Zuerst erschienen im Griechenland-Blog.gr
Ist in Griechenland die Steuerhinterziehung eine Äußerung gesellschaftlichen Vertrauens?
In der von dem Anthropologen bei einem “primitiven” Volksstamm durchgeführten lokalen Untersuchung (field work) gibt es immer den kritischen “Punkt Null” – den Punkt, ab dem der Stamm aufhört, Dich als Fremden anzusehen und Dich fortan als “einen von ihnen” betrachtet.
Die Weise, auf die der Anthropologe wahrnimmt, an diesem begehrten Punkt angelangt zu sein, unterscheidet sich natürlich von Stamm zu Stamm. Bei manchen zeigt sich dies, wenn sie Dir einen Spitznamen anhängen und Dich mit diesem zu rufen beginnen (z. B. “Sohn der aus der Ferne kommenden weißen Stute“). Bei anderen, wenn die Omas Dir gestatten, an dem Klatsch vor dem Feuer teilzunehmen. Bei Stämmen des Amazonas wiederum äußert sich die Akzeptanz, wenn sie Dir erlauben, an den Überfällen gegen benachbarte Stämme teilzunehmen, um deren Frauen zu stehlen usw. etc.
Willkommen, Fremder, Du bist nun einer von uns!
In Griechenland, zumindest in dem Dorf, in dem ich seit einigen Jahren lebe, äußerte sich der Punkt Null, der Punkt der Anerkennung und Akzeptanz, auf eine völlig unterschiedliche Weise: es war der Tag, an dem die signifikanten Faktoren in meinem Leben – der Bäcker, der Gemüsehändler, der Restaurantbesitzer, der Klempner, der Frisör, der Veterinär u.a. – aufhörten, mir Quittungen über die an mich verkauften Produkte oder erbrachten Dienstleistungen auszustellen!
Anfangs war ich überrascht und reagierte mit dem Zorn, mit dem jeder aufrecht denkende Euro-Modernisierer reagiert haben würde: “Hält er mich für einen Schwachkopf, auch für seinen Part die Steuern zu zahlen?”
Mein Zorn steigerte sich sogar, sowie ich an all die Lehrer, Professoren, Amtsträger, Pastoren, Kommunalbediensteten, Journalisten bei der NERIT, Justizbeamten dachte – also anders gesagt, wie viele fantastische öffentliche Bedienstete der Staat nicht einzustellen vermag, weil meine Mitbürger ihre Steuern nicht zahlen.
Weil in mir jedoch auch die Seite des Anthropologen existiert, ging mein Zorn allmählich zurück und gab der Beobachtung platz. Und dann begriff ich, dass die Handlung der Nichtausstellung einer Quittung praktisch eine Äußerung des Vertrauens und der Akzeptanz war: “Willkommen, Fremder. Du bist nun einer von uns!”
Wenn – anders gesagt – in den protestantischen Ländern der Aufschrei gegen die Steuerhinterziehung eine Bekundung gesellschaftlichen Vertrauens darstellt, geschieht in Griechenland genau das Gegenteil: das gesellschaftliche Vertrauen baut sich auf der Steuerhinterziehung auf! Wenn Dir jemand keine Quittung ausstellt, sagt er Dir praktisch, dass er Dir vertraut, dass er bereit ist, Dich in das breitere soziale Netzt aufzunehmen, an dem er beteiligt ist. Wenn der Mensch ein “soziales Wesen” ist, wie die Linken sehr richtig beharren, äußert sich in Griechenland diese Sozialität in der Vermeidung der Ausstellung einer Quittung. Etwas, das die – im übrigen dem Autor sehr sympathische – Frau Merkel niemals begreifen können wird.
Um zu sehen, ob ich das kulturelle Spiel tatsächlich verstanden habe, führte ich jedenfalls folgendes Experiment durch: Beim nächsten Mal, als es einen Schaden an meiner Elektroinstallation gab, bestellte ich einen Elektriker, den ich zuvor noch nicht gerufen hatte. Als er fertig war, schickte er sich an, seinen Quittungsblock zu zücken. Ich hielt ihn jedoch zurück und meinte: “Das ist nicht nötig. Wir sind doch keine Fremden, oder?” Und dann sah ich in seinen Augen die Anerkennung, dass ich nunmehr tatsächlich Teil des “Stammes” war, die Akzeptanz der Tatsache, dass wir – wie auch der Altvordere gesagt hätte – in diesem Augenblick Gesetze, die Verfassung und sonstige “Formalismen” überwiegende Bande gesellschaftlichen Vertrauens schmiedeten.
Sogar auch der kleine herrenlose Köter, den ich neulich aufnahm, bellte fröhlich. Oder zumindest schien es mir so.
(Quelle: Protagon.gr, Autor: Takis Michas)
Die Magie erfasst auch deutsche Firmen
Die deutsche Hochtief ist derzeit der größte aktive Schuldner des Fiskus in Griechenland.
Der griechische Fiskus erhielt Recht in seinem Streit mit der deutschen Gesellschaft Hochtief, die 20 Jahre lang den internationalen Athener Flughafen “Eleftherios Venizelos” bewirtschaftete und nun mit einem Urteil des Verwaltungs-Oberlandgerichts Athen aufgefordert ist, 600 Millionen Euro für Mehrwertsteuer zu entrichten, die sie nicht an die staatlichen Kassen abführte.
Mit dem Beschluss des Berufungsgerichts wird der deutsche Koloss zum nunmehr größten aktiven Großschuldner in Griechenland, da unter Berücksichtigung auch der übrigen Schulden der Gesellschaft an Versicherungsträger, Organismen der lokalen Selbstverwaltung usw. sogar 1 Milliarde Euro tangieren können.
Sehr geehrter Herr Jörg?
Treffender, witzier und genau der Realität entsprechend kann man dieses Problem nicht dargestellen.
Grüße, Franz Wien