Horst Reichenbach – „Griechenland ist nicht die DDR“

Der Deutsche Horst Reichenbach leitet die „Task Force“ der EU für Griechenland. Im Interview erklärt er, wie sich die Stimmung in dem Land in den vergangenen Monaten entwickelt hat.

„Herr Reichenbach, Sie leiten seit September die EU-„Task Force“ für Griechenland. Sie wurden anfangs in einigen griechischen Medien als „Gauleiter“ beschimpft. Waren Sie mental darauf vorbereitet?

Nein. Ich habe so lange im europäischen Umfeld in der EU-Kommission und bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung gearbeitet, dass ich schon überrascht war, wie stark sich die anti-deutsche Stimmung in Griechenland auch auf das Angebot von EU-Kommissionschef José Manuel Barroso ausgewirkt hat, in Griechenland Hilfe zu leisten.

Ist die Stimmung inzwischen weniger aufgeheizt als noch vor einigen Monaten?

Ja, ganz eindeutig. Als ich letzte Woche in Athen den zweiten Quartalsbericht der „Task Force“ vorgestellt habe, tauchte anders als in der Vergangenheit kaum noch die Frage auf, ob durch unsere Arbeit die Souveränität Griechenlands infrage gestellt werde. Diesmal drehten sich die Fragen der Griechen um Sachthemen.

Inzwischen hat auch Eurogruppen-Chef Jean-Claude Juncker eingeräumt, dass sich die Euro-Zone zu sehr auf die Sanierung des griechischen Haushalts und zu wenig auf Wachstumsimpulse konzentriert hat. Wo liegt das größte Wachstumspotenzial für die griechische Wirtschaft?

In der Landwirtschaft, im Energiesektor mit einem riesigen Potenzial bei der Wind- und Solarenergie sowie im Tourismus. Gerade der Tourismus gehört zu den Bereichen, die noch sehr stark entwickelt werden können. Denken Sie beispielsweise an den medizinischen Tourismus: In Griechenland gibt es sehr viele hoch qualifizierte Ärzte mit internationaler Ausbildung. Zudem lassen sich die Infrastrukturen für den Tourismus verbessern. Und schließlich könnte man auch die Saison verlängern, die normalerweise von Mai bis September dauert. In vielen Regionen Griechenlands gibt es die Möglichkeit, früher anzufangen und später im Jahr aufzuhören.

Gelegentlich wird die heutige Lage in Griechenland mit derjenigen in der DDR im Jahr 1990 verglichen. Stimmt der Vergleich?

Mit Sicherheit sind sehr viele Strukturänderungen in Griechenland notwendig, wobei die Reform der Verwaltung ganz oben auf der Agenda steht. Aber ich habe doch meine Zweifel, ob man einen Vergleich der ehemaligen DDR anstellen kann, die keinerlei marktwirtschaftliche Strukturen hatte.

Zu den Aufgabengebieten der Task-Force gehört auch der Arbeitsmarkt. Sind die Arbeitskosten in Griechenland zu hoch?

Griechenland hat bei den Lohnstückkosten über viele Jahre gesündigt. Hier sind die Kosten schneller gewachsen als die Produktivität. Selbst 2008 und 2009, als die Rezession einsetzte, sind die Lohnstückkosten gestiegen. Das ist seit 2010 besser geworden, aber sicher ist eine weitere Verbesserung angesichts des internationalen Wettbewerbs notwendig.

Unterstützen deutsche Finanzbeamte inzwischen die griechische Regierung beim Eintreiben von Steuern?

Das Bundesfinanzministerium hat 160 Finanzbeamte identifiziert, die in Griechenland bei der Verbesserung der Steuerverwaltung helfen können. Von diesen Beamten sind auch schon einige vor Ort gewesen. Praktisch findet jede Woche ein Workshop oder eine Beratung statt – und dabei ist natürlich die deutsche Expertise höchst willkommen. Nur darf man sich das nicht so vorstellen, als würden die 160 Finanzbeamten alle auf einen Schlag in Griechenland einfliegen und den griechischen Kollegen über die Schulter schauen.

Ein wesentliches Defizit besteht darin, dass sehr wohlhabende Griechen häufig zu wenig Steuern zahlen und es mit der Eintreibung in diesem Bereich hapert.

Das ist richtig. Die spezielle Einheit, die in Griechenland für diese Aufgabe eingerichtet wurde, hat ihre Arbeit nur sehr schleppend aufgenommen. Weitere Fortschritte sind dort mit Sicherheit notwendig. Es wäre auch sehr zu begrüßen, wenn die Verhandlungen zwischen Griechenland und der Schweiz über ein bilaterales Steuerabkommen so schnell wie möglich unter Dach und Fach kämen. Auch dies würde sicherlich Einnahmen bringen und mit dazu führen, dass sich die Steuermoral in Griechenland verbessert.

Deutschland hat sich auch bereit erklärt, bei der Reform des Gesundheitswesens in Griechenland mitzuarbeiten. Wo liegen hier die größten Aufgaben?

Es gibt in diesem Bereich ein übergeordnetes Ziel: Griechenland darf nicht mehr als sechs Prozent seines Bruttoinlandsproduktes für Gesundheit ausgeben. Dazu müssen 1,1 Milliarden Euro weniger für pharmazeutische Produkte ausgegeben werden – das betrifft sowohl den Konsum als auch die Preise. In Griechenland werden kostengünstigere Generika viel seltener eingesetzt als im EU-Durchschnitt. Hier muss umgesteuert werden. Auch die Verwaltung der Krankenhäuser muss verschlankt werden. Insgesamt müssen in diesem Bereich 400 Millionen Euro eingespart werden.

Nach Athener Regierungsangaben erschlichen sich zehntausende Griechen Staatszuschüsse, weil sie sich fälschlicherweise als behindert ausgaben. Was bedeuten solche Meldungen?

Die Prüfung der Ausgaben und die Kontrolle darüber, ob jemand berechtigt ist, Sozialleistungen zu empfangen, war über lange Jahre ungenügend. Hier hat Griechenland viel getan, um die Kontrolle zu verschärfen. Was wiederum dazu führt, dass derartige Missstände auch aufgedeckt werden. Tatsächlich wurde aber auch eine ganze Reihe von Fällen in Griechenland systematisch nicht verfolgt.

Was halten Sie von Junckers Vorschlag, einen eigenen EU-Aufbaukommissar für Griechenland zu benennen?

Dazu möchte ich mich nicht äußern. Ich glaube, dass die Griechen sehr empfindlich auf alle Vorschläge reagieren, in denen ihre Souveränität infrage gestellt wird. Schon die Einführung der „Task Force“ war nicht ganz einfach für sie zu akzeptieren. Ich bin froh, dass unsere Arbeit inzwischen vor Ort positiv aufgenommen wird und wir Griechenland auch effektiv unterstützen können.“

Quelle: Potsdamer Neuestenachrichten

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