Geschichten von Kreta
Mochos, ein Bergdorf unterhalb der Lassithi-Hochebene… über die Serpentinenstraße mit einer traumhaften Aussicht erreichen wir nach 8 Kilometern den sehenswerten Dorfplatz, auf dem sich eine prächtige Kirche sowie zahlreiche Restaurants und Tavernen befinden.
Heute ist das Fest der heiligen Paraskevi und der Dorfplatz wurde zur Kulturmeile, bestehend aus einem ca. 30 m langen Tisch, auf dem sich Unmengen von Tellern mit Essen befanden. Es war knapp 22:00 Uhr, als die Menschen aus allen Himmelsrichtungen herbei strömten. Wir suchten und fanden schließlich Platz an einem Tisch, an dem ein Pärchen saß, beide Anfang Fünfzig. Nach einigen zögernden Minuten fragte mich unser Nachbar, woher wir kommen, ich sagte, aus Deutschland und dass wir zwei Tage vorher hier zufällig vorbeigekommen waren, ein Plakat gesehen und somit beschlossen hatten, wieder zu kommen, aber nicht gewusst hatten, dass es so ein großes Fest wäre. Er erwiderte, er und seine Frau würden aus der Nähe von Delphi stammen und für wenige Tage bei ihrem Sohn, der in Kreta studiert, wohnten. „Wir kommen gerne zu solchen Festen“ fuhr er fort. „In Heraklion unten sind die Tavernen sehr teuer.“ Wir, mit Preisen von Lokalen in Mitteleuropa im Kopf, finden die Preise in den Tavernen nicht zu hoch, aber er sieht es sicherlich aus einer ganz anderen Perspektive.
Beide, sie hießen Thassos und Venetia, sahen so aus, wie man Menschen der Mittelschicht beschreiben würde. Er meinte weiter, dass er früher viel mit seiner Frau zum Essen ausgegangen war, aber jetzt reicht das Geld nicht, da er seit drei Jahren arbeitslos ist. Er schafft es nur mit Mühe und Not, das Schulgeld für seinen Sohn zu bezahlen. Vor sich hatten sie aus dem Supermarkt eine Tüte mit Zwieback und 1 Flasche Wasser.
Inzwischen war ich aufgestanden und hatte von dem langen Buffet diverse Speisen auf ein Tablett geladen. Wie immer viel mehr, als zwei Personen essen können. Als ich diese auf dem Tisch ausbreitete, fragte mich Venetia, ob auf dem einen Tellerchen Zatziki wäre, nach meinem Nicken schauten sie ihren Mann fragend an, der dann sagte, sie könne ruhig auch einen Teller holen. Meine Frau entgegnete, das brauche sie nicht, weil das Zatziki zu viel für sie wäre, und schon hatte sich Venetia die Hälfte auf ihren Teller aufgeladen. Als ich die Berge von Essen vor uns sah und hinüber zu den zwei anderen Tischnachbarn blickte, erfüllte es mich mit Scham, der mir jedoch nicht den Mut gab, die beiden zu fragen, ob sie nicht noch etwas von den Köstlichkeiten probieren wollten.
Die kretischen Rhythmen begannen und in einer Musikpause hörte ich sie zu ihm sagen: „Thassos, die zwei netten Deutschen gehen, ich glaube ich nehme die Teller näher zu uns.“ Wir verabschiedeten uns und kurz vorher sah ich, wie Helga meine Frau die fast nicht berührten Teller etwas zur Mitte schob und die von uns fast leer gegessenen etwas zur Seite.
Danke Venetia und Thassos, dass ihr mit eurer Bescheidenheit und dem gegenseitigem Respekt gezeigt habt, dass nicht vieles Essen und ein voller Tisch Lebenslust bedeutet.
Wie sagt jedoch mein Cousin Kostas: Lieber Gott, wir haben doch nur ein Leben, danke dass ich es als Grieche leben darf.
Nikos Papadakis