Griechenland wird zu einem „Dritte-Welt-Land“ gemacht


Ein Viertel der Bevölkerung ist arbeitslos, die Wirtschaft schrumpft das fünfte Jahr in Folge, und in den öffentlichen Spitälern gehen die Medikamente aus. Griechenland steht eine soziale Katastrophe bevor, warnt Mesochora-Bürgermeister Georgios Chondros.

Der Bürgermeister des kleinen Dorfes Mesochora nördlich von Athen machte bei einem Besuch in Wien am Donnerstag den Sparkurs der griechischen Regierung für die Misere verantwortlich. Griechenland habe die Banken gerettet, sich dafür völlig überschuldet und lasse nun die eigene Bevölkerung im Stich.

„In Athen drehen sie jeden Tag tausend Haushalten den Strom ab, weil die Leute nicht mehr bezahlen können“, sagte der Politiker der oppositionellen Linkspartei Syriza. Zugleich seien die Steuern auf Heizöl angehoben worden, in einem Drittel der Schulen werde es darum in diesem Winter nicht mehr warm.

In den Spitälern fehle es an Arzneien und Ausrüstung, selbst Gummihandschuhe seien Mangelware geworden. Pensionisten müssten zum Teil mit der Hälfte des bisherigen Geldes ihr Auskommen finden. Und nur rund 200.000 der rund 1,5 Millionen Arbeitslosen würden überhaupt vom Staat unterstützt.

Das Ausmaß der Problematik zeigt sich auch an einer aktuellen Meldung: Nach acht Tagen Streik hat die Regierung in Athen die U-Bahnfahrer nun zum Dienst verpflichtet. Die öffentlichen Angestellten müssen zur Arbeit zurückkehren, oder sie wandern ins Gefängnis, berichtete die Zeitung Kathimerini. „Die Gewerkschaft der U-Bahnfahrer wollte eine blindwütige Konfrontation“, begründete der griechische Transportminister Kostis Chatzidakis am Donnerstag die Maßnahme im griechischen Fernsehen.

Zuvor hatte er sich mit Ministerpräsident Antonis Samaras getroffen. Es bleibe der Regierung nichts anderes übrig, sagte der Transportminister. Es gab keine unmittelbare Reaktion der Gewerkschaften. Die Streiks hatten in den vergangenen Tagen ein Verkehrschaos in der Hauptstadt ausgelöst. Beim Sparprogramm der Regierung drohen den U-Bahnfahrern nach Gewerkschaftsangaben Gehaltskürzungen von bis zu 25 Prozent. Bisher gehörten sie zu den privilegierteren Angestellten im öffentlichen Dienst.

Solidaritätsbewegung

Die griechische Linke organisiert nun eine Solidaritätsbewegung. Als eine von einer Vielzahl an Maßnahmen seien etwa „soziale Kliniken“ eingerichtet worden, in denen Ärzte in ihrer Freizeit unentgeltlich Arbeitslose und Selbstständige ohne Versicherung behandeln, sagte Chondros, der sich auf Einladung von Attac in Österreich befand.

Gemeinsam mit den Globalisierungsgegnern sollen heuer europaweite Aktionen unter dem Motto „Unser Europa neu begründen“ gestartet werden, um die ihrer Ansicht nach verfehlte Krisenpolitik der EU-Staaten anzuprangern. „2013 ist ein wichtiges Jahr für uns“, sagte Chondros. Die Regierung wolle im März weitere Sparmaßnahmen in der Höhe von 17 Milliarden Euro beschließen. Damit werde Griechenland endgültig zu einem „Dritte-Welt-Land“ gemacht, glaubt der Lokalpolitiker.

Boden für Neofaschisten

Auch bereite die Regierung damit den Boden für die Neofaschisten, die mit ihrer Partei Goldene Morgenröte 2012 erstmals ins Parlament einzogen. Nur Solidarität aus ganz Europa könne eine weitere Abwärtsspirale der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft verhindern.

In diesem Sinne möchte Attac seine Protestaktionen gegen „neoliberalen Sozialabbau“ auf weitere EU-Integrationsschritte ausdehnen. Im Juni wolle die Europäische Kommission mit den einzelnen Mitgliedsstaaten bilateral Verträge vereinbaren, in denen weitere Maßnahmen bis 2014 vereinbart werden sollen, hieß es von der linken Organisation. „Während Hunderte Milliarden in den Bankensektor fließen, machen die politischen Eliten zu hohe Löhne, soziale Rechte für die Krise verantwortlich“, sagte die Obfrau von Attac Österreich, Alexandra Strickner. Im Laufe des Jahres seien darum zahlreiche Informationsveranstaltungen und Protestaktionen auch in Österreich geplant.

Stiglitz: „Sparsamkeit führte schon 1929 zur Weltwirtschaftskrise“

Unterdessen warnt auch Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz, der an der New Yorker Columbia University lehrt, einmal mehr: Die Einschränkungen bei den Staatsausgaben in Europa “erdrücken wirklich das Wachstum” und drohen die wirtschaftliche Erholung der Region zu untergraben, so der Ökonom.

Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Haushaltskürzungen könnten durch steigende Exporte nicht ausgeglichen werden, da sich das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamt habe, erläutert Stiglitz im Interview mit Bloomberg Radio am späten Mittwoch am Rande des Weltwirtschaftsforums in Davos.

“Sie haben sich auf Sparsamkeit konzentriert, und diese Sparsamkeit macht alle anderen Probleme noch schlimmer”, sagte Stiglitz. “Sparsamkeit wurde immer wieder probiert. Herbert Hoover versuchte dies 1929 und machte aus einem Börsen-Crash die Weltwirtschaftskrise.” Die Geschichte zeige, dass in den Ländern mit dem besten Wirtschaftswachstum die Staatsausgaben stets “eine wichtige Rolle spielten”, indem sie neue Technologien – vom Telegrafen bis hin zum Internet – unterstützt hätten.

Rogoff will die Griechen auf den „äußeren Orbit schicken“

Kenneth Rogoff, Volkswirtschafts-Professor an der Harvard University, ist der Meinung, dass die europäische Gemeinschaftswährung überleben kann. Voraussetzung dafür sei allerdings, dass die Mitgliedsstaaten eine engere politische Union formen und Länder wie Griechenland auf einen “äußeren Orbit” (eine äußere Bahn) schickten.

“Meine beste Vermutung ist, dass der Euro bleibt. Aber nicht jeder, der ihn derzeit hat, wird am Ende auch Teil des ersten Orbit sein”, erklärte Rogoff in einem Interview mit Bloomberg Television am Mittwoch in Davos. “Sie brauchen eine engere Union, und müssen einige Länder wie Griechenland für eine lange Zeit in einen äußeren Orbit schicken.” Was immer das auch heißen mag…

Quelle: Format.at


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