Griechenland – Entwicklung ante portas

Entwicklung ante portas!

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Leonidas Chrysanthopoulos, Botschafter ad.H.

Am 8. Januar 2014 begrüßte Griechenland den Beginn seiner 5. EU-Ratspräsidentschaft mit einer großen Show im Zappeion in Athen. Kaum jemand fehlte, die zur Zerstörung des Landes in den letzten Krisenjahren nicht sein Schärflein beigetragen hätte. Es war eine Feier des Paradoxons: Ein Land übernimmt die Präsidentschaft der Organisation, die seine Nation und seine Menschen zerstört hat!

Natürlich waren Demokratie und Freiheit in den Vorträgen der Teilnehmer allgegenwärtig. Die Polizei, auf der anderen Seite, sorgte dafür, demokratische Demonstrationen zu verbieten mit dem rechtfertigenden Argument, dass es darum gehe, „das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Teilnehmer zu schützen ..“

Die gleiche Polizei hielt in ihrer Kommunikation zum demokratischen Bürger fest, dass sie „keine milderen Maßnahmen hätte beschließen können wegen der geschätzten großen Beteiligung der Bürger an diesen Demonstrationen und der erwarteten Spannungen, die passieren könnten.“ Richtig interpretiert heißt das, dass sich Polizei und Regierung voll der Tatsache bewusst waren, dass eine schätzungsweise große Anzahl von Bürgerinnen und Bürger mehr als unglücklich über das ist, was in ihrem Land geschieht – und sich ebenfalls vollständig darüber im Klaren waren, dass diese Mehrheit der Griechen das bei dieser Gelegenheit zeigen könnte. Und statt darüber nachzudenken, die ganze Veranstaltung abzusagen – oder möglicherweise sogar die politische Gesamtstrategie zu überdenken – um näher an den Wünschen der Menschen zu sein, die sie ja eigentlich repräsentieren sollten, beschlossen sie, den Menschen die Teilnahme zu verbieten und allein unter sich feiern.

Ist das Demokratie? Wenn frühere EU-Gipfel in Griechenland stattfanden, waren auch Sicherheitsmaßnahmen getroffen worden, aber es hatte noch nie die Notwendigkeit bestanden, die Bevölkerung zum Schweigen zu bringen und Menschenansammlungen zu verbieten. Mehr als 5000 Bürgerinnen und Bürger haben das Verbot ignoriert und trotzdem demonstriert.

Viele Reden wurden gehalten , in denen die Griechenland-Krise, die Anstrengungen des griechischen Volkes herausgestellt wurden sowie die Fortschritte, die gemacht wurden und die Tatsachen, dass – endlich – die Entwicklung des Landes ist an der Tür klopft.

Leider klopft die Entwicklung dort schon recht ein paar Jahre an – ohne dass jemand sie hereingelassen hätte.

Lassen Sie uns mit Olli Rehn beginnen, der sich als Mitglied der Europäischen Kommission gezielt mit der griechischen Krise beschäftigt und ausserdem ein Kandidat für die Position des Präsidenten der Europäischen Kommission ist. Schon am 9. Dezember 2010 erwartete er positive Schritte der Entwicklung in Griechenland ab 2011. Nur wenige Tage später, am 12. Dezember, ist es dann ab 2012. Wieder ein Jahr später korrigierte er am 9. Dezember 2012 das zu erwartende Einsetzen der Entwicklung auf 2013, in welchem Jahr er dann natürlich davon ausging, dass es 2014 sein würde.

Der Präsident der Europäischen Kommission erwartete am 6. Dezember 2010 ebenfalls eine griechische Entwicklung im Jahr 2011 (Das ist aber wohl nicht seine Schuld. Er hat sicherlich nur wiederholt, was Olli Rehn ihm gesagt hat). Am 29. November 2010 ging die Kommission davon aus, dass im Jahr 2012 Griechenland eine Entwicklung von 1,1 % erreichen würde . Am 5. November 2013 ging dieselbe Kommission für das Jahr 2014 von 0,6% aus.

Auf der anderen Seite des Atlantiks, benutzt der IWF ähnliche Techniken. Am 25. Mai 2009 erwartete man dort die Entwicklung in Griechenland am Ende des Jahres 2010. Am 18. Dezember 2010 revidierte der IMF seine Schätzungen dahingehend, dass sich die Wirtschaft in der zweiten Hälfte des Jahres 2011entwickeln würde. Am 11. April 2011 kündete ihn ein Bericht für das Jahr 2012 und ein weiterer Bericht hat das nächste Jahr 2013 an . Die am 8. Oktober 2013 erklärte man dort mit einer Entwicklung von 0,6% in 2014.The OECD folgt diesem Muster. Und so weiter.

G. Papandreou , der ehemalige Ministerpräsident von Griechenland, verkündete am Silvesterabend 2010, dass 2011 das letzte Jahr der Rezession wäre und Griechenlands Entwicklung im Jahr 2012 zurückkehre. Papadimas, der Technokratie unter den ehemaligen Ministerpräsidenten, meinte am 29. September 2010, er käme in 2011. Samaras, der aktuelle Ministerpräsident sprach am 7. März 2013 bei der Europäischen Volkspartei von einer voraussichtlichen Entwicklung am Ende des Jahres 2013 , während er im September 2013 überarbeitete, es wäre 2014 – eine Ankündigung, die er in seiner Rede anlässlich der EU-Ratspräsidentschaftszeremonien wiederholte.

Fehler wurden von allen in der Zwischenzeit eingestanden. Der IWF war der erste, der etwas zugab. Das EU-Parlament hat zuletzt erklärt, die Troika sei eine ineffizienter Club mit einem Mangel an Transparenz und demokratischer Legitimation, die Schlüsselindikatoren falsch interpretiert wird und die Auswirkungen ihrer sogenannten Hilfsprogramme unzulänglich einschätzt. In einfachen Worten: Inkompetent.

Der derzeitige Präsident des Europäischen Parlaments, Martin Schulz , erklärte, dass die für die Katastrophe Verantwortlichen gefunden werden müssen. Ein anderer deutscher Politiker , Elmar Brok, fragte, wie sie hätten wissen sollen, was zu tun gewesen wäre – nicht zuletzt gäbe es keine schriftliche Anleitung zur Krisenbewältigung – und somit wären Fehler nur eine natürlich Folge. In einfachen Worten: Inkompetent.
Zumindest für die Bürger Europas liegt es auf der Hand: Mit dieser Art von Aktionen , Aktivitäten und Programmen wird die Entwicklung genau dort bleiben, wo sie ist: ante portas. Glücklicherweise für Technokraten und Politiker sind Bürger für Entscheidungen über Länder und Organisationen nicht erforderlich. In prachtvoller Ignoranz und komfortablem Abstand zur Realität, feiert sich die herrschende Klasse – lästige Menschen sind verboten.

Kein Wunder, dass es einen erheblichen Mangel an Vertrauen in die Politik und die Politiker gibt. Kein Wunder, niemand nimmt sie mehr ernst. Wenn die heutige herrschende politische Klasse ihr Handeln in der Privatwirtschaft hätten verantworten müssen, würden sie jetzt in der Schlange der Arbeitslosen stehen oder wegen betrügerischem Bankrott im Gefängnis feiern. So aber sind sie weiterhin mit ihren Fehlern und Zerstörung dessen beschäftigt. Die Tragödie ist, dass sie es nicht merken.

Leonidas Chrysanthopoulos
Botschafter ad.H.
Mitglied des Politsekretariats E.PA.M

Athen Januar 9,2014


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