Kreta: Mit Energie aus der Krise.

Mit Energie aus der Krise

In Griechenland haben Bürger genug vom ewigen Krisenlied und gründen Energiegenossenschaften. Die Pioniere sind überzeugt: Es ist ein Weg zu Wohlstand und Unabhängigkeit. VON SUSANNE GÖTZE, Zeit.de.

Als Erzbischof Irenäus seinen Segen gibt, liegt eine vorsichtige Aufbruchsstimmung im Saal der Orthodoxen Akademie von Kreta.

Kolymbari, ein verschlafener Ort, gut 20 Kilometer von der Hafenstadt Chania entfernt:

Hier befindet sich die Akademie, ein uraltes Kloster mit angeschlossenem Konferenzzentrum, Blick auf die tiefblaue See und die verschneiten Berge. Von hier aus soll ein Signal zum Wandel ausgehen, für Kreta und ganz Griechenland. Gerade haben die Anwesenden die Gründung der dritten Energiegenossenschaft des Landes beschlossen.

kolymbari11
Der kleine Hafen von Kolymbari

Ihre Mitglieder – Gemeindevertreter, Wissenschaftler, Ingenieure und Umweltschützer – wollen für ihren Strom nicht länger teuren Diesel importieren, sondern heimische Ressourcen nutzen, am besten dezentral und zusammen mit allen Kretern. Der Bischof unterzeichnet als erster die Gründungsakte.

Sogar der griechische Wirtschaftsminister Giorgos Stathakis ist anwesend. Warum? „Was denken Sie? Wir sind Syriza!“ antwortet er. „In diesen Krisenzeiten finden wir es wichtig, alle sozialen Initiativen zu unterstützen.“ Seine Regierung wolle Wachstum nicht durch Privatisierungen erreichen, sondern durch lokale, dezentrale Strukturen, wie sie hier in Kolymbari gerade geschaffen werden. Den Bürgern des Ortes verspricht der Minister unbürokratische Unterstützung. Viele sind noch skeptisch. Aber die Gründer der Genossenschaft fühlen sich durch seinen Besuch bestärkt.

Wir brauchen dringend mehr wirtschaftliche Entwicklung und die kommt nicht von allein“ sagt auch Vasilis Bellis, Direktor der ersten Biomassekooperative in Karditsa, einer Stadt auf dem Festland, 200 Kilometer südlich von Thessaloniki. Es sei derzeit fast unmöglich, private Anleger oder Investoren nach Griechenland zu locken. „Deshalb müssen wir selbst handeln.“

Für die Griechen ist das allerdings neu. Energie wird hier bisher so gut wie gar nicht dezentral und selbstorganisiert produziert: Während es in Deutschland rund 1.000 Bürgerenergiegenossenschaften gibt, sind es in Griechenland nur drei. Stattdessen dominieren zentralistische Großprojekte die Energieversorgung im Land, auch bei Wind und Sonne.

windmuehle-beim-kloster-toplou
Windmühle beim Kloster Toplou

Ein Beispiel ist das Projekt Helios. Vor drei Jahren schwärmten bei hochrangigen internationalen Treffen griechische und deutsche Diplomaten von den enormen Möglichkeiten, die Wind- und Sonnenenergie für Griechenland böten. Die erneuerbaren Energien könnten Gewinne abwerfen, wenn die Investitionen sich erst einmal amortisiert hätten, war der Gedanke. Das klingt logisch in einem Land, in dem die Sonne rund 250 Tage im Jahr scheint.

Helios sollte der größte Solarpark Europas werden und darüber hinaus der angeschlagenen Wirtschaft wieder auf die Beine helfen, zum Beispiel durch Stromexporte nach Deutschland. Auch der damalige EU-Energiekommissar Günther Oettinger begeisterte sich für die Idee. Doch drei Jahre später ist es still geworden um das ehemalige Wunderprojekt. Seit Monaten hat man von Helios nichts mehr gehört.

Gegen Windkraft, zum Schutz der Natur

Zum Glück, finden die Gründer der Kreter Energiegenossenschaft. Sie wollen keinen Strom exportieren, sondern vor allem den einheimischen Bedarf aus erneuerbaren Quellen decken. Die Vorstellung, dass die Insel mit Windparks zugepflastert werden könnte, um damit deutsche Haushalte zu versorgen, ist für viele hier in Kolymbari kein schönes Szenario. Manche unter den Windkraftgegnern begegnen auch der neuen Genossenschaft mit Misstrauen. Sie wollen nicht glauben, dass es ihren Mitgliedern nicht um Exporte geht.

Die Initiative will dem begegnen, indem sie die Bürger beteiligt. Sie möchte keine Windparks, sondern einen Strommix aus Wind, Sonne und Biomasse, der die Gemeinden der Insel versorgt. Denn alles andere zerstöre Kretas wirtschaftlich wertvollstes Gut, sagen ihre Mitglieder: seine einzigartige Landschaft und damit den Tourismus.

Bedarf an erneuerbarer Energie gäbe es. Kreta verbraucht als fünftgrößte Insel im Mittelmeer immerhin an die drei Gigawattstunden Strom pro Jahr, die vor allem aus fossilen Energieträgern wie Diesel hergestellt werden. Windenergie kommt derzeit auf einen Anteil von 18 Prozent der Stromerzeugung.

Doch die regionale Energiepolitik hat die Eigenversorgung bisher nicht im Blick. Stattdessen plant sie tatsächlich für den Export und will Unterseekabel von Kreta aus zum griechischen Festland verlegen, oder nach Zypern und von dort aus weiter nach Israel. In diesen Plänen könnte Kreta tatsächlich zum Energieproduzenten und Verteilerpunkt für die Versorgung des östlichen Mittelmeerraums werden.


streamplus.de