Individualtourismus auf Kreta – Was zu beachten wäre.

Nun ist es nicht mehr zu leugnen und auch nicht mehr klein zu reden: die Sommersaison 2018 hat angefangen und seit ein paar Tagen spielt auch das Wetter mit. Bei uns lautet die Faustregel: wenn das Thermometer nachts zuverlässig nicht mehr unter die 18°C-Grenze rutscht, dann ist Sommer.

Nachts um die 20°C, tagsüber bei strahlendem Sonnenschein am blauen Himmel und bestenfalls einem lauen Lüftchen bereits 28-30°C – das nennt man auch hier bereits Sommer. Auch wenn der „richtige“ Sommer mit Tages-Temperaturen um 40°C+ und nächtlichen Temperaturen um die 30°C noch für Juli-September ansteht….

Und man sieht wieder die verschiedensten „Arten“ von Touristen. Da sind einmal die Gruppenreisenden, die von Reiseveranstaltern hier angekarrt werden, Familien mit Kindern, vereinzelt auch einsame, oft ansatzweise desorientiert wirkende Alleinreisende, ältere Pärchen, die den Früh- und auch Spätsommer gerne mehr oder weniger „statisch“ hier verbringen – und dann sind da die (selbst ernannten) „Individualisten“.

Diese „Individualisten“ stechen meist schon optisch aus der Masse hervor, denn so eine Individualität muss ja auch nach außen demonstriert werden. Könnte sonst ja vielleicht jemandem entgehen, wie individuell und im besten Fall vielleicht sogar originell man so ist, als Individualist.

Aber was ist das eigentlich – Individualismus, Individualisten?

Individualismus wird – besonders im alltagssprachlichen Gebrauch – als eine persönliche Geisteshaltung bezeichnet, bei der möglichst eigenständige Entscheidungen und Meinungsbildungen angestrebt werden, gleichgültig ob sie konform zum gesellschaftlichen Kontext sind oder nicht. Eine Anschauung also, die dem Individuum, seinen Bedürfnissen den Vorrang vor der Gemeinschaft einräumt, eine besonders auf die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit ausgerichtete Haltung, die dem Gefühl der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft wenig Raum lässt.

Besonders Künstler und kreative Menschen gelten oft als Individualisten in diesem Sinne. Darüber hinaus werden den Individualisten dieser Art oft Eigenschaften wie Zivilcourage, eigenständiges und scharfsinniges Denken usw. zugeschrieben, andererseits aber auch Eigensinnigkeit und geringe Teamfähigkeit.

Der Duden bietet als Synonyme zum „Individualisten“ folgende Begriffe: Außenseiter/-in, Einzelgänger/-in; Nonkonformist/-in, Outsider/-in, „Original“ (oft abwertend) oder auch Eigenbrötler/-in.

Und wie macht dieser Individualismus sich bemerkbar?

Nun, es ist ja sicher jedem Menschen irgendwie ein Bedürfnis, sich von seinen Mitmenschen irgendwie abzuheben – keiner will ja im „Alltagsgrau“ einfach so untergehen. Wir finden es nur immer wieder erstaunlich, dass dabei ganz offensichtlich sehr viel Wert und Augenmerk auf die Optik gelegt wird, je schriller, greller, schräger und bunter, desto individueller, scheinen einige jedenfalls zu meinen.

Wir persönlich finden den Individualismus, der im Kopf stattfindet und vielleicht nicht auf den ersten Blick, aber dann doch nach dem zweiten oder dritten Gespräch erkennbar ist, viel interessanter – aber das sieht wohl jeder anders. 

Jedenfalls trifft man gerade unter den Kreta-Urlaubern immer wieder Menschen, die die Insel gerne abseits der ausgelatschten Touristenpfade“, „weit weg vom Rummel und Touri-Nepp“, „in authentischer Atmosphäre“ und „unverfälscht und pur“ erleben möchten. Dagegen ist ja auch überhaupt nichts einzuwenden, ist doch Kreta genau so am Allerschönsten.

Tourist 2018-6

Man sollte nur nicht einfach mit dem Pauschal-Ferienbomber hierher kommen, seine Individualisten-Sandalen anziehen und auf´s Geratewohl losziehen, denn ein bisschen (zumindest gedankliche) Vorbereitung hat noch keinem Individualisten geschadet. 

Ein paar Denkanstöße hierfür:

  • spreche ich wenigstens ein paar wenige Brocken der Landessprache, wenn ich mich denn dann wirklich auf eigene Faust durch´s „Outback“ schlagen will?
  • bin ich bereit für das „authentische“ Kreta, das in abgelegenen Bergdörfern nicht selten noch „Plumpsklo auf dem Hof“, „fließend kaltes Wasser aus der Bergquelle“, „kein Bankomat, kein Supermarkt“ bzw. auch „kein Mobilfunknetz, kein Internet“ bedeutet? Von „weder Pension noch Hotel“ mal ganz abgesehen?
  • habe ich mich hinreichend mit der griechischen bzw. der kretischen Mentalität auseinandergesetzt (die Stichworte hier sind: Filoxenia, Filotimo, Ehre, Würde, Respekt u.v.m.)?
  • bin ich flexibel und locker genug, mich auch auf widrige Situationen schnell einstellen zu können?
  • bin ich bereit, mich auf kretische Traditionen und Bräuche einzulassen – mit allen Konsequenzen?

Wenn Ihr diese Euch gegenüber ganz ehrlich positiv beantworten könnt, habt Ihr schon mal eine gute Voraussetzung für einen wirklich individuellen und vermutlich unvergesslichen Urlaub auf Kreta – idealerweise im wirklich noch authentischen Hinterland. In den Küstenregionen ist das mit dem „gelebten Individualismus“ nämlich um einiges schwieriger.

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Es reicht halt nicht, einfach nur mit in den schönsten Regenbogenfarben gefärbtem Haupthaar in quietschbunten „Walla-Walla“-Klamotten armreifrasselnd und schick „behutet“ durch die Gegend zu ziehen – das macht noch keinen zum Individualisten, denn davon gibt es mittlerweile schon soviele andere, dass das langsam schon eher zum „Mainstream“ wird, als ganz normale Urlaubsklamotten (Shorts, T-Shirt, Flip-Flops, Fotoapparat und Rucksack), an denen man die Touristen sonst so erkannte.

Aber wie auch immer Ihr Euren Urlaub ganz „individuell“ gestalten wollt – eine wahre Geschichte wollen wir Euch noch mit auf den Weg geben, auf dass Ihr o.g. Denkanstöße vielleicht noch ein zweites Mal überdenkt….

Eine kleine, wahre Geschichte

Es begab sich vor ca. 10 Jahren hier auf der Insel, konkret im Südosten derselben. Scheffredakteur und -teuse hatten über 3.000 km gerade die ersten, ganz zarten Beziehungsbande gesponnen – der Scheff war alleine auf der Insel, weilte die spätere Gattin doch noch in München an ihrem Schreibtisch eines multinationalen Elektronik-Konzerns. 

Besagter Scheffredakteur wohnte dazumal in Tsoutsouras (einmal mit dem Zeigefinger auf der Landkarte ziemlich genau senkrecht von Heraklion aus nach Süden fahren) und wollte/musste an diesem Tag nach Ierápetra fahren. Es war August – der heißeste Sommermonat überhaupt! – die Sonne brezelte unerbittlich vom azurblauen Himmel, der alte Passat wirbelte trocken-heiße Staubwolken auf, das Radio dudelte vor sich hin und Scheff war´s zufrieden.

Tsoutsouros liegt fast am Ende der Welt.

Er rumpelte also durch die verdörrte Botanik und wurde auf ein paar recht verlassen wirkende Menschen aufmerksam. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich dieses Grüppchen als eine kleine Familie, bestehend aus 4 Personen – 2 Erwachsene, 2 Kinder – die sich zu Fuß die Hitze schleppten bzw. in diesem Moment gerade am Straßenrand stehengeblieben waren. 

Scheff hielt natürlich an und fragte „wohin des Weges?“, waren diese eingestaubten und etwas derangiert wirkenden Menschen doch relativ offensichtlich Landsleute. Et voilà: es handelte sich tatsächlich um Deutsche, sogar um Norddeutsche, wenn auch nicht um eine „richtige“, sondern um eine „Patchwork“-Familie, aber das tut ja nichts zur Sache. Die Antwort, dass man nach Ierápetra und hier nun auf den Bus warten wollte, wurde vom Passatfahrer lediglich mitleidig belächelt, fuhr und fährt auf dieser Strecke doch gar kein Bus – oder wenn, dann bestenfalls 1-2 mal pro Tag zu „flexiblen“ Zeiten. 

Uli Hauser
Noch etwas benebelt. Uli und Aja in Tsoutsouros auf Kreta.

Vor lauter Mitleid mit den bereits leicht dehydrierten Landsleuten, lud er sie ein, ihn nach Ierápetra zu begleiten, da er ja eh auf dem Weg da hin sei. Das Angebot wurde dankend angenommen, man unterhielt sich nett über dies und das und erreichte Ierápetra gesund und munter. Auf die Frage hin, ob die 4 Passagiere denn am Nachmittag oder Abend auch wieder zurück in ihr Domizil (irgendwo an der Südküste, sie wussten das auch nicht so genau…) wollten und ob man die Rückreise wieder gemeinsam absolvieren wolle, lehnten sie dankend ab – man wollte dann doch nun endlich mal Bus fahren!

Na gut – des Menschen Wille ist sein Himmelreich, mit einem müden Achselzucken und besten Wünschen für die Rückfahrt verabschiedete sich der Passatfahrer, um seinen eigenen Angelegenheiten nachzugehen. 

Es war für den Scheff ein geschäftiger Nachmittag in der großen Stadt, am frühen Abend ging es wieder zurück in Richtung Tsoutsouras, liegt dieses winzige Fischernest doch noch gut anderthalb Stunden Fahrt von der Stadt entfernt. Und wie es kaum anders zu erwarten war, ereilte den Scheffredakteur auch bereits nach einigen Kilometern Fahrt ein „Dejà-Vu“. Vier Personen – zwei Erwachsene, zwei Kinder – leicht dehydriert und verstaubt am Rande der Fahrbahn, auf den Bus wartend, der niemals kommen sollte…

Wie schön, dass man sich schon von früher am Tag kannte – und somit auch die Rückreise wieder gemeinsam gestalten konnte. Der fürsorgliche Scheff nahm die Bande erst mal mit nach Tsoutsouras, wo sie bei Freund Niko ausgiebig mit Getränken und Speisen versorgt wurden, auf dass die Lebensgeister wiederkehren sollten. Nachdem diese Aktion von Erfolg gekrönt war, bekam die total individualistische, aber leider ziemlich desorientierte Patchwork-Familie erst mal Informationen darüber, wo sie sich gerade befand – denn wenn man gar nicht weiß, wo man eigentlich ist, ist es immer schwierig, sich auch nur halbwegs zu orientieren….

Und bis heute hat sich nichts geändert

Und warum wir Euch diese Geschichte erzählen? Weil „total individuell, spontan und flexibel“ zu sein sich zwar immer gut anhört, man damit ggf. allerdings auch ganz schön in der Wüste landen kann. So geschehen gerade jetzt wieder – laut aktuellem Bericht von keeptalkinggreece.com:

„Das Abenteuer einer deutschen Touristin endete am späten Donnerstagnachmittag, als Rettungsteams die Frau erreichten und sie in Sicherheit brachten. Die 50-jährige Frau auf einer Wanderung von Sougia nach Agia Roumeli in der Bergregion von Chania auf der Insel Kreta orientierungslos verloren gegangen. Sie litt sie an akuter Dehydrierung, da sie auf ihre Wanderung nicht genug Wasser mitgenommen hatte.

Unter großem Unbehagen, Orientierungslosigkeit und sogar Halluzinationen leidend, gelang es der Frau, die internationale Notrufnummer 112 zu rufen und um Hilfe zu bitten. Sie konnte jedoch nicht sagen, wo genau sie war. Sofort setzte die örtliche Feuerwehr ein Rettungsteam ein, auch die Bewohner eines nahegelegenen Dorfes halfen mit, versorgten sie zunächst mit Wasser und brachten sie in Sicherheit.“

Rettungsteams haben im Sommer gut zu tun.

Okay, hier auf Kreta kann man sich meist auf „Rettung“ von irgendwoher verlassen, sollte dieses Glück aber nicht allzu sehr überstrapazieren. Selbst wenn man beschließt, einfach mal nur nach Kreta zu fahren und sich dann nur noch von hier nach dort „treiben“ zu lassen, sollte man vielleicht doch ein Minimum an Energie darauf „verschwenden“, sich vorher mit der Landkarte oder seinem „Händi“  (die Dinger haben GPS, können Wander-Apps etc.) und den Eigenarten dieser Insel und ihrer Menschen vertraut zu machen. Ganz individuell natürlich….

Darüber hinaus stellt sich uns immer wieder die Frage: wer bezahlt eigentlich diese Rettungsaktionen für sich überschätzende, desorientierte Nord- und Mitteleuropäer, die hier auf Kreta auf ihrem „me-myself-and-I-Trip“ verloren gehen?

Kleine Umfrage – Urlaub auf Kreta: „All Inclusive“ – Ja oder Nein?

3 Kommentare

  1. Hallo Susanne, habe dank für Deinen differenzierten Artikel. Besonders hat mir die diskriminierende Wahrnehmung der Bilderreihe gefreut. Ich schließe für mich daraus den Schluss Euch nicht vor die Linse zulaufen um mich in solchen Artikeln, philosophischen Betrachtungen, desorientierten Alten wiederzufinden.
    Ta leme Rainer
    Danke an Mariela für Ihren Kommentar!

  2. Lieber Jörg,
    Ich bin seit 12 Jahren 2 mal im Jahr Alleinreisend in Paleochora. Weder einsam noch desorientiert. Ich weiß nicht ,wie du in deinem Artikel zu so einer Aussage kommst?
    Vielleicht gibt es auch Menschen ,die keine Herdentiere sind und durchaus mit sich selber etwas anzufangen wissen.

  3. Was auch zu beachten wäre: (Anfang Mai 2018)
    Der akustische nächtliche Terror in Paleochora – oder zu akzeptierender Individualismus?

    Der Ort hat einen wunderschönen Sandstrand mit Sonnenuntergang am Meer. Dass Griechen laute Motorräder lieben ist das Eine, wenn die aber benutzt werden um eine ganze Stadt aus dem Schlaf zu reissen wird das m.E. unzumutbar für alle. Wir beide hatten uns ein Zimmer genommen an der Promenade der ruhigeren Ostseite, und weil die nachts (laut Verkehrszeichen) für den KFZ-Verkehr gesperrt ist.
    Nachts, gegen halb zwei Uhr wurden wir vom Getöse zweier schwerer Motorräder ohne Schalldämpfer aus dem Tiefschlaf gerissen, die wie selbstverständlich die gesperrte Promenade entlang fuhren. Die waren anschliessend eine halbe Stunde lang aus den Gassen zu hören bevor sie ein zweites Mal auf der Promenade vorbeiknatterten. An Schlaf war erstmal nicht zu denken. Und das ist uns dort nicht zum ersten Mal passiert. Ich frage mich ob das Konsequenzen für den Tourismus hat. Wir haben jedenfalls die Konsequenzen gezogen und uns nach Sougia abgesetzt. Wer Stille noch geniessen kann ist dort besser aufgehoben.

    Ist die Polizeistation in Paleochora ein Opfer der Sparmassnahmen geworden? Der ehemalige Gebäude sieht verwaist aus.

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