Ob eine zweite Währung, ob Schneckenzucht als Gelderwerb für Arbeitslose – die Krisenrezepte für Griechenland haben die Argentinier vor Jahren erprobt.
Der Vorsitzende des griechischen Linksbündnisses Syriza, Alexis Tsipras, schlägt gelegentlich auch überraschend selbstkritische Töne an. Seinen Landsleuten schreibt er dann zu, Politiker mitgetragen zu haben, die korrupt waren, ihr Geld im Ausland gebunkert haben. Was Tsipras nicht sagt, ist, dass viele Griechen das System nicht nur geduldet, sondern auch davon profitiert haben: neben der angeblichen Elite auch all die Beamten, die ihren Job einem Politiker verdankten oder all jene, die kräftig Steuern hinterzogen. Nicht umsonst hat sich der Chef der griechischen Steuerbehörde Nikos Lekkas der Kritik von IWF-Chefin Christine Lagarde an der laxen Zahlungsmoral der Bürger angeschlossen.
Was Tsipras zwischen seinen Attacken auf das von der EU geforderte Sparprogramm zugibt, erinnert frappant an den Befund, den eine Frau in Buenos Aires Anfang 2002 kurz nach der spektakulären Staatspleite Argentiniens abgab. „Dieses Land hat kein wirtschaftliches Problem, sondern ein moralisches“, sagte die Frau, die ihren Job als Buchhalterin verloren hatte. Während sie in einem jüdischen Sozialzentrum ein warmes Essen entgegennahm, kritisierte sie die Haltung ihrer Landsleute: „Es heißt, dass Leistung nicht fruchtet. Wer die anderen hereinlegt, gilt mehr als der, der arbeitet. Würde sich diese Mentalität ändern, würde sich alles ändern.“ Sie erwog, nach Israel auszuwandern.
Für Griechenland wie Argentinien gilt: Wer sich an die Regeln hält, ist der Dumme. Und alle, denen neben dem Auskosten ihrer Rechte kein Pflichtgefühl im Wege steht, handeln aus ihrer Sicht ganz logisch: Die konkreten eigenen Interessen gehen vor das abstrakte Gemeinwohl – so lange, bis der Staat pleite ist. Dann wird geschimpft: auf den Internationalen Währungsfonds, das böse Brüssel, auf Deutschland.
Quelle: Zeit.de