GUTACHTEN ZU GRIECHENLAND: „Sparkurs verstößt gegen Menschenrechte“

Quelle: Berliner Zeitung

Die von der Troika vorgegebenen Sparmaßnahmen verstoßen insbesondere in Griechenland gegen die Menschenrechte. Zu diesem Ergebnis kommt Andreas Fischer-Lescano, Professor für europäisches Recht an der Uni Bremen.

Herr Fischer-Lescano, was kritisieren sie an den Troika-Forderungen?

Die Sparmaßnahmen, die die Troika festsetzt, verpflichten in vielen Bereichen zu konkreten Grundrechtseingriffen. Die Tarifautonomien werden ausgehöhlt, Mindestlöhne gesenkt, Gesundheitskosten auf Patienten abgewälzt. Ähnliches gilt für den Bereich Bildung. Die Folgen dieser Politik sind von der Internationalen Arbeitsorganisation bis zum Europäischen Sozialausschuss als menschenrechtswidrig kritisiert worden, weil sie gerade die besonders verletzbaren Gruppen – Kinder, Frauen, Migrantinnen und Migranten, Behinderte – benachteiligt; aber auch weil sie zu einer Verarmung geführt haben, die Generationen in die Hoffnungslosigkeit treibt.

Was raten Sie den betroffenen Ländern?

Andreas Fischer-Lescano

Die Europäische Kommission und die Europäische Zentralbank, beide neben dem Internationalen Währungsfonds Mitglieder der Troika, müssen wieder auf den Boden des Rechts zurückgeführt werden. Die europäischen Institutionen verhandeln mit den betroffenen Staaten und setzen die Auflagen fest. Die Sozialpartner werden nicht einbezogen, das Europäische Parlament nicht beteiligt. Die Kommission agiert in Bereichen, in denen sie keinerlei Kompetenzen hat, wie bei der Lohnfestlegung. Das darf so nicht sein. Hiergegen gilt es, sich auch juristisch zu wehren, etwa vor dem Europäischen Gerichtshof.

Auch wenn eine Klage Erfolg hätte, bliebe ja das Problem, nämlich die horrende Verschuldung Griechenlands.

Das ist richtig und man wird hier auch ökonomisch noch einmal sehr viel grundlegender diskutieren müssen, ob die Sparpolitik wirklich der richtige Weg ist.

Gläubiger sagen, wer keine funktionierende Finanzverwaltung hat, muss sich nicht wundern, wenn keine Steuern fließen. Stimmt das nicht?

Man sollte da zunächst vor der eigenen Haustür kehren. Auch in Deutschland gibt es ja aktuell eine Reihe spektakulärer Steuerverfahren, bei denen man sich über die Chuzpe der Beteiligten nur wundern kann, die aber doch auch eines deutlich machen: Wir brauchen europäische Regelungen, um den Niedrigsteuerwettbewerb zu unterbinden. Ein Steuerabkommen mit der Schweiz reicht genauso wenig aus wie eine nationale Vermögenssteuer.

Dass Staaten ihre finanzielle Hilfe an andere Staaten an Gegenleistungen knüpfen, ist doch legitim. Oder etwa nicht?

So grundsätzlich kann man das nicht sagen. Auf der Ebene der europäischen Sparpolitik haben wir es im Grunde mit Verträgen zu Lasten Dritter zu tun. Die Sparauflagen belasten die Rentnerinnen und Rentner, die Arbeiterinnen und Arbeiter, Kranke, Kinder, Migrantinnen und Migranten. Es ist ein Irrglaube, dass finanzielle Stabilität in Europa ohne soziale Stabilität erreicht werden könnte. Die Verlogenheit auch der deutschen Politik in dieser Frage ist schwer zu ertragen. Es fehlt leider der Mut, den Menschen klarzumachen, dass es zu einem solidarischen und sozialen Europa keine Alternative gibt.

Werden die verlangten Gegenleistungen als rechtswidrig erklärt, fließt keine Hilfe. Wenn keine Hilfe fließt, rutscht Griechenland in den Bankrott. Ist damit irgendjemandem gedient?

So ist das nicht. Wenn einzelne Auflagen rechtswidrig sind, fällt nicht automatisch der gesamte Kreditvertrag, es werden nur einzelne Klauseln unwirksam. Es ist rechtlich ein alltäglicher Vorgang, dass dann ein Vertrag in Kraft bleibt.

Was fordern Sie für die Zukunft?

Die Politik darf nicht mehr in den Hinterzimmern der vereinigten Exekutiven Europas unter Hinzuziehung der Europäischen Kommission verhandelt werden. Das Europäische Parlament wird einzubeziehen sein, die Sozialpartner müssen gehört werden, ein begleitendes Menschenrechtsauditing muss stattfinden. Demokratie und Menschenrechte dürfen nicht länger der Krisenpolitik untergeordnet werden.

Das Gespräch führte Markus Decker.
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Andreas Fischer-Lescano ist Professor an der Universität Bremen. Im Auftrag der Wiener Arbeiterkammer, des Österreichischen Gewerkschaftsbunds und weiterer Institutionen hat er ein Gutachten zum Vorgehen der EU und der Troika gegen die Euro-Krise geschrieben. Die Analyse wird Anfang kommenden Jahres in Brüssel vorgestellt und soll die Grundlage für Klagen gegen die Sparpolitik liefern.

Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano (Universität Bremen) stellt am 21. Januar an der Universität Kassel sein Rechtsgutachtens zu den Maßnahmen der „Troika“ vor. Der Vortrag findet statt am Dienstag, den 21. Januar 2014, um 18 Uhr, in der Nora-Platiel-Str. 5, Raum 0109/0110. Veranstalter ist das Fachgebiet Politische Theorie der Universität Kassel unter Leitung von Prof. Dr. Sonja Buckel.

Mehr Info: Uni-kassel.de