. Wir nahmen es gelassen und versicherten ihm, dass wir dieses erste Eis im heurigen Jahr richtig genießen würden. Es dauerte nur ein paar Minuten, bis ein Auto vor der Werkstätte hielt. Dem Wagen entstieg ein dicker rotgesichtiger Mann, der den Eindruck machte, als ob man ihn gerade aus dem Schläfchen nach einem üppigen Mittagessen mit reichlich Retsina gerissen hätte.
Miron und der Rotgesichtige verschwanden in der Werkstätte, während wir uns weiter am Eis labten. Schon bald kamen die zwei triumphierend wieder aus der Garage heraus. Ja, der Dicke hätte die passende Schraube, es würde keine drei Minuten dauern, und der Schaden wäre behoben. Maex scherzte, ob er denn nicht vorsichtshalber fünf Minuten rechnen sollte. Das schien den Dicken so richtig zu amüsieren und er plapperte uns in seinem besten, uns aber völlig unverständlichen Griechisch alles Mögliche zu. Auf alle Fälle, so viel verstanden wir, würde es keine fünf Minuten dauern.
In der Tat war der Gurt in kürzester Zeit fachmännisch montiert. Wir bestaunten das Wunderwerk, das an unserem Clio vollbracht worden war. Diese Bewunderung schien den Dicken derart zu begeistern, dass er – wir wollten uns schon von ihm und Miron verabschieden und losfahren – uns drängte, nochmals auszusteigen und unbedingt mit ihm noch etwas in der Bar zu uns zu nehmen. Miron erklärte uns, dass es sich bei dem Dicken um Vangelis handle, der allgemein als „o trellos Kritikos“ – „der verrückte Kreter“ – bekannt sei. Er wolle uns alle unbedingt auf eine Runde einladen.
Ja und so kam es, dass wir da gemeinsam mit der Wirtin der Bar zu fünft am Tresen standen und das Stamperl Tsikoudia kippten. Vangelis ließ es sich dann nicht nehmen, nochmals in seine Werkstätte zurückzukehren, um uns auf einem Zettel seine Telefonnummer zu notieren. Wir müssten unbedingt zu ihm kommen. Wir würden großartigen Fisch miteinander essen und jede Menge trinken. Tja, dann herzte er uns und busselte uns ab, während sich Miron mit festem Händedruck empfahl.
Wir machten uns auf den Weg nach Frangokastello. Zwar krachte, schepperte und quietschte es im Auto bei jeder Bodenunebenheit, doch zeigte sich schon bald, dass der Motor wie ein gegraulter Löwe schnurrte, dass die Lenkung
leichtgängig war, dass sich die Gänge sanft wie in ein Samtfutteral einlegen ließen und dass die Bremsen energisch, doch nicht ruckartig zupackten.
Zudem erwies sich der Motor dank seines verhältnismäßig großen Hubraums und der entsprechend höheren PS-Stärke als derart elastisch, dass man selbst auf den bergigen Steigungen hinauf zur Passhöhe bei Imbros kaum zu schalten brauchte, da man auch im durchaus untertourigen Bereich, wenn nötig und möglich, kräftig beschleunigen konnte. Dies schätzt man bei den enorm kurvenreichen Straßen umso mehr, wenn man sich daran erinnert, dass man mit den vielleicht sehr flott aussehenden kleinen Wägelchen, deren Motorvolumen aber nicht einmal einen halben bayrischen Maßkrug fasst, beständig rauf und –runterschalten muss.
Das düster antiquierte Aussehen unseres Clio schien mir auch bei so manchen entgegenkommenden Fahrern von Autos moderneren Jahrgangs die Wirkung hervorzurufen, dass sie sich etwas deutlicher an der Seite hielten, da man als Chauffeur eines fast nagelneuen Gefährts naturgemäß mit mehr Beängstigung unterwegs ist als der Lenker eines recht ramponiert anmutenden Wagens, dem man durchaus zutraut, sich weniger um einen eventuellen Blechschaden Sorgen zu machen. Was in unserem Fall im Übrigen noch dadurch abgesichert war, als in dem überaus günstigen Mietpreis auch eine Vollkaskoversicherung ohne jeglichen Selbstbehalt inkludiert war. Praktisch ein Freibrief für jeden Crash.
Dennoch wäre es tadelnswerter Übermut – Hybris eben, wie schon die alten Griechen sagten – gewesen, wenn wir nicht dennoch mit großer Vorsicht unterwegs gewesen wären. Sehr berechtigterweise, wie sich herausstellen sollte. Es war an einem Sonntag, zeitig in der Früh, als wir nach Chania aufbrachen, um zum Hochamt in der dortigen katholischen Kirche zu fahren.
Diese noble religiöse Absicht war es vielleicht auch, die uns die segensreiche Wirkung eines Schutzengels bescherte, denn – Maex hatte es, Gott sei Dank, noch rechtzeitig erkannt und mich sofort gewarnt – es kam uns in vollem Karacho ein Sfakiote (4) entgegen, der vermutlich die Nacht durchgezecht hatte und deshalb die Kurven in der Diretissima nahm. Durch die Vorwarnung alarmiert war mein Fuß schon bremsbereit angespannt; eine absolute Notwendigkeit, denn ein etwas verzögerter Bremsweg hätte unweigerlich einen totalen und frontalen Zusammenstoß zur Folge gehabt. Derselbe Schutzengel war uns ein weitere Mal direkt in Frangokastello wohl gesonnen.
(4) Als Sfakioten bezeichnet man die Einwohner jener von wuchtigen kargen Gebirgen beherrschten südkretischen Region der sogenannten Sfakia, wo in früheren Zeiten die Hirten während des Sommers mit ihren Schafherden auf abgeschiedenen Höhen lebten, um der Hitze des Tieflandes zu entfliehen. Heute fahren die Männer abends nach getaner Arbeit in den Bergen mit ihren Pickups hinunter nach Hause zu Frau und Kindern. Die Sfakioten gelten auch heute noch als die wildesten und gefährlichsten Kreter.
Es war um die frühe Nachmittagszeit, als ein wohl vom reichlichen Genuss von Speis und vor allem Trank völlig reaktionslos gewordener verfetteter Sfakiote in seinem martialischen Pickup den geradesten Weg durch jene Kurve nahm, an deren Ende wir herankamen. Irgendwie gelang es, den Clio so weit nach rechts zu ziehen, dass der entgegenkommende wuchtige Koloss mit unverminderter Geschwindigkeit an uns vorbei und nicht in uns hinein donnerte.
Die Begegnung der dritten Art
Vergleichsweise harmlos war da eine dritte Begegnung der besonderen südkretischen Art, als uns, wiederum direkt auf der langen geraden Hauptstraße von Frangokastello, ein Fahrzeug auf unserer Seite entgegenkam, ohne die geringste Anstalten zu machen, das Tempo zu reduzieren und vor allem den Wagen auf die andere Straßenseite zu lenken. Erst als wir uns bis zum Stillstand eingebremst und an den äußersten rechten Straßenrand gefahren waren, zog mit lautem Getöse der Hupe der entgegenkommende Wagen nach rechts. Darin saßen zwei Jugendliche, die blöd vergnügt vor sich hingrinsten und sich unerhört darüber amüsierten, dass wir ob dieses Irrsinns ganz verdattert dasaßen.
In der Einöde Frangokastellos
Es war für die beiden Idioten offenbar eine Art von vergnüglichem Zeitvertreib, entgegenkommende Autofahrer solcherart zu erschrecken. Tja, in der Einöde von Frangokastello gibt es für die einheimischen Jugendlichen wohl zu wenig Abwechslung, sodass sie sich ihren eigenen Thrill machen wollen. Dazu kommt, dass man in dieser Gegend noch vor einer Generation vorzugsweise mit dem Esel unterwegs war. Der Umstieg auf ein wesentlich leistungsstärkeres Transportmittel dürfte so manchen Sfakioten charakterlich deutlich überfordern.
Außerdem ist anzumerken, dass man in jener abseits gelegenen Gegend seit jeher Bräuchen huldigt, die man anderswo unter sofortigem Polizeiaufgebot unterbinden würde. So ist es beispielsweise üblich, dass bei besonderen Anlässen, wie Hochzeiten, Geburts- und Namenstagen die nächtlichen Feiern von ohrenzerfetzenden Salven von Schüssen aus Pistolen und Gewehren begleitet werden, wobei mit der Schiesserei kaum vor zwei Uhr in der Nacht begonnen wird, dafür aber erst gegen Morgengrauen mit der Knallerei wieder aufgehört wird.
Um aber auf das Autofahren zurückzukommen: wir waren froh, dass uns unser Clio unbeschädigt durch so manche bedrohliche Situation manövrierte. Dafür nahmen wir gerne auch so manche Mucken in Kauf. Denn es war ja nachgerade bloß eine Irritation minderer Art, wenn während der Fahrt irgendwelche Warnlampen auf dem Dashboard aufleuchtenden. Es war nicht unmittelbar einsichtig, welche konkrete Warnung nun allenfalls beachtenswert gewesen wäre, zumal die Verlässlichkeit dieser aufleuchtenden Hinweise grundsätzlich in Zweifel zu ziehen war, da es ja nicht einmal auszuschließen war, dass irgendwelche elektronische Fehlschaltungen ganz zufällige Lichtspiele am Armaturenbrett hervorriefen.
In solchen Zweifelsfällen erweist es sich grundsätzlich als hilfreich, das Bedienungsanleitungsbuch zur Hand zu nehmen. In der Tat fand sich ein derartiges Konvolut im Handschuhfach, wobei im Übrigen getrost davon auszugehen war, dass sich in diesem speziellen Fach niemals wirklich ein Handschuh befunden hatte. Naturgemäß war diese Betriebsanleitung im erlesensten Griechisch abgefasst, was die Aufgabe, ihr Sinnvolles zu entnehmen, nicht unwesentlich erschwerte. Erfreulicherweise war der Text mit zahlreichen Abbildungen versehen, sodass die stundenlange Enträtselung dieser hieroglyphenartigen Mitteilungen letztlich doch von Erfolg gekrönt war.
Jenes Lichtspiel am Armaturenbrett, das die meiste und geradezu obstinate Verstörung der Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte, war als Hinweis dafür zu lesen, dass es ein Problem mit dem Airbag des Beifahrersitzes geben könnte, das man besser umgehend bei einer autorisierten Renault-Werkstätte beseitigen lassen sollte. Diese Erklärung war in der Tat überaus hilfreich, denn es versteht sich von selbst, dass in unserem Clio überhaupt kein Airbag eingebaut war. Auch war es nicht möglich, den eingebauten Autoradio in Betrieb zu nehmen, da sofort nach dem Einschalten eine digitale Anzeige die Eingabe eines mehrstelligen Zahlencodes erheischte, den wir selbstredend nicht kannten.
Hingegen gab es eine sehr wohl durchaus funktionierende Kindersicherung bei den Türen im Fonds des Wagens. Allerdings wies kein Warnlicht auf dieses Faktum hin. Wir wurden erst dadurch darauf aufmerksam, als wir, von einer Wanderung in der Kallikratis-Schlucht zum Auto, das am unteren Ende des Weges geparkt war, zurückkehrend auf zwei völlig erschöpfte Touristinnen trafen, die uns baten, sie ein Stück des Weges nach Frangokastello mitzunehmen. Nach wenigen hundert Metern heischte die hinter dem Fahrersitz recht tüchtig eingeklemmte schwitzende Dame, dass man anhalte, damit man ein möglicherweise demnächst zustechendes Insekt aus dem Auto entfernen könne. Leider lasse sich die Hintertüre einfach nicht öffnen.
Boxenstopp
Ich leitet sofort einen perfekten Boxenstopp ein, entledigte mich des Gurts, riss meine Tür auf, hechtete heraus und nach hinten, riss den hinteren Wagenschlag, der sich in der Tat von innen nicht hatte öffnen lassen, auf und befreite einen kleinen Käfer, der sich nur mehr mit Mühe den wilden Herumfuchtelungen unserer Autostopperin erwehren konnte.
Nachdem wir die Damen, wie es sich gehört, direkt vor ihrer Pension abgeliefert hatten und in unser eigenes Gemäuer zurückgekehrt waren, versuchte ich der im erlesensten Griechisch abgefassten Betriebsanleitung einen Hinweis auf die Entriegelung der Kindersicherung abzutrotzen, was mir allerdings bis zum Schluss unseres Aufenthalts in Kreta verwehrt blieb, sodass sich ein paar Tage später noch einmal ähnlich klaustrophobische Gefühle bei einer diesmal sehr schlanken und sehr langbeinigen Passagierin von insgesamt graziler Erscheinung einstellten, die sich in den Sitz auf der Rückbank hinter mir ziemlich eingeklemmt empfunden haben musste. Als sie bei der Auffahrt durch die unendlichen Spitzkehren der Straße nach Imbros bemerkte, dass der Kindersicherung wegen im Zweifelsfall kein Auskommen aus der Zwangslage zu finden wäre, führte dies zu einer gewissen Irritation des Gemütszustands der Gefangenen.
Erst als wir nach Bewältigung all der Haarnadelkurven dieser steilen Straßen endlich den Clio am Parkplatz vor dem Einstieg in die Imbros-Schlucht abgestellt hatten, um uns in der frischen Bergluft bei Speis und Trank zu laben und uns anregenden Gesprächen zu widmen, die sie und ihr Mann – beide von durchaus singulärer und bemerkenswert angenehmer Wesensart – mit Maex und mir führten, fiel dann die zuvor durch die Einsperrung im Fonds des Wagens hervorgerufene Beklemmung allmählich und schließlich gänzlich ab.
Damit die verbleibende Zeit unseres Aufenthalts nicht allzu langweilig werden sollte, beliebte unser Clio zwei Tage vor Ende unserer schönen Ferien die Funktion der Fernbedienung der Türschlösser endgültig zu verweigern, nachdem schon in den Tagen zuvor eine gewisse Bockigkeit in der Entgegennahme und Ausführung der durch Druck auf den Autoschlüssel applizierten diesbezüglichen elektronischen Befehle feststellbar gewesen war. Dies hatte aufwendige Studien der im erlesensten Griechisch abgefassten Eh-schon-wissen zur Folge, die keinerlei verwertbare Resultate erbrachten.
Im hektischen Chania
Allerdings war dieses ärgerliche Faktum maßgeblich dafür verantwortlich, dass ich die Überlegung anstellte, dass es Maex und mir gewiss nicht angenehm sein würde, am Tag unserer Abreise das Auto vollgepackt mit Koffern und Rucksäcken unversperrt in der hektischen Stadt Chania herumstehen zu lassen. Ich schlug deshalb vor, unsere Pläne dahingehend zu ändern, dass wir, wenn denn schon der Kübel nicht mehr abzusperren war, wir besser in einem kleinen Ort am Meer die Stunden vor unserem Abflug verbringen sollten, in einer Umgebung also, in der man getrost davon ausgehen dürfe, dass sich niemand durch eine nicht versperrte Autotür verleiten ließe, sich die uns teuren Dinge, die wir dort deponiert haben würden, anzueignen.
Denn es gilt, selbst in Griechenland und in einer größeren Stadt umso mehr, der christliche Grundsatz, dass man nicht in Versuchung geführt werden sollte. Wie durch einen durch höhere Fügung zustande gekommenen Zufall tippte ich während der abschließenden Fahrt, die uns ans Ende unserer Ferien bringen sollte, auf einen unscheinbaren Schalter. Dies hatte zur Folge, dass sämtliche Türen einschließlich jener am Heck des Wagens ein unüberhörbares metallisches Geräusch von sich gaben. Es klang verdammt gut nach Verriegelung der Türen. Bei nächster passender Gelegenheit, es war am Eingang des Friedhofs des Ortes Vrisses, hielten wir das Auto an, um uns von der Richtigkeit unserer Entdeckung zu überzeugen.
Dieser kleine unscheinbare Druckknopf, den die im erlesensten Griechisch abgefasste Bedienungsanleitung bösartig verschwiegen hatte, war in der Tat jene manuell zu bedienende Verriegelungszentrale, welche bei Ausfall der elektronisch gesteuerten Vorrichtung surrogierend zum Einsatz kommen konnte. Maex und ich konnten uns einer gewissen euphorischen Stimmung ob dieser Entdeckung nicht erwehren, beschlossen aber gleich, unseren Plan beizubehalten, in jenen kleinen Ort am Meer zu fahren, um dort die Stunden bis zu unserem Abflug zu verbringen. Es wurde uns dies mit einem gar wunderbaren späten Nachmittag und frühen Abend gelohnt; wir genossen die vorzügliche Küche eines überaus edlen Restaurants umso mehr, als wir unsere Koffer und Rucksäcke gut versperrt gesichert wussten.
Zurück in Wien ließ ich es mir nicht nehmen, dem guten Miron ein paar passende Worte per e-mail zu übermitteln. Ich wies ihn darauf hin, dass er, der alte Knabe, also nicht der Miron, sondern der Clio es wohl nach dieser Saison nicht mehr packen würde. Miron aber wäre freilich nicht Miron, wenn er nicht umgehend geantwortet hätte, dass ihm die erlittene Unbill (5) schrecklich leid täte. Beim nächsten Mal würde er uns sein bestes Auto zum besten Preis anbieten. Ich bin mir nicht so sicher, was er eigentlich mit dem Vermerk „bester Preis“ genau meinte. Es wird sich ja vielleicht noch einmal herausstellen…. PG 09
(5) Betriebswirtschaftlich gesprochen hatte uns Miron in Verfolgung einer Abschöpfungsstrategie, wie sie in der sogenannten „Boston-Matrix“ dargestellt wird, seine tüchtigste „cash cow“, seine beste Melkkuh gegeben, in die er wohl nichts mehr investierte, dafür aber trotz durchaus günstiger Mietkondition letztlich ordentlich und g´scheit abkassierte. Wegen der bald schon notwendig werdenden Reparaturen würden allerdings die daraus entstehenden Kosten den Clio in einen verlustbringenden „poor dog“ verwandeln.
Vielen Dank, Paul, für den schönen Bericht.