Als Leseratte mit saisonal wechselnden Vorlieben zu verschiedenen Genres – im Sommer darf´s gerne was luftig-leicht-blödeliges sein, im Herbst und Winter, wenn man dann endlich mal wieder Zeit zum richtigen Schmökern hat, dürfen es auch gerne spannende Krimis oder – derzeit grade mal wieder hoch im Kurs – historische Romane sein, stolpere ich doch immer mal wieder über interessante „reale“ historische Gestalten.
Hatte ich mich noch erfolgreich gegen den „Noah-Gordon-Hype“ gewehrt, der die Welt vor einigen Jahren erfasst hatte, fiel mir doch vor 2 Jahren sein „Medicus“ in die Hände. Es war Winter, ich lag mit einer fetten Grippe auf der Nase und verschlang dieses Buch quasi in Nullkommanix (soll heißen, die Grippe dauerte wesentlich länger als die Lektüre der knapp 700 Seiten) – und leistete Noah Gordon insgeheim Abbitte – es ist wirklich ein großartiges Buch!.
Und nun begab es sich im Winter 2017/2018, dass mir im durchaus umfangreichen Buchnachlass unserer Vormieterin (gefühlte 1000 Bücher!) ein weiterer historischer Roman in´s Auge und somit gleich in die Hände fiel: „Der Wanderchirurg“ von Wolf Serno. Ebenfalls ein fesselnder Roman auf der Basis belegter historischer Fakten; die Protagonisten und ihre Geschichten sind meist Fiktion, manchmal aber durchaus historisch belegt, wie z.B. diverse Könige, Päpste, Politiker und sonstige Schurken, die damals schon ihr Unwesen trieben.
Wie der Titel schon sagt, geht es, wie beim „Medicus“ auch, um Ärzte bzw. Chirurgen, die aus Berufung zu ihrem Job kamen, diesen innerhalb ihrer damals doch recht beschränkten Möglichkeiten nach bestem Wissen und Gewissen ausübten und oft noch weitere Erkenntnisse hinzu erlangten – meist basierend auf zu dieser Zeit schon dokumentierter Erkenntnisse früherer Korifeen auf dem Gebiet der (Kräuter-)Medizin und Chirurgie.
Der langen Vorrede kurzer Sinn: einer der in diesen und anderen Büchern immer wieder erwähnten und zitierten Korifeen ist der Grieche Dioskourides, der schlechthin als Vater der Pharmakologie gilt.
Grund genug für uns, dem Leben und Wirken dieses Urahns aller Apotheker und Pharmazeuten mal auf den Grund zu gehen, was wir hiermit in Anlehnung an diverse Informationen aus den Tiefen und Weiten des WWNetzes auch tun.
Der Vater der Pharmakologie
Pedanios Dioskourides (griechisch Πεδάνιος Διοσκουρίδης) wurde um 30 n. Chr. in Anazarbos bei Tarsos in der antiken römischen Provinz Kilikien (entspricht heute ungefähr den türkischen Provinzen Adana und Mersin) geboren, war ein griechischer Arzt, der im 1. Jahrhundert n.Chr. lebte und als Militärarzt unter den Kaisern Claudius und Nero im römischen Dienst stand. Er ist der berühmteste Pharmakologe des Altertums und gilt auch heute noch als Vater der Pharmakologie.
Vor ungefähr zweitausend Jahren sammelte Pedanius Dioskourides, der mit der Armee von Kaiser Nero durch das Römische Reich reiste, Proben der lokalen Heilkräuter, wohin er auch ging. Seine Leidenschaft für Pflanzen und andere medizinische Substanzen verwandelte er in ein monumentales Nachschlagewerk über Kräuter und Pharmazie, das über 1500 Jahre die höchste Autorität auf diesem Gebiet blieb.
Im Jahre 70 n. Chr. veröffentlichte Dioskourides nämlich sein epochales Werk „De Materia Medica“ („Über medizinischen Substanzen“) in fünf Bänden – begonnen hatte er mit dem Werk um 50 n.Chr.! Ursprünglich auf Griechisch verfasst, wurde das Werk schnell in mehrere Sprachen übersetzt, sowohl alt und modern, und später ergänzt durch Kommentare von europäischen, nahöstlichen und indischen Autoren, war es die Hauptautorität und Quelle auf dem Gebiet der Kräuter und anderen medizinischen Substanzen in der Geschichte der westlichen Zivilisation – und möglicherweise der ganzen Welt.
Das wohl größte Buch der Kräuterheilkunde aller Zeiten
Dioskourides´ großes Kräuterheilkundebuch ist eines der beliebtesten medizinischen Nachschlagewerke in der Geschichte der Menschheit. Im Gegensatz zu anderen medizinischen Werken klassischer Autoren musste „De Materia Medica“ in der Renaissance nicht wiederentdeckt werden, weil dieses Werk nie wirklich aus dem Umlauf war.
In ihrer Größe und Gründlichkeit übertraf „De Materia Medica“ alle früheren Bücher über Kräuterheilkunde. Es diskutiert die medizinischen Eigenschaften von mehr als tausend natürlichen Arzneistoffen – die meisten von diesen sind botanischen Ursprungs, es geht aber auch um Arzneimittel tierischen und mineralischen Ursprungs. Der gesamte Hippokratische Korpus erwähnt nur etwa 130 verschiedene Arzneistoffe. Dioskourides listete über 4.740 verschiedene Anwendungen für die „Materia medica“ und über 360 verschiedene medizinische Aktionen in seinem Werk auf.
Dioskourides´ Kräuterheilbuch war allen anderen qualitativ überlegen. Beim Schreiben und Zusammentragen der „De Materia medica“ legte er großen Wert darauf, die Fehler seiner Vorgänger vermeiden, die da u.a. waren: Unvollständigkeit, Fehlinformationen, Verwechselungen der Drogenidentitäten, zu wenige Tests und Verifizierung der Drogeneigenschaften, fehlendes Augenmerk auf experimentelle Daten und schlechte Organisation.
Der Untertitel von „De Materia Medica“ lautet „Über die Vorbereitung, Eigenschaften und Prüfung von Drogen“ und unterstreicht damit den empirischen, wissenschaftlichen Ton dieser Arbeit. Dioskourides verließ sich auf nichts Überliefertes und scherte sich auch nicht um die Reputation etablierter Autoritäten; er hinterfragte und überprüfte alles und testete jedes Medikament klinisch. Er reiste persönlich und erforschte die Anwendung jedes Krautes in der lokalen Volksmedizin.
Ein bahnbrechender Vorreiter auf dem Gebiet der Kräutermedizin
Dioskourides war der Erste, der die „Materia Medica“ zu therapeutischen Gruppierungen von Drogen organisierte, basierend auf Ähnlichkeiten der medizinischen Wirkung. Dieses Organisationsformat verband die Wissenschaft der Pharmazie mit der Wissenschaft der Medizin. Es sorgte auch für die ordnungsgemäße Platzierung von zukünftigen Medikamenten, sobald sie entdeckt wurden, in diesem therapeutischen organisatorischen Rahmen. Dioskourides behauptete auch, dass sein organisiertes Format, wenn es erst einmal gelernt worden sei, das Erlernen und die Weitergabe pharmakologischen Wissens begünstige.
Wenn man bedenkt, dass selbst die traditionelle chinesische Kräutermedizin, heute als TCM bekannt, nach ähnlichen therapeutischen Gruppierungen von Kräutern organisiert ist, können wir genau sehen, wie einflussreich und weitreichend die revolutionären neuen Ideen von Dioskourides waren. Diese therapeutischen Gruppierungen nach ihrer medizinischen Wirkung haben einen dynamischen, kinetischen Charakter: Erwärmen, Binden, Erweichen, Trocknen, Abkühlen, Zusammenziehen, Entspannen, Nähren und dergleichen.
Die chinesische Materia Medica hingegen teilt medizinische Handlungen therapeutisch in drei große Kategorien ein: Eliminierend, Regulierend und Ergänzend oder Tonisch – diese sind dann wiederum in verschiedene Untergruppen unterteilt, je nachdem, was beseitigt, reguliert oder ergänzt werden soll.
Die Präsentation aller Kräuter und medizinischen Substanzen in Dioskourides‘ großem Buch der Kräuterheilkunde ist sehr gründlich und umfangreich. Es enthält Pflanzennamen, Synonyme und Illustrationen, Pflanzenhabitat und botanische Beschreibungen, desweiteren Eigenschaften, Aktionen und Anwendungen der Droge, negative Nebenwirkungen (falls vorhanden), Verabreichungs- und Dosierungsempfehlungen, Anweisungen für die Ernte, Zubereitung und Lagerung der Kräuter oder Drogen, mögliche Verfälschungen und wie sie entdeckt werden, sowie veterinärmedizinische Verwendungsmöglichkeiten des Arzneimittels oder Krauts, falls vorhanden.
Pedanius Dioskourides starb um 90 n. Chr.
Und warum sollte man noch heute „De Materia Medica“ von Dioskourides lesen? Nun, historisch gesehen war es der Vorläufer aller modernen Arzneibücher. Aber außer seiner historischen Bedeutung gibt es auch Wissen über die Kräuter und Heilmittel, die von den Griechen, Römern und anderen Völkern der Antike verwendet wurden – Heilmittel, die heute noch verwendet werden können und keinesfalls in Vergessenheit geraten sollten!
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