Interview: „Griechenland wird ausgeplündert“

Mit Bestürzung reagiert der Grieche Elias Tsolakidis auf den Parlamentsbeschluss für ein weiteres Sparpaket. Im Interview mit tagesschau.de warnt er vor den Folgen für die Menschen. Das Land werde ausgeplündert. Griechenland brauche kein Geld, sondern Unterstützung für einen Systemwechsel.

tagesschau.de: In der Nacht hat das griechische Parlament weitere Maßnahmen beschlossen, um 13,5 Milliarden Euro zu sparen. Was halten Sie von diesem Schritt?

Elias Tsolakidis: Die Menschen hier haben sich das nicht gewünscht. Das gilt zumindest für die, mit denen ich zu tun habe. Um ganz ehrlich zu sein: Die Abgeordneten, die für das Sparpaket gestimmt haben, sind es nicht wert, zu dieser Gesellschaft zu gehören. Niemand von denen hat überhaupt gelesen, was da verabschiedet wurde. Das waren 750 Seiten auf Englisch. Die vier Abgeordneten aus unsere Region haben das offen zugegeben. Die Entscheidung fiel so, weil die Partei es so wollte. Sieht so Demokratie aus?

Zur Person
Geboren wurde Elias Tsolakidis in Katerini in Griechenland. Studiert hat er Sportwissenschaften in Köln. Seit 2001 arbeitet Tsolakidis als Technischer Direktor für das European College of Sport Science. Der gemeinnützige Verein will Wissenschaft und Forschung über Wirkung und Nebenwirkung des Sports fördern.

Alle zwei Wochen pendelt Tsolakidis zwischen Deutschland und Griechenland. Anfang 2012 gehörte er zu den Mitbegründern der Kartoffelbewegung, die den Griechen in der Krise Hilfe zur Selbsthilfe anbietet.

„Die EU-Hilfen kommen nicht den Griechen zugute“

tagesschau.de: Im Gegenzug zu den eingesparten 13,5 Milliarden Euro erhält Griechenland europäische Hilfe in Höhe von 31,5 Milliarden Euro – eine Rechnung, die aufgeht?

Tsolakidis: Die EU-Hilfen kommen nicht den Griechen zugute. Das Geld dient dazu, das in der Vergangenheit geliehene Geld zurückzuzahlen. Es dient dazu, die Banken zu stabilisieren, die aber ihrerseits kein Geld mehr verleihen. Der Mittelstand geht also leer aus. Ich bin fest davon überzeugt, dass Griechenland auch im Moment gar kein Geld braucht. Wir haben so viel gespart, dass wir auf den eigenen Beinen stehen können, abgesehen von der Schuldentilgung im Ausland. Deutschland war nach dem Zweiten Weltkrieg in einer ähnlichen Situation und hat seine Schulden erst dann begleichen müssen, als Geld übrig war. Griechenland aber wird ausgeplündert.

Also nochmal: Griechenland braucht kein Geld. Wir wären schon längst pleite, denn die europäische Hilfe verzögert sich ja immer weiter. Ursprünglich war von Juni die Rede gewesen. Aber diese Drohkulisse eignete sich perfekt für den Wahlkampf: Wer nicht für die amtierende Regierung stimmt, der ruiniert sein Land, weil Griechenland dann kein Geld bekommt.

„Man will den Menschen Angst machen“

tagesschau.de: Griechenland braucht wirklich kein Geld?

Tsolakidis: Nein. Aber die Berichterstattung im Ausland legt diesen Schluss nahe. Das entspricht nicht der Wahrheit. Das meine nicht nur ich, das meint die griechische Mehrheit. Wir sind nicht die Faulen. Wir sind die diejenigen, die sich nicht anpassen wollen. Wir sind nicht das schwarze Schaf Europas.

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tagesschau.de: Aber warum ist Griechenland dann überhaupt in diese Krise geraten?

Tsolakidis: Der griechische Staat ist fest in den Händen von 20 oder 30 Familien. Sie kontrollieren auch die Medien. Die Abendnachrichten sind voller Horrorszenarien. Man will den Menschen Angst machen. Politisch ist nicht gewollt, dass sich das ändert. Diese Familien finanzieren nämlich ihrerseits die herrschenden Parteien und sorgen dafür, dass die Politiker im jeweiligen Amt bleiben. Nur in diesem Chaos, nur in diesem nicht funktionierenden Staat können diese Familien ihre Macht erhalten.

Vor zwei Jahren hat die französische Regierung dem griechischen Staat eine Liste mit Steuersündern übergeben. Das waren 2.000 Namen. Das waren Informationen über Gelder im Ausland. Und das sind genau die Familien, von denen ich gesprochen habe. Erst vor zwei Wochen sind die Daten veröffentlicht worden. Der USB-Stick mit diesen Daten lag also zwei Jahre unangetastet auf dem Schreibtisch des Finanzministers.

„Ich kann dieses Theater nicht mehr sehen“

tagesschau.de: Welche Art von Unterstützung braucht Griechenland dann, wenn es nicht um Geld geht?

Tsolakidis: Wir brauchen Unterstützung, um unsere Einstellung und unsere Systematik zu verändern. In Deutschland ist es selbstverständlich, dass das Ministerium weiter arbeitet, auch wenn die Regierung wechselt. In Griechenland war es so, dass mit der neuen Regierung auch neue Mitarbeiter kamen. Die fanden in den Büros Rechner ohne Festplatten vor – ausgebaut von den Vorgängern, damit die Neuen bei Null anfangen. Mit dieser Art Politikern arbeitet Frau Merkel zusammen.

Deutschland könnte uns helfen, das Milchkartell zu zerschlagen. Dann würde die Milch nicht mehr 1,30 Euro kosten, sondern wie in Deutschland 60 oder 70 Cent. Aber es sind eben auch deutsche Firmen an diesem Kartell beteiligt. Von daher kann ich mir dieses Theater nicht mehr angucken, wenn der deutsche Wirtschaftsminister nach Griechenland kommt und sich mit den falschen Leuten trifft.

Quelle und hier geht es zu Teil 2 des Interviews: Tagesschau.de – „Licht am Ende des Tunnels?“

3 Kommentare

  1. Hallo Su,

    Du hast ja Recht, aber wenn ich in Deutschland meine Milch im Tante-Emma-Laden kaufe, zahle ich dort auch wesentlich mehr als beim Discounter. Ich bin sehr für eine seriöse Abhandlung eines Themas, und genau deshalb konnte ich solche Verschwörungstheorien wie die vom „Milchkartell“ nicht mehr hören. In einer persönlichen Nachricht, die ich inzwischen von Herrn Tsolakidis erhalten habe, schreibt er übrigens, er habe nicht von einem Milchkartell gesprochen, sondern von Waschmitteln und dass es sich um ein Irrtum der Reporterin handeln würde… Schon interessant, was herauskommt, wenn man manchen Meldungen mal auf den Grund geht!

  2. Naja, Regina, wenn man zum nächsten „aus Deutschland stammenden Discounter“ nur 5 km weit hat, ist das sicher richtig. Wenn man allerdings, wie wir übrigens auch, 60 km one-way zu bewältigen hat, überlegt man sich schon, ob man hier im Dorf eben mal nen Liter Milch holt, oder sich 120 km gibt, die bei den derzeitigen Spritpreisen den Milchpreis auch wieder nicht unwesentlich erhöhen. Natürlich decken auch wir uns einmal im Monat (oder so) beim Discounter mit Grundnahrungsmitteln – auch Milch – ein, aber viele hier haben dazu einfach nicht die Möglichkeit. Auch das sollte man in einer seriösen Abhandlung des Themas vielleicht in die Überlegungen mit einbeziehen…..

  3. Nachdem ich mich nicht erinnern konnte, jemals in GR 1,30 € für den Liter Milch gezahlt zu haben, passte ich gestern beim Einkaufen besonders auf – und siehe da: der Liter Milch mit 3,5 % Fett kostet hier nach wie vor 0,79 € – übrigens beim aus Deutschland stammenden Discounter L..l. Wie also kann Herr Tsolakidis etwas anderes behaupten und gar von einem „Milchkartell“ sprechen, an dem auch deutsche Firmen beteiligt seien? Mir scheint, hier hat wieder einmal der in GR so häufig anzutreffende Verfolgungswahn gemeinsam mit dem ebenso vorhandenen Hang zu maßlosen Übertreibungen wieder einmal gnadenlos zugeschlagen. Ein Gesprächspartner, der ernst genommen werden will, sollte so etwas vielleicht besser vermeiden.

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