Griechenland: Bewohner der Ortschaft Kamilari arrangieren sich mit der Krise – Für die strenge Kanzlerin Märrkell zeigen sie Verständnis.
Kamilari: Carrefour ist eine französische Supermarktkette, die auch in Griechenland stark vertreten ist. Im Carrefour-Markt am Rand des Städtchens Mires, dem Hauptort der Messara-Ebene auf Kreta, hängt ein handbeschriftetes Plakat. Darauf ist übersetzt in etwa zu lesen: Wegen der Krise gibt es ab sofort zehn Prozent Rabatt auf alle Frischwaren für Rentner, kinderreiche Familien und Arbeitslose.
Die Schuldenkrise ist längst auch auf der ganz überwiegend ländlich und landwirtschaftlich geprägten griechischen Großinsel Kreta angekommen. Pali kovoun ist dieser Tage eine viel gehörte Redewendung: Sie kürzen wieder! Damit sind die Konsolidierungsmaßnahmen gemeint, mit der eine allgemein verhasste Politikerkaste die Auflagen des als Katastroika titulieren internationalen Kontrollgremiums umzusetzen sucht.
Es ist bekannt, dass insbesondere die deutsche Politik und Kyria Märrkell die Sache besonders streng sehen. Wie wird das auf einer Insel aufgenommen, die wie keine zweite im Land den unabhängigen Geist Griechenlands verkörpert, deren Bewohner zudem unter der Besetzung durch die deutsche Wehrmacht während des Zweiten Weltkriegs schmerzvolle Erfahrungen mit den Deutschen machen mussten?
Das Dorf Kamilari, zwischen den bekannten minoischen Ausgrabungen von Phaistos und der einstigen Hippie-Hochburg Matala gelegen, ist dabei ein Sonderfall: Zu den 350 griechischen Einwohnern kommen etwa 50 ständig dort lebende Mitteleuropäer, Tendenz steigend, und die Touristen rekrutieren sich aus der gehobenen europäischen Mittelschicht. Das relativiert die Auswirkungen der Krise ebenso wie das allgemein verbreitete Wohneigentum und eine Subsistenz-Landwirtschaft mit Gärten, Hühnern, Ölbäumen und auch der einen oder anderen Ziege.
Rente auf 400 Euro gekürzt
Dennoch weiß auch die 77-jährige Hausfrau und Bäuerin Kalliopi Hatsidogiannaki von den Auswirkungen der Krise zu berichten. Sie könne ja gar nicht richtig lesen, weil ja der Krieg nach Kreta gekommen sei, als sie zur Schule gehen sollte, und von Politik verstehe sie nichts, aber dann bricht es doch aus ihr heraus: Kovoune, kovoune, kovoune! Sie kürzen, kürzen, kürzen – zum Beispiel auch ihre Rente, von 430 auf 400 Euro. Mit dieser Rente ist sie sogar noch ganz gut bedient, denn mein Mann war im öffentlichen Dienst. Die Politiker hingegen, die für die Kürzungen verantwortlich sind, seien hoch bezahlt, und sie stehlen dazu auch noch Geld.
Kalliopi Hatsidogiannaki kommt über die Runden, weil sie im eigenen Haus wohnt, sich noch fit mit einem Honda-Dreirad jeden Tag zu ihrem Garten mit Gemüse und ein paar Hühnern bewegt und somit wenig Ausgaben hat. In den Städten hingegen, wo die Menschen keine Gärten haben und sogar Miete bezahlt werden muss, sei es bitter: Dort hungern die Menschen. Und wer ist schuld daran? Die Märrkell-Schimpfe bleibt aus. Die Landfrau zeigt sogar Verständnis dafür, dass die Leute ihre Kredite zurück haben wollen.
Die Politiker sind schuld
Die Politiker sind schuld, lautet das Generalurteil von Joannis Papadospyridakis. Er meint damit aber vor allem die einheimische Politikerkaste. Auf Deutschland will er nicht schimpfen. Von dort bekommt der Achtundsiebzigjährige den Großteil seiner Rente, denn er hat etliche Jahre als Metallarbeiter bei Köln sein Geld verdient. Vom griechischen Staat bekommt er 130 Euro im Monat, und davon werden sie mir jetzt noch etwas wegnehmen.
Gehalt gekürzt, Kinder arbeitslos
In Lohn und Brot bei der staatlichen Elektrizitätsgesellschaft DEI ist der 58-jährige Georgios Nikolakakis. Das sichert ihm ein Einkommen, aber er sieht sich mit Gehaltskürzungen konfrontiert. Ein weiteres Zeichen der Krise: Ich habe zwei Kinder, die haben fertig studiert, finden aber keinen Job. Die Ursachen der aktuellen Probleme reichten bis in die 80er Jahre zurück, in die Zeit des Beitritts Griechenlands zur Europäischen Union. Damals sei es versäumt worden, die griechische Ökonomie den neuen Rahmenbedingungen anzupassen. Und Märrkell? Wenn die nicht so streng wäre, könnten wir unsere Krise ein wenig entspannter angehen.
Viel Geld ist verschwunden
Das Problem ist nicht Deutschland und heißt nicht Märrkell, meint Manolis Spyridakis, Ortsvorsteher von Kamilari. Die Troika kam ja schließlich ins Land, weil wir Griechen um Hilfe gebeten haben. In Griechenland sei viel europäisches Geld verschwunden und ein Beispiel sei die neue Hauptstraße von der kretischen Hauptstadt Heraklion in die südlich gelegene Messara-Ebene. Daran wird seit 20 Jahren geplant und gearbeitet, 2002 sollte die Straße fertig sein, sie ist immer noch nicht fertig, und die Arbeiten ruhen, weil kein Geld da ist.
Dabei finanziert die Europäische Union das Infrastrukturprojekt zu mehr als zwei Dritteln. Das Problem ist die griechische Politik, sagt der 42-jährige Gastronom und lässt durchblicken, dass er die gesamte Politikerkaste des Landes für korrupt hält. Insgesamt habe das Land ein Strukturproblem: Es fehle an Menschen, die bereit seien, Verantwortung zu übernehmen, und es fehle ein System, das eine wirksame Kontrolle der Einhaltung bestehender Gesetze ermögliche.
Mit Lebenslust durch die Krise
Das Geschäft mit dem Tourismus, das die Krise in Kamilari relativiert, habe im Frühjahr etwas schleppend begonnen, berichtet Marina Spyridakis. Die studierte Ökonomin und Fleischermeisterin betreibt mit ihrem Mann den Supermarkt im Ort, der auch eine Art Informationszentrale ist. Jetzt im Herbst seien die Besucherzahlen aber wieder auf einem guten Niveau, meint die 38-jährige Kauffrau. Ja, man habe Probleme mit den Banken, und in den Städten sei die Lage sehr schwierig, aber auf den Dörfern habe man ja eine gewisse Selbstversorgung.
Schuldzuweisungen macht die Ökonomin keine. Lieber blickt sie in die Zukunft und ist sich sicher: Griechenland bleibt in der Euro-Zone. Jetzt ist ein schwieriger Moment, aber der geht vorbei. Außerdem haben die Griechen ja eine eigene Dynamik, mit viel Lebenslust Krisen zu überstehen.
In Paleochora, ganz im Westen der Insel, gibt es einen Touristenladen mit T-Shirts, deren Aufdruck nachdenklich macht: Greek Krisis: No Job, no Money, no Problem (Griechische Krise: Kein Job, kein Geld, kein Problem).
Quelle: Klaus Holdefehr, Main-Netz.de
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