Ich hatte in meinen ersten Tagen auf Kreta in der Gegend von Asomatos ein Gespräch mit einem jungen Bauern, an das ich später oft dachte.
Damals hatte ich noch gar nicht erkannt, wie bezeichnend es war, was er sagte.
Ich erzählte ihm, daß ich in einem Seitentale bei Gortyn römische Mauern gesehen hatte, deren Vorhandensein mir nicht anders erklärbar schien, als daß da einstmals ein Staudamm war. Offenbar hatten die Römer schon die niederstürzenden Wasser der Winter gesammelt und während des Sommers geschickt verteilt. So müßte auch heute ein ähnliches Werk die Gegend zum Paradiese verwandeln.
Dann sprachen wir von den kahlen Bergen und der Armut an Wald und Holz. Ich deutete auf die Ziegen, bei denen der Bauernsohn stand und sagte: Die fressen euch arm! Wenn ihr die nicht hättet, so hättet ihr Wälder und hättet ihr Holz. Ihr hättet reichere Quellen und reichlicher Wasser, und die Winterregen würden euch nicht das kostbare Erdreich wegschwemmen. Es würde um vieles besser sein.
Sicher, erwiderte er. Die Ziegen knabbern alles was grün ist. Da kommt kein Baum auf. Da drüben über den ganzen Berg könnten Olivenbäume stehen. Viel! Aber solange die Bäume klein sind, kommen die Ziegen und fressen sie ab und sie gehen ein.
Er schien sich, echt griechisch, im Augenblick an den großen Möglichkeiten zu entzünden.
Ich sagte: Die Ziegen haben euch arm gemacht und machen es noch. Nicht die Türken. Nun aber, das ist doch nicht schwer. Ihr müßt eben keine Ziegen dorthin lassen, ein paar Jahre lang, oder einzäunen vielleicht.
Er sah mich nachdenklich an. Ich merkte, daß er in der Phantasie seinen Tribut an das tätige Tun gezahlt hatte. Jetzt fiel er wieder ins Wirkliche. Er zuckte die Achseln.
Den echome anangki. Wir leiden keine Not. Wir haben Öl, was wir brauchen, wir haben Früchte und Wein, wir haben ein wenig Korn. Nun möchten wir auch Milch und Käse, dazu brauchen wir Ziegen. Es fehlt uns sonst nichts.
Wozu, wollte er sagen, wozu also Pläne? Es geht ja auch so. Zum Leben genügt`s und das Leben ist schön.
Auszug aus dem Buch „Kreta“ , Erhart Kästner. Erste Auflage 1975.
Seit die EU in den 70-Jahren Fördermittel für die Tierhaltung bereitgestellt hat, hat sich die Anzahl der Ziegen verdoppelt. Weite Gebiete sind kahlgefressen.
Chania News vom 20.09.2019:
Staatliche Maßnahmen zum Schutz ihres Eigentums vor Schäden durch unkontrollierte Beweidung in ihrem Gebiet werden von Anwohnern der Perwolakei, Troni Alonia, Krya Vryssi, Deliani Sfakopigadiou und anderen Siedlungen gefordert.
Eine Delegation von Einheimischen hat heute vor der Staatsanwaltschaft und in der Unterregion von Chania protestiert und behauptet, unkontrolliertes Weiden füge der landwirtschaftlichen Produktion erheblichen Schaden zu.